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Arzt als Patient: Nur ein Parotis-Tumor

Arzt als Patient: Nur ein Parotis-Tumor

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mgo medizin

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5 MIN

Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Einem Patienten eine Diagnose mitzuteilen, bringt der Arztberuf so mit sich. 
Wie anders es sich anfühlt, wenn der Arzt zum Patient wird und bemerkt, welche Sorgen gewisse Diagnosen bereiten und wie unangenehm Folgen einer Operation sein können, berichtet Kollege Dr. Paul Kokott in diesem Artikel.

Vor geraumer Zeit bemerkte ich einen etwa kirschgroßen Knoten am linken Unter-kieferwinkel der Ohrspeicheldrüse, der sich innerhalb weniger Monate zu einer etwa pflaumengroßen Geschwulst entwickelte.

Auf einmal selbst Patient

Ich konsultierte eine befreundete HNO-Kollegin, die meinen Verdacht auf einen linksseitigen Parotis-Tumor bestätigte und zu einer operativen Entfernung riet. Ich kontaktierte daraufhin die HNO-Klinik im nahe gelegenen Städtischen Klinikum und erhielt einen kurzfristigen Termin. Nach vorstationärer Behandlung erfolgte am übernächsten Tag die zweieinhalbstündige chirurgische Intervention – Subtotale Parotidektomie links. Neck-Dissection Level Va links. Auch wenn etwa drei Viertel der Ohrspeicheltumoren gutartig sind, bleiben doch eine gewisse Besorgnis und Bedenken, dass es sich um ein malignes Geschehen handeln könnte.

Die Sorge vor dem Ergebnis

Dies war bei mir glücklicherweise nicht der Fall. Die feingewebliche Untersuchung zeigte ein ­Cystadenolymphom (Warthin-Tumor). Tumoren der Glandula parotidea sind relativ selten 
und kommen mit einer Häufigkeit von 0,4 – 2,5/100.000 Einwohner vor. Der Warthin-Tumor oder Zystadenolymphom ist der zweithäufigste Tumor der Ohrspeicheldrüse. Er repräsentiert etwa 70 %der monomorphen Adenome und tritt über-wiegend beim männlichen Geschlecht auf (Männer : Frauen = 3:1), wobei der Altersgipfel zwischen dem sechsten und siebenten Lebensjahrzehnt liegt. Dieser gutartige Tumor wächst langsam und schmerzlos. Der Tumor besteht aus drüsigen Anteilen, die mit lymphatischen Anteilen vermischt sind, und ist durch eine Neoplasie von Onkozyten geprägt. Daraus ergibt sich seine klinische Bezeichnung als Mischtumor.

Folgen der Operation

Im Operationsbericht zeigte sich, dass aufgrund der Größe des Tumors und seiner Lage sowie aufgrund sehr derber bindegewebiger Umgebungsreaktionen im Sinne einer Desmoplakie das operative Vorgehen außerordentlich erschwert ist und dass der Knoten sehr stramm am Nervus facialis verbacken liegt, ohne dass eine regelrechte Infiltration vorliegt. Die Präparation ist sehr aufwendig , teilweise wird Gewebe direkt von der Umgebung des Hauptstammes zur Histologie gegeben. Bei der Präparation zeigt sich, dass sowohl kranial als auch kaudal distant vom eigentlichen Knoten weitere Satelliten vorhanden sind, die in die Präparation dann mit einbezogen werden.
Am dritten Tag nach der OP wurde ich bei gutem Allgemeinbefinden aus der stationären Behandlung entlassen. Allerdings entwickelte ich aufgrund des OP-Traumas eine postoperative periphere linksseitige Fazialisparese, die zu einer Augenlid-Schluss-Insuffizienz links und Problemen insbesondere bei der Flüssigkeitsaufnahme führten. Selbst die Sprache klingt irgendwie anders. Bei der peripheren Fazialislähmung sind alle vom VII. Hirnnerven versorgten Muskeln, also auch die Stirnmuskeln, einseitig gelähmt. Traumatische Fazialislähmungen haben eine gute Spontanprognose und heilen in mehr als 75 % der Fälle spontan aus. Durch Fazialisübungen (krankengymnastische Gesichtsgymnastik, Grimassierübungen) wird die Wiederherstellung der Fazialisfunktion gefördert. Ein Uhrglasverband zur Nacht mit Bepanthen-Salbe vor dem Schlafen und Vidisic-Augengel tagsüber zum Hornhaut-Schutz beugt dem Austrocknen der Hornhaut bei Augenlidschluss-Insuffizienz vor. Jedoch ist Geduld erforderlich: Die Wiederherstellung der Fazialisfunktion braucht Zeit und Fortschritte stellen sich erst allmählich ein. Im Alltagsleben stellt eine Fazialisparese eine Herausforderung dar. Die gewohnten Aktivitäten sind deutlich reduziert. Während die Aufnahme fester Nahrung noch einigermaßen gelingt, ist das Trinken durch den hängenden Mundwinkel nur eingeschränkt möglich.

Belastungen im alltäglichen Leben

Der Nervus facialis kontrolliert alle 21 mimischen Muskeln einer Gesichtshälfte. Eine Fazialisparese hat je nach Ausmaß der Ausfälle vollständig oder teilweise die kennzeichnenden Symptome einer Asymmetrie des Gesichts in Ruhe (Mundwinkel der betroffenen Seite hängt herab), die Unfähigkeit zu lachen oder zu lächeln, eine orale Inkontinenz bei insuffizientem Verschluss im Mundwinkel sowie Artikulationsstörungen, das Verbleiben von Speisen in der Backentasche, ein unvollständiger Lidschluss mit dem Risiko einer Keratokonjunktivitis und die Unfähigkeit, die Stirn zu runzeln, zur Folge. Bei der peripheren Fazialisparese ist der Gesichtsnerv direkt geschädigt. In 70 % der Fälle entsteht die Gesichtslähmung als Folge des peripher geschädigten Gesichtsnervs idiopathisch, also ohne eindeutig erkennbaren Auslöser. In den übrigen rund 30 % ist die Fazialisparese Folge einer infektiösen oder entzündlichen Erkrankung. Patienten berichten über Taubheit oder ein Gefühl von Schwere im Gesicht. Die betroffene Seite wird flach und ausdruckslos, die Fähigkeit zum Stirnrunzeln, Blinzeln oder Grimassieren ist eingeschränkt. Ein Parotistumor wird zunächst als nicht bedrohlich wahrgenommen. Malignome sind hierbei selten. Folgewirkungen und hier besonders eine (vorübergehende) periphere Fazialisparese nach stattgehabter operativer Tumorentfernung sind jederzeit möglich und haben Auswirkungen auf das Alltagsleben.

Keine leichte Sache

Mich haben die Augenproblematik, die Nahrungsaufnahme und die beeinträchtigte Sprachartikulation ziemlich beschäftigt. Erst nach einigen Wochen kam es zu einer allmählichen Rückbildung der postoperativen Fazialisbeeinträchtigung. Das Betroffensein von einer Fazialisparese geht mit Belastungen bei deutlich beeinträchtigter Lebensqualität einher. Unsere Fallschilderung verdeutlicht diese Problematik, referiert kennzeichnende Symptome und weist auf eine angemessene Vorgehensweise hin.

Autor: Dr. med. Paul Kokott

Quelle: Der Allgemeinarzt

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