Seit längerem sind fehlender allgemeinärztlicher Nachwuchs oder das Verschwinden von Landarztpraxen ein Thema, das medial aufbereitet und diskutiert wird. Eine Studie beleuchtet, wie Hausärzte/-innen, die Umstände und der Nutzen ihrer Versorgung in diesem Kontext in den Medien präsentiert werden.
Der (drohende) Verlust von hausärztlichen Praxen ist seit geraumer Zeit ein intensiv diskutiertes Thema. Insbesondere auf Engpässe bei der hausärztlichen Versorgung in ländlichen Regionen wird seit Jahren hingewiesen[2,8,9, 14,21, 33–35]. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung gab es im Jahr 2020 bundesweit rund 4.200 offene Stellen für Hausärzte10. Berechnungen zufolge steht einem jährlichen Verlust von etwa 1.700 Hausärzten ein Zustrom von etwa 1.300 Fachärzten pro Jahr gegenüber20,30,28. Infolgedessen könnten bis 2028 etwa 20.000 Hausärzte fehlen, vor allem in ländlichen Gebieten[1,30,35].
Die Ursachen für einen solchen Mangel sind vielschichtig. Eine wichtige Rolle spielen der demografische Wandel, ein sich vergrößerndes Gefälle zwischen strukturstarken und strukturschwachen Regionen sowie sich verändernde Anforderungen an eine moderne hausärztliche Versorgung[18,32]. In Deutschland ist jeder dritte derzeit tätige Hausarzt 60 Jahre oder älter[10,23]. Neben der im Langzeittrend gesunkenen Zahl von Medizinern, die sich für eine Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin entscheiden, ist auch die Bereitschaft zur Niederlassung sowie zur Tätigkeit in Vollzeit zurückgegangen[4,6,22 24,31]. Parallel dazu führt der in ländlichen und strukturschwachen Räumen zu verzeichnende Bevölkerungsschwund dazu, dass die Attraktivität einer hausärztlichen Tätigkeit in diesen Gebieten sinkt und es bestehenden Hausärzten schwerfällt, eine Nachfolge zu finden[12,14,27].
Als zunehmende Herausforderung für das deutsche Gesundheitssystem wird der Hausärztemangel in der medialen Berichterstattung aufgegriffen und kommuniziert5. Die Berichterstattung kann als Gradmesser der gesellschaftlichen Debatte angesehen werden, indem über Nachrichtenmedien Phänomene wie der Praxenschwund öffentlich verhandelt und ein Bewusstsein zum Thema geschaffen wird. Zudem arbeiten Medien über „Aufmerksamkeitsgewinnung durch Komprimierung und Zuspitzung, sodass bestimmte Aspekte eines Themas ausgewählt und hervorgehoben, andere hingegen weniger stark behandelt oder ausgelassen werden[25,37–39]. Dies kann dann auf den Verlauf des gesellschaftlichen Diskurses, politische Entscheidungen oder die Bereitschaft von Medizinern, sich zu einer Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin oder zu einer Niederlassung zu entschließen, zurückwirken.
Um zu untersuchen, welche Darstellungsmuster die Berichterstattung zum Hausärztemangel bereithält, wurde im Zuge einer Studie eine Medienanalyse durchgeführt). So konnten fünf übergeordnete Darstellungsmuster (Frames) in der Berichterstattung identifiziert werden, die das Thema des Hausärztemangels in unterschiedlicher Weise präsentieren.
1. Hausärztliche Versorgung als Herausforderung mit steigender Belastung
Alltag einer Landärztin: „Ich liebe meinen Job – aber die Umstände sind unerträglich. Wir arbeiten hier 24/7, und der Kollaps unserer Patientenversorgung ist für die Zukunft absehbar.[15]
Ein verbreitetes Darstellungsmuster zeigt die hausärztliche Versorgung unter Bedingungen einer fortschreitenden Mangelverwaltung. Der sukzessive Rückgang von Praxisstandorten gerade in kleineren Orten führt bei den verbliebenen Allgemeinärzten zu deutlich erhöhtem Patientenaufkommen, was teils massive Probleme im Praxisablauf, Unzufriedenheit auf Seiten der lang wartenden Patienten und zu einer physischen und psychischen Dauerbelastung von Ärzten führt. Verspätete Diagnostik und Therapie und damit entstehende Versorgungsdefizite sind weitere Kollateralschäden der allgemeinen Überlastungssituation.
Der Aspekt der seelischen Inanspruchnahme von Hausärzten wird in manchen Beiträgen hervorgehoben. Dargestellt wird nicht nur ein enormer Zeitdruck, sondern auch das Dilemma, im Extremfall neue Patienten ablehnen zu müssen. Die Not, den Praxisbetrieb unter den erschwerten Bedingungen noch aufrechtzuerhalten, führt also zu Entscheidungsdruck, der den Grundprinzipien vieler Hausärzte zuwiderläuft.
2. Hausärzte jenseits ihrer Zeit
Die Zukunft sieht grau aus: In Deutschland arbeiten viele Ärztinnen und Ärzte im fortgeschrittenen Alter […] Dr. Peter Hesse arbeitet noch mit über 80 Jahren in der Praxis seines Sohns mit. Hierbei läuft es durch die Zusammenarbeit zwischen Senior und Junior noch gut. In anderen Praxen, die keinen Nachfolger finden, sehen greise Hausärzte einem permanenten Unruhestand entgegen. Sie kämpfen selbst gegen ihr Alter an und werden oft nur noch durch ihren Idealismus angetrieben, so lange wie möglich für ihre Patienten da zu sein. [26]
Ein zweiter Frame betrachtet Hausärztemangel insbesondere unter dem Problem, dass es kurz vor der Rente stehenden Allgemeinärzten entgegen aller Bemühungen in manchen Regionen nicht gelingt, eine Nachfolge zu finden, also den weiteren Bestand ihrer Praxis sicherzustellen. Geschildert wird eine lange währende, zusehends verzweifelte Suche, bei der nicht selten beträchtliche Zugeständnisse gemacht werden – bis hin zu Angeboten, die eigene Praxis zu einem symbolischen Preis zu verkaufen. Die dargestellten Ärzte sind zu solchen Schritten bereit, weil sie ein starkes Verantwortungsgefühl den eigenen Patienten gegenüber empfinden und die Primärversorgung an ihrem Standort unbedingt sicherstellen möchten. Erreichen sie ihr Ziel nicht, ist es für die Ärzte schwer vorstellbar, ihre Praxis einfach zu schließen. Eine Variante dieses Darstellungsmusters, die im Grunde eine Konsequenz der erfolglosen Nachfolgesuche ist, zeigt dann auch betagte Hausärzte, die sich vor dem Hintergrund ihrer erfolglosen Bemühungen, eine Nachfolge zu finden, notgedrungen entschieden haben, vorerst weiterzuarbeiten.
3. Hausärzte als (gesundheits-)politisch im Stich gelassene Versorger
Der Landarzt Günter Krause […] schimpft über die Praxis-Bürokratie, stapelweise Dokumentationen und Abrechnungen, die er nebenbei erledigen muss. Und er berichtet von Medikamenten und Therapien, die er gern verschreiben würde, weil er sie als sinnvoll einstuft, aber die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung das nicht tun. […] Macht das alles noch Sinn mit seinem Job? Diese Frage stellt Krause sich oft.[29]
Der dritte Frame stellt einen direkten Zusammenhang zwischen einem restriktiven Gesundheitssystem und dem Hausärzterückgang her. Hausärzte werden hier teilweise als Leidtragende von Fehlstellungen und Schieflagen in den Versorgungs- und Abrechnungsstrukturen dargestellt. So werden Hausärzte gezeigt, die in ihrem Bestreben, dem Patientenwohl bestmöglich gerecht zu werden, durch die Vorgaben des Gesundheitswesens limitiert, ja nicht selten massiv behindert und eingeschränkt werden. Die Folge sind wiederkehrende Konflikte mit Krankenkassen und der kassenärztlichen Vertretung, Frustrationserlebnisse und im Extremfall ein Rückzug von der hausärztlichen Tätigkeit.
Artikel, die diesem Frame unterliegen, zeigen beispielsweise eine verbreitete Sorge, in den Fokus einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zu geraten, wenn Ärzte ihren Patienten die bestmögliche Versorgung zukommen lassen möchten. Verbreitet sind auch Darstellungen, in denen Allgemeinmediziner eine immer weiter ausufernde kassenärztliche Bürokratie beklagen, die ihnen Zeit raube und Handlungsspielräume einenge. Ebenfalls häufig anzutreffen sind Reportagen insbesondere über Landärzte, die mit massiven Regressforderungen konfrontiert werden, weil sie zum Beispiel überdurchschnittlich oft Krankengymnastik verschrieben oder zu viele Hausbesuche durchgeführt haben. Infolgedessen nehmen besagte Ärzte nicht nur mangelnde Wertschätzung für die hausärztliche Tätigkeit wahr und bekommen Zweifel.
4. Schwindende Attraktivität der Hausarztmedizin
Die jungen Ärztinnen und Ärzte wollen vermehrt angestellt tätig sein, als sich selbstständig zu betätigen. Sie wollen gerade am Anfang eher Teilzeit [und] im Team arbeiten, und sie wollen die Familie und den Beruf, Arbeit und Freizeit, in ein Gleichgewicht bringen, und das ist in der typischen Einzelkämpfer-Praxis des Landarztes weniger denn je der Fall. [13]
Das vierte Darstellungsmuster fokussiert nicht die Sicht von Hausärzten, sondern betrachtet oftmals junge Mediziner, die sich bewusst gegen eine hausärztliche Tätigkeit entscheiden oder entschieden haben. Vereinzelt werden auch junge Ärzte geschildert, die nach einer kurzen Zeit als Hausärzte aus diesem Berufsfeld abspringen und sich einen neuen Tätigkeitsbereich suchen. Als Konsequenz davon stehen dem Gesundheitssystem nicht genügend nachrückende Hausärzte zur Verfügung. Die permanent hohe Arbeitsbelastung von Hausärzten und das Risiko einer Niederlassung wird nicht selten im Kontrast zu den Vorstellungen von Medizinstudierenden oder angehenden Ärzten dargestellt, die sich eine Balance zwischen Beruf und Familie sowie geregelte Arbeitszeiten wünschen. So werden Landärzte, die große Entfernungen zurücklegen müssen, um Hausbesuche zu absolvieren oder mehrere Praxenstandorte unterhalten, als abschreckende Beispiele erlebt. Ähnliches gilt für Fragen des Praxismanagements, mit dem sich viele angehende Ärzte nicht auseinandersetzen möchten. Fehlende Infrastruktur im ländlichen Raum wird ohnedies als große Einschränkung erlebt[4].
Immer wieder wird in den Beiträgen zu diesem Frame auf die Gesundheitspolitik abgehoben, der es nicht gelungen sei, tragfähige Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, um die klassische Hausarztpraxis langfristig in moderne Formen der Primärversorgung zu überführen. Als Beispiele genannt werden eine systematische, staatliche Förderung von Primärversorgungszentren oder eine erweiterte krankenhausnahe Versorgung, um Kerne einer allgemeinärztlichen Versorgung zu erhalten.
5. Hausärzte, eine ausgestorbene Spezies
Ich würde dort auch nicht hingehen. Ich find’s menschenunwürdig, dass man in einen Bus geschoben wird, der jetzt angeblich die Leute versorgen soll. Mein Gott, wo sind wir nur hingekommen? Früher gab es ganz normale Ärzte auf dieser Welt, und jetzt müssen wir uns mit so etwas abspeisen lassen. Da kann man als kleiner Bürger nur noch einpacken und in die Stadt ziehen.[40]
Das fünfte Darstellungsmuster zeichnet sich dadurch aus, dass Hausärzte in diesen Beiträgen nicht mehr vorhanden sind. Präsentiert werden ländliche Ortschaften, die ihre letzte Allgemeinarztpraxis bereits verloren haben. Das Verschwinden von Hausärzten wird hier neben dem Problem des nicht ausreichenden medizinischen Nachwuchses vor allem auf den demografischen Wandel, den Strukturwandel und die Landflucht jüngerer Leute zurückgeführt, sodass das Fehlen von praktizierenden Medizinern teils als Begleiterscheinung abgehängter Kommunen und Regionen erscheint. In diesem Zusammenhang werden von der bundeslandspezifischen Gesundheitspolitik ergriffene Notlösungen präsentiert, um doch noch unter eingeschränkten Bedingungen eine allgemeinmedizinische Versorgung der betroffenen Orte zu ermöglichen.
Ein Beispiel ist das Pilotprojekt „Medibus“ im ländlichen Norden des Bundeslandes Hessen, der in der Berichterstattung vergleichsweise prominent behandelt wurde40. Trotz der Bemühungen, mithilfe einer solchen mobilen Allgemeinarztpraxis von der Hausarztversorgung abgehängte Dörfer anzusteuern, zeigt sich in dem Beitrag eine ausgeprägte Skepsis der Einwohner in Bezug auf das neu geschaffene Angebot. Problematisiert wird etwa der Umstand, dass der im Medibus tätige Allgemeinmediziner nur einmal die Woche vor Ort ist und ein Gebiet von Dutzenden Dörfern abdeckt, sodass sich kein richtiges Arzt-Patient-Verhältnis herausbilden kann. Damit kann der Kern der traditionellen Hausarztmedizin kaum aufrechterhalten werden.
Hausärzte werden positiv dargestellt
Im Fall der meisten Frames fällt eine ausgesprochen positive Darstellung der Hausärzte auf. So werden sie als idealistisch, bodenständig und aufopferungsvoll in Szene gesetzt. Sie nehmen das Patientenwohl auch in Zeiten einer zusehends ökonomisierten Medizin sehr ernst und stehen für einen ganzheitlichen Ansatz. Die präsentierten Allgemeinärzte sind bemüht, alle Patienten zu berücksichtigen, auch wenn dies Konsultationen über die übliche Sprechstundenzeit hinaus bedeutet[26]. Vielfach sind sie bereit, für die Sicherstellung einer möglichst erfolgreichen Behandlung ihrer Patienten notfalls auch konfliktäre Situationen mit den Krankenkassen in Kauf zu nehmen[15, 16] und Engpässe, zum Beispiel durch Ausscheiden eines Kollegen, aufzufangen[40]. Eine besondere Bedeutung kommt darüber hinaus der sozialen und kommunikativen Rolle zu, die Hausärzte einnehmen. So haben die porträtierten Ärzte großes Interesse am unmittelbaren zwischenmenschlichen Kontakt und sind als vertrauensvoller Ansprechpartner und Ratgeber in der Kommune verankert.
Medien reflektieren Bedeutung des Hausarztes
Im Zuge der inhaltsanalytischen Studie hat sich gezeigt, dass die Frage des Hausärztemangels in der Nachrichtenberichterstattung ein deutlich sichtbares Thema ist. Dieses wird, wie es der Medienlogik entspricht, in spezifischer Weise zugespitzt. Die identifizierten Frames spiegeln zugleich gesellschaftliche Optiken und Befürchtungen hinsichtlich der Konsequenzen eines fortschreitenden Hausärztemangels wider. Sie reflektieren die Bedeutung des Hausarztes als vertrauenswürdiger und kompetenter Primärversorger, der sowohl in seiner Rolle als Lotse im Gesundheitssystem als auch mit Blick auf seine soziale Rolle nicht ersetzbar ist.
Im Kontrast zu der bedrohlich geschilderten Problematik erscheint das positive Image des Hausarztes als vertrauensvoller Primärversorger, der die Gesundheit seiner Patienten an erster Stelle setzt und bereit ist, dafür auch Widrigkeiten in Kauf zu nehmen. Dieses medial getragene und auch in der Bevölkerung verankerte Bild17 ist eine wichtige Voraussetzung, da ein ausgeprägtes Bewusstsein um den Wert des Hausarztes besteht. Zugleich ist es eine Ressource, die bei der öffentlichen Ansprache genutzt werden sollte, um politische Maßnahmen zur Stabilisierung der Versorgungssituation zu flankieren und verstärkt Studierende für die Vorzüge einer hausärztlichen Tätigkeit zu sensibilisieren.
Autoren: Dr. Julian Wangler, Prof. Dr. Michael Jansky
Quelle: Der Allgemeinarzt



