Beim 43. Kongress der ESCRS in Kopenhagen wurde ein KI-basiertes Prognose-Tool vorgestellt, das die Progression des Keratokonus zuverlässig vorhersagen kann.
Die Entwicklung der neuen Keratokonus-KI adressiert ein zentrales klinisches Problem: Der Keratokonus manifestiert sich meist im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter und verschlechtert sich oft im Verlauf. Betroffen sind bis zu 1 von 350 Personen; unbehandelt droht in schweren Fällen die Indikation zur Keratoplastik.
Bislang ist die Indikationsstellung für eine Crosslinking-Therapie schwierig, da die Progression individuell sehr unterschiedlich verläuft. Die aktuelle Praxis erfordert eine langjährige, engmaschige Kontrolle, um Progression rechtzeitig zu erkennen und irreversible Narbenbildungen zu vermeiden. Das neue KI-Tool könnte diesen Prozess grundlegend verändern und in vielen Fällen schnelle Gewissheit bringen.
Treffsicherheit von 90 Prozent
Die Studie, welche die ESCRS (European Society Of Cataract & Refractive Surgeons) auf ihrer Pressekonferenz präsentierte, wurde durchgeführt von Dr. Shafi Balal und Kollegen am Moorfields Eye Hospital NHS Foundation Trust und University College London. Das Forscherteam nutzte hierzu eine Deep-Learning-Analyse von 36.673 OCT-Bildern des Vorderabschnitts von 6.684 Patienten. Die KI wurde darauf trainiert, anhand von Bilddaten und weiteren klinischen Parametern schon beim Erstbesuch zu differenzieren, ob eine Progression wahrscheinlich ist oder nicht.
Ergebnisse: Bereits nach Auswertung des ersten OCT-Scans konnte die KI zwei Drittel der Patienten sicher als Niedrigrisiko einstufen (keine unmittelbare Behandlungsindikation) und ein Drittel als Hochrisiko klassifizieren (sofortige Crosslinking-Indikation). Bei Einbezug eines zweiten Kontrolltermins stieg diese korrekte Zuordnung sogar auf 90 Prozent an. Das Crosslinking-Verfahren, bestehend aus UV-Bestrahlung und Riboflavin, ist in über 95 Prozent der Fälle erfolgreich, sofern es vor Narbenbildung angewendet wird.
Entlastung des Gesundheitssystems
Die KI-basierte Risikostratifizierung ermöglicht eine gezielte Allokation von Ressourcen. Hochrisikopatienten können frühzeitig behandelt und so vor Sehverlust und Transplantationsnotwendigkeit bewahrt werden. Gleichzeitig reduziert sich die Zahl unnötig häufiger Kontrollen bei Niedrigrisikopatienten, was Kapazitäten für andere Indikationen schafft. „Die effektive Einteilung der Patienten durch den Algorithmus macht es uns möglich, Spezialisten auf Bereiche mit dem größten Bedarf umzulenken“, so Studienleiter Dr. Shafi Balal.
Er betonte, dass diese Studie erstmals eine derart präzise Vorhersage der Progression über einen längeren Zeitraum und an einer großen Kohorte ermöglichte. Während der Algorithmus zunächst auf ein spezifisches OCT-Gerät trainiert wurde, seien die Methoden auf andere Systeme übertragbar. Vor dem breiten klinischen Einsatz erfolgen derzeit noch weitere Sicherheitstests. Perspektivisch kann der Algorithmus dann mit Millionen weiterer Augenscans trainiert werden und für zusätzliche ophthalmologische Fragestellungen zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel zur Erkennung von Infektionen oder Erberkrankungen.
Dr. José Luis Güell (ESCRS) hob hervor, dass die KI-basierte Vorhersage das Therapiemanagement beim Keratokonus grundlegend verbessern könnte: Frühzeitige Behandlung verhindert einerseits Sehverlust. Andererseits entlastet die Reduktion unnötiger Überwachung das Gesundheitssystem. „Wenn sich die Wirksamkeit dieser Technologie bestätigt, wird sie Sehverlust und schwierigere Behandlungsstrategien bei jungen, erwerbstätigen Patienten verhindern“, so Güells Fazit.
Quelle: ESCRS, veröffentlicht in Concept Ophthalmologie 8-2025.



