E-Paper

Neurologie und Psychiatrie » Neurophysiologie

»

Wie das Gehirn die unmittelbare Zukunft vorhersehen kann

Wie das Gehirn die unmittelbare Zukunft vorhersehen kann

News

Neurologie und Psychiatrie

Neurophysiologie

mgo medizin

mgo medizin

Autor

3 MIN

Erschienen in: neuro aktuell

Man stelle sich einen Boxer vor, der fix einem Schlag ausweicht, eine Musikerin, die einen Ton zeitlich perfekt platziert oder eine Autofahrerin, die eine rote Ampel antizipiert und blitzschnell bremst – das Gehirn kann als ein erstaunliches Werkzeug betrachtet werden, das ständig dabei ist, die Zukunft vorherzusehen. Aber wie macht es das? Ein Team von Neurowissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik (MPIEA), des Ernst Strüngmann Instituts für Neurowissenschaften (ESI), beide Frankfurt am Main, und der Goethe-Universität Frankfurt konnte erstmals zeigen, wie spezifische Hirnrhythmen den Zeitpunkt zukünftiger Ereignisse vorhersagen. Die Ergebnisse wurden kürzlich in Nature Communications veröffentlicht.

Im Rahmen der Studie konnte die Schlüsselvariable identifiziert werden, die darüber entscheidet, wie gut wir vorhersagen können, was in der Zukunft passieren wird: Ereigniswahrscheinlichkeit über die Zeit. Verantwortlich dafür sind Hirnströme, die eine bestimmte Anzahl von Schwingungen pro Sekunde aufweisen. Diese Schwingungen liegen in den Frequenzbereichen Alpha, mit sieben bis zwölf Hertz, und Beta, mit 15 bis 30 Hertz, und repräsentieren die Ereigniswahrscheinlichkeit:
„Die Ergebnisse zeigen, dass Hirnströme in diesen Frequenzbereichen den Zeitpunkt repräsentieren, an dem zukünftige Ereignisse eintreten werden. Je vorhersehbarer ein Ereignis ist, desto stärker sind die neuralen Schwingungen. Dadurch kann das Gehirn schneller und effizienter reagieren“, erklärt Erstautor Matthias Grabenhorst vom ESI (zuvor MPIEA).

Mit Hilfe der Magnetenzephalographie (MEG) konnte das Forschungsteam drei Schlüsselbereiche des Gehirns lokalisieren, die ermitteln, wann etwas wahrscheinlich eintreten wird: Zum einen spielt der posteriore Parietallappen eine wichtige Rolle, der ein Knotenpunkt für die zeitliche Planung und die motorische Vorbereitung ist. Zudem ist der posteriore mittlere Gyrus Temporalis aktiv, der entscheidend für die zeitliche Verarbeitung von Ereignissen ist. Ebenso spielt der sensomotorische Kortex eine Rolle – ist er doch direkt an Bewegungen beteiligt, die auf vorhergesagte Ereignisse folgen.

Die Erkenntnisse könnten weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis von Entscheidungsfindung und Aufmerksamkeit bis hin zu sportlicher Leistung und neurologischen Störungen haben: „Die Studie öffnet neue Türen für die Erforschung der grundlegenden Rolle von Hirnrhythmen bei der Navigation durch Zeit und Zukunft. Zum Beispiel könnten diese Rhythmen eines Tages genutzt werden, um das Gehirn zu trainieren und besser vorausdenken zu können. Oder Störungen in diesen Signalen könnten erklären, warum bestimmte Krankheiten wie ADHS oder Parkinson das Timing und die Reaktionsgeschwindigkeit beeinflussen“, schließt Seniorautor Georgios Michalareas, von der Goethe-Universität, der als Mitarbeiter am MPIEA an der Studie beteiligt war.

Die Studie ist Teil des größeren Forschungsprojektes „The Anticipation of Events in Time“, in dessen Rahmen bereits zwei Studien veröffentlicht wurden.


Quelle: Dr. Keyvan Sarkhosh, Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (idw)
Zur Originalpublikation kommen Sie hier.

Bilderquelle: © MPIEA

Schlagworte zu diesem Beitrag

Weitere Beiträge zu diesem Thema

© DimaBerlin_stock.adobe.com

Wie bestimmte Wahrnehmungsveränderungen bei Borderline-Patientinnen das sexuelle Verhalten beeinflussen können

News

Frauen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erleben in sexuellen Situationen häufiger dissoziative Symptome – dazu gehören beispielsweise Derealisation und Depersonalisation, also eine veränderte Wahrnehmung des eigenen Körpers oder der Umwelt, sowie Konversionssymptome, also körperliche Beschwerden ohne organischen Grund.

Neurologie und Psychiatrie

Persönlichkeitsstörungen

Beitrag lesen
Illustration eines Arztgesprächs: Ein Arzt klärt eine Patientin über Epilepsie auf, die Patientin hält sich die Hände an den schmerzenden Kopf.

Experten fordern Umdenken in der Epilepsie-Behandlung

Pharmaservice

In der Behandlung von Epilepsien geht wertvolle Zeit verloren, in der Patientinnen und Patienten unter fortbestehenden Anfällen leiden und ihre Lebensqualität erheblich eingeschränkt ist. Im Rahmen eines Seminars von Angelini Pharma wurden die Ursachen und Folgen dieser „therapeutischen Trägheit“ diskutiert.

Neurologie und Psychiatrie

Epilepsie

Beitrag lesen
John - Adobe Stock

Europäischer Kopfschmerzkongress: Hormone und Kopfschmerz

Kongressberichte

Welche Auswirkungen haben Hormone auf Kopfschmerzen? Dieser Frage gingen zwei Expertinnen im Rahmen des Europäischen Kopfschmerz-Kongresses Anfang Dezember in Lissabon nach.

Neurologie und Psychiatrie

Kopfschmerzerkrankungen

Beitrag lesen