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Kommunikation und Dokumentation – ein Schlüsselzusammenhang?

Schlüssel und Schloss

Kommunikation und Dokumentation – ein Schlüsselzusammenhang?

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mgo medizin

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6 MIN

Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Eine korrekte Dokumentation ­beinhaltet nicht nur Verwaltungs­umstände und -maßnahmen, sondern auch den subjektiven Gesundheitszustand der Patienten – was auch konsequent kommuniziert werden muss. Sonst droht womöglich eine Klage, wie das Beispiel zeigt.

Lebhaftest schilderte die Mitte 50 -jährige Patientin vor Gericht, wie sie praktisch über ein Jahrzehnt monatelang und immer wieder unter Oberbauchbeschwerden gelitten habe, immer weniger essen wollte und sich schwach fühlte. Nur in der Dokumentation des Hausarztes fand sich dazu – nichts!

Es findet sich, dass ihr seit mehr als 10 Jahren mehr oder weniger regelmäßig Ursodexoxycholsäure verordnet wurde – ursprünglich vorgeschlagen von der nahen Universitätspoliklinik aufgrund der Diagnose „Hepatopathie unklarer Genese“. Im Verfahren stellte sich klar heraus, dass sie dieses Medikament unregelmäßig und teilweise von ihren Beschwerden abhängig eingenommen und wieder abgesetzt hatte. Kein Arzt hätte ihr je erklärt, warum sie das einnehmen solle. Streitgegenständlich war letztlich ein Bericht des Gastroenterologen, der die Diagnosen „primär biliäre Cirrhose“ und „Autoimmun­hepatitis“ enthielt und die Fortsetzung der Therapie mit Ursodeoxycholsäure sowie vierteljährliche Laborkontrollen empfahl. Dessen Eingang war in der Praxis dokumentiert. Ein persönlicher Kontakt mit der Patientin war in der Folge über 6 Wochen weder von ihrer Seite noch von der Praxis her erfolgt.

Hätte Aufklärung Krebserkrankung verhindert?

Deshalb verklagte sie den Arzt. Denn wäre dieser Befund mit ihr besprochen worden, und hätte sie gewusst, dass sie an diesen Krankheiten leide, und wären diese Kontrollen wie vorgeschlagen erfolgt, hätte sie die Therapie regelmäßiger eingenommen und wäre nicht in das Gefährdungsstadium bis hin zur Cirrhose und Leberkarzinom gekommen, von dem sie jetzt nach 4 Jahren bei einer Untersuchung in einer internistischen Klinik der Region von dem dortigen bekannten sehr empathischen Chefarzt erfahren habe. Beim Einholen einer Zweitmeinung beim oben angeführten Gastroenterologen, habe die Fachangestellte ihr erklärt, dass vor 4 Jahren genau diese Diagnosen dem Hausarzt mitgeteilt worden seien.

Gleichzeitig und oft im Vordergrund bestand in all dieser Zeit ein bunter Strauß an rheumati­formen Beschwerden im Bewegungsapparat, der orthopädische und rheumatologische Konsilien und Mitbehandlungen erforderte. Für diesen wurde im Zeitraum nach dem streitgegenständlichen Termin auch ein Rheumatologisches „Overlapsyndrom“ festgestellt und Therapien mit Cortison und NSAR vorgeschlagen, die sie eher ablehnte. Diese Befunde wurden dokumentiert mit ihr besprochen: „Befundbesprechung Rheumatologie“. Wobei kein Schluss auf den Inhalt des Gesprächs gezogen werden kann. Ähnlich „Besprechung Laborbefunde“. Welche Schlüsse wurden daraus gezogen ??

Was entnehmen wir – nun unabhängig von der Beurteilung, ob ein Arztfehler vorliegt oder nicht – aus einer solchen Geschichte?

1. Die Dokumentation dieser beklagten Allgemeinpraxis (und wahrscheinlich vieler anderer) beinhaltet zu überwiegenden Teilen (fast) nur Gesundheitsverwaltungsumstände und -Maßnahmen: Überweisungen, Labor, Befundeingänge, Dauerdiagnosen, evtl. Akutdiagnosen, Verordnungen von Medikamenten und Heilmitteln. Gelegentlich Rückfragen anlässlich von Beschwerden und daraufhin erfolgte indirekte Ratschläge oder Verordnungen. Das notieren die MfAs meist zu ihrer Entlastung exakt.

2. Die Dokumentation der eigentlichen Arztkontakte – z.B. anlässlich einer GU – enthält schon mehr, ist aber in dem für die Kassen auszufüllenden Ausdruck auf ein lächerliches Minimum reduziert. Meist findet sich in der gleichzeitigen praxiseigenen Dokumentation dann auch kein informativerer Niederschlag, da nicht gefordert. (Sinnvoll wäre etwa Größe und Gewicht, RR, subjektives Befinden). Offensichtlich sind die Dokumentationen von einem ärztlichen Bewusstsein geprägt, nur momentane „rationale“ Entscheidungsindikationen festzuhalten. Subjektives „Kranksein“ findet nach den Dokumentationen fast nicht statt. Aber gerade unser Fall zeigt, dass, wenn auf das „Kranksein“ mehr eingegangen und ihm überhaupt zur „Sprachwerdung“ geholfen würde, solche Menschen nicht vor Gericht ziehen müssten, um Gehör zu finden

3. Die Handhabung einer Praxis-Dokumentation ist kein Thema der Aus- und der Weiterbildung. Sie besteht wohl aus einem „learning by doing“ sehr in Abhängigkeit vom Qualitätsbewusstseins der jeweiligen Weiterbildungsstätte. In den Lehrbüchern sowohl der Allgemeinmedizin der letzten Jahrzehnte als auch der Inneren Medizin, der Chirurgie und der Orthopädie findet sich zu den Prinzipien einer Dokumentation kein Kapitel. Dabei muss dies jeder Arzt x-fach täglich an seinem Arbeitsplatz leisten. Im akademischen Bereich existiert das Ideal des aus dem angloamerikanischen Raum übernommenen „SOAP“ (Subjektiv, objectiv, assessment, plan). In unserer EDV-basierten Dokumentation sind „assessment“ (=Diagnose?) und „plan“ (=Verordnung?) nicht zu umgehen und werden automatisch gespeichert. Um so mehr sollte die ärztliche Aufmerksamkeit wenigstens jedesmal ein Wort zu „subjective“ erlauben und ein Befundstichwort oder Befund-Kürzel zu „Objective“ (Beispiel: „VA“ bds.= Vesikuläratmen beiderseits). Ein großes Problem ist, objektive Daten zum Verlauf des Blutdrucks und des Körpergewichts herauszufinden, weil vor allem Letzteres nur selten gemessen wird und wenn Gewichtsab- oder -zunahme diskutiert wird, kein objektiver Referenzwert besteht. Wenn es eine Rolle spielen soll, ist es peinlich, dass eine solche Messung fast Jahrzehnte zurückliegt. Warum also nicht „regelmäßig“ im Rahmen der GU?

4. Noch etwas ist an dieser Fallgeschichte interessant: Der Hausarzt nahm an, der Facharzt habe den Befund einschließlich der genannten Diagnosen mit der Patientin besprochen, und da keine Therapieänderung anstand, ließ er das auf sich beruhen. Der Facharzt wiederum hatte eine Sonographie durchgeführt und ein breites und spezifisches Labor abgenommen. Vor Vorliegen dieser Werte wollte er bei der Verabschiedung der Patientin keine Aussage treffen und verwies sie auf den noch zu erstellenden Bericht an den Hausarzt. Er strebte also selbst nicht noch ein aufklärendes Gespräch an, wo er über diese sehr seltene Erkrankung hätte fachspezifisch aufklären können. Er informierte auch nicht den Arzt telefonisch über die spezifizierte Diagnose und deren Konsequenzen. Die Patientin nahm an, der Arzt werde sich melden, wenn da etwas Neues drin stünde. Diese oberflächliche Kontakt-Routine und damit das Auslassen der Patientinnenperspektive in jeder dieser Praxen ergab einen Hiatus, in dem die Information quasi unterging. Nur, wessen Fehler war es eigentlich und letztlich? Im Rahmen einer rationalen Medizin ist das nicht fest zu machen.

Liest man nach einer solchen Geschichte etwa das Arztgelöbnis oder die Definition der Allgemeinmedizin auf der Website der DEGAM, dann wird’s einem ganz anders.

Autor: Prof. Dr. med. Gernot Lorenz

© Shi – Adobe Stock

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