Die US-amerikanischen Genforscher Victor Ambros und Gary Ruvkun werden in diesem Jahr – für die Erforschung der microRNAs (miRNAs) – mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt. Ihre „bahnbrechende Entdeckung“ ist auch für die Krebsmedizin von großer Bedeutung, denn micro-RNAs sind als Elemente der Genregulation maßgeblich in die Entwicklung maligner Tumoren involviert.
Victor Ambros und Gary Ruvkun lernten sich in den 1980er Jahren am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA, kennen, wo sie als Postdoktoranden Studien am Fadenwurm C. elegans, einem Lieblingstier der biologischen und biomedizinischen Forschung, durchführten. Unerwartet stießen sie dabei auf einen bis dato unbekannten Mechanismus der Genregulation. microRNA nannten sie die kurzen RNA-Schnipsel, deren universelle Bedeutung zum damaligen Zeitpunkt noch nicht absehbar war. Nicht nur der Fadenwurm, sondern auch höhere Organismen einschließlich des Menschen nutzen microRNAs als Steuerelemente. Mehr als 1.000 unterschiedliche miRNAS wurden bis heute beim Menschen identifiziert.
Nachdem sich die Wege der beiden Forscher schon getrennt hatten, erschien 1993 – von der Arbeitsgruppe um Victor Ambros – eine erste Publikation zum Thema. Und 2000 berichtete Gary Ruvkun über die Entdeckung einer weiteren microRNA. Victor Ambros ist heute Professor für Molekulare Medizin an der University of Massachusetts Medical School, und Gary Ruvkun ist Professor für Genetik an der Harvard University.
microRNAs – kurz miRNAs – sind sehr kurze RNA-Moleküle, die 17 bis 24 Nukleotide umfassen. Sie sind nicht-kodierend, das heißt, sie enthalten keine genetische Bauanleitung für Proteine. Als Steuerelemente der Genregulation binden miRNAs, wie man inzwischen weiß, an messenger-RNA und verhindern bzw. drosseln auf diese Weise die Produktion der jeweiligen Proteine. Die kontrollierte Genexpression ist Voraussetzung für die Differenzierung spezialisierter Zelltypen aus Zellen mit identischer genetischer Information.
Oncomirs kontrollieren Tumorsuppressorgene
Auch bei der Entstehung von Krebs spielen miRNAs im Sinne einer Dysregulation eine wichtige Rolle [1–3]. miRNAs, die maligne Transformation, Tumorwachstum und/oder Metastasierung begünstigen, werden als Oncomirs bezeichnet. Im Tumorgewebe können Oncomirs über- oder unterexprimiert sein. Eine Überexpression deutet darauf hin, dass das betreffende Oncomir ein Tumorsupressorgen kontrolliert und dieses aktuell maximal ausgebremst wird. Die Unterexpression von Oncomirs dagegen spricht dafür, dass Onkogene weitgehend ungebremst wirksam sind und die Zellproliferation antreiben. Der Exosomtransfer von Oncomirs scheint zudem ein wichtiges Phänomen bei der Kommunikation von Immunzellen und Tumorzellen zu sein [1].
Marker für das Tumorprofiling
Die Analyse von miRNAs im Tumor kann im Rahmen des Tumorprofilings Hinweise darauf geben, welche Gene im individuellen Tumor als Krebstreiber wirken, denn viele solche Treibergene sind in der Lage, gegen sie gerichtete mi-RNAs zu unterdrücken. In einer Pilotstudie an Patienten mit seltenen Krebserkrankungen lieferte die mi-RNA-Analyse zusätzliche Informationen über die Schwachstellen individueller Tumoren, an denen sich eine zielgerichtete Therapie ausrichten ließ [2].
Targets für innovative Therapien
Anderseits können miRNA selbst als Targets für innovative Krebstherapien fungieren. Denkbar wäre zum Beispiel, durch gezielte Oncomir-Hemmung die Unterdrückung von Tumorsuppressorgenen aufzuheben. Und angesichts der sich abzeichnenden immunsupprimierenden Wirkung von Oncomirs im Tumor-Mikroenvironment wären micro-RNAs zudem mit Blick auf Immuntherapien interessant.
Quellen:
- Otmani K et al. OncomiRs as noncoding RNAs having functions in cancer: Their role in immune suppression and clinical implications. Front Immunol 2022; 13, 913951
- Esquela-Kerscher SF. Oncomirs – microRNAs with a role in cancer. Nat Rev Cancer 2006; 6, 259–269
- Cho W. OncomiRs: the discovery and progress of microRNAs in cancers. Mol Cancer 2007; 6, 60
- Wurm A et al. Signaling-induced systematic repression of miRNAs uncovers cancer vulnerabilities and targeted therapy sensitivity. Cell Reports Medicine 2023
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