Gab es bislang separate Leitlinien für ST-Hebungsinfarkt (STEMI) und Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung (NSTE-ACS: Non-ST Elevation Myocardial Infarction (NSTEMI) und instabile Angina pectoris), wird in den kürzlich aktualisierten Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) das akute Koronarsyndrom nun erstmals als ein Gesamtspektrum von klinischen Symptomen, EKG-Veränderungen oder laborchemischem Nachweis von kardialem Troponin mit oder ohne Veränderungen im 12-Kanal-EKG definiert. [1]
Das akute Koronarsyndrom (ACS) umfasst verschiedene Ausprägungen myokardialer Ischämie, die sich klinisch durch das Leitsymptom akuter Thoraxschmerz manifestieren. Die zugrunde liegende Pathophysiologie ist die Ruptur oder Erosion einer koronaren Plaque mit konsekutiver Thrombusbildung in einer Koronararterie.
Die klinischen Symptome von Patienten mit V.a. ACS sind sehr vielfältig und müssen nicht immer mit deren Risiko assoziiert sein. Daher durchlaufen alle Patienten mit V.a. ACS den gleichen diagnostischen Algorithmus unter Berücksichtigung des potenziellen Risikos bis zur Bestätigng oder zum Ausschluss der Diagnose. Im Gegensatz zu früheren Leitlinien werden in den aktuellen ACS-Leitlinien der ST- Hebungsinfarkt (STEMI) und der Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung (NSTE-ACS: Non-ST-Elevation Myocard Infarction (NSTEMI) und instabile Angina pectoris) in einer Leitlinie zusammengefasst. [1]
Neue Empfehlungen zum NSTE-ACS
Biomarker Diagnostik
Die ACS-Diagnostik stützt sich im Wesentlichen auf die drei Säulen: Anamnese mit körperlicher Untersuchung, EKG (innerhalb der ersten 10 Minuten nach erstem Arztkontakt) und Laboruntersuchung (hochsensitives kardiales Troponin). Die Bestimmung des hochsensitiv gemessenen Troponins (hs-cTn) zum Nachweis einer Schädigung der Kardiomyozyten ist bei allen Patienten mit Verdacht auf NSTE-ACS obligatorisch. Durch den hohen negativen Vorhersagewert (NPV) des hs-cTn-Tests für den akuten Myokardinfarkt kann die Ausschlussdiagnose frühzeitig gestellt werden (sog. rapid rule-out).
Konkret wird die Durchführung eines „schnellen“ Protokolls empfohlen, wonach eine zweite hs-cTn-Bestimmung bereits nach 1 Stunde möglich ist (0/1h- Algorithmus). Steht nur ein Troponin-Test mit Validierung für einen 0/2h-Algorithmus zur Verfügung, sollte die Blutentnahme bei Aufnahme und nach 2 Stunden erfolgen (zweitbeste Option). Alternativ kann ein 0/3h-Algorithmus für konventionelle Troponintests verwendet werden.
Patienten weisen eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen akuten Myokardinfarkt (NSTEMI) auf, wenn die hs-cTn-Konzentration über der 99. Perzentile liegt oder im Verlauf ein signifikanter Anstieg oder Abfall der Konzentration gemessen wird. In den aktuellen ACS-Leitlinien werden die Bedeutung des 0/1h-Algorithmus bzw. des 0/2h-Algorithmus im klinischen Alltag hervorgehoben und die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Troponintests abgehandelt (Klasse-I-Empfehlung).
Invasives Management bei NSTE-ACS
Die Empfehlung zum frühzeitigen invasiven Management bei Patienten mit NSTE-ACS wurde aufgrund der aktuellen Datenlage geändert. In den bisherigen NSTE-ACS-Leitlinien gab es eine Klasse-I-Empfehlung zur frühzeitigen invasiven Diagnostik mittels Koronarangiographie innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn bei Patienten mit klinischem Verdacht auf ACS und Hinweisen auf ein hohes Risiko (u.a. dynamische ST-Strecken, dynamische ST- oder T-Wellen-Veränderungen, GRACE-Score >140). [2]
In einer Metaanalyse, in der die Daten von 17 randomisierten Studien mit mehr als 10.000 Patienten zusammengefasst wurden, konnte keine Überlegenheit einer frühen invasiven Diagnostik mittels Koronarangiographie (<24 Stunden) gegenüber einer routinemäßigen invasiven Strategie hinsichtlich des Outcomes (kombinierter Endpunkt aus Gesamtmortalität, nicht tödlichem Myokardinfarkt, erneuter Revaskularisation) bestätigt werden. [3] Daher wurde die Empfehlung einer frühzeitigen invasiven Diagnostik bei Hochrisikopatienten mit einer Klasse-IIa-Empfehlung leicht abgeschwächt.
Unverändert blieb die Klasse-I-Empfehlung zur sofortigen invasiven Diagnostik bei Patienten mit sehr hohem Risiko (u.a. hämodynamische Instabilität oder kardiogener Schock, schwere, therapierefraktäre Angina-pectoris-Symptomatik, bedrohliche Herzrhythmusstörungen oder Herzstillstand) [1]
Nicht-Invasives Management bei NSTE-ACS
Die koronare CT-Angiographie (cCTA) hat in der Diagnostik der koronaren Herzkrankheit einen hohen Stellenwert erlangt. In den bisherigen NSTE-ACS-Leitlinien wurde die frühe nicht-invasive Diagnostik mittels cCTA mit einer Klasse-I-Empfehlung berücksichtigt. [2]
In aktuellen Studien konnte ein Vorteil für die frühe Durchführung der cCTA hinsichtlich einer Verkürzung der Krankenhausverweildauer im Vergleich zur Abklärung mittels hs-cTn bei Patienten mit v.a. ACS nicht bestätigt werden. [4-6] Darüber hinaus konnte der frühe Einsatz der cCTA in der Diagnostik des NSTE-ACS keine Verbesserung des Outcomes erzielen und war gleichzeitig mit einer Kostenerhöhung verbunden. [7] Daher wurde die Empfehlung des frühen cCTA oder anderer nicht-invasiver Stresstests mit einer Klasse-IIa-Empfehlung leicht abgewertet. [1]
Obwohl die cCTA in der Empfehlung der ACS-Leitlinien eine leichte Abschwächung erfahren hat (Klasse-IIa Empfehlung), findet sie als nicht-invasive diagnostische Methode weiterhin ihren Stellenwert im klinischen Alltag, da sie insbesondere bei „Non-High-Risk“-Patienten mit sehr hoher Genauigkeit eine obstruktive KHK ausschließen kann.
Die cCTA findet weiterhin mit ihrer hohen Genauigkeit zum Ausschluss einer KHK (Rule Out) ihren klinischen Nutzen bei Patienten mit inkonklusiven Untersuchungsergebnissen oder bei klinischen Hinweisen auf extrakoronare Ursachen einer hs-cTN-Erhöhung (Typ II Myokardinfarkt). Gleichzeitig hat die CT-Diagnostik einen hohen klinischen Stellenwert zum Ausschluss weiterer lebensbedrohlicher Differenzialdiagnosen wie der Lungenembolie oder der Aortendissektion (sog. Tripple Rule Out) (Klasse-Ia-Empfehlung). Darüber hinaus kann durch den gezielten Einsatz der cCTA die Anzahl invasiver Koronarangiographien in der Diagnostik des NSTE-ACS reduziert werden. [8-10] Die cCTA sollte daher weiterhin bei differenzierter Patientenselektion zum Ausschluss einer koronaren Obstruktion in der Diagnostik des ACS in Erwägung gezogen werden (Klasse-IIa-Empfehlung) [1].
Neue Empfehlungen zum STEMI
Bei Patienten mit einem gesicherten STEMI werden auch in den aktuellen ACS-Leitlinien eine sofortige invasive Diagnostik mittels Koronarangiographie und eine rasche Reperfusion empfohlen (Klasse-Ia-Empfehlung).1Ein Großteil der Patienten mit STEMI weist neben dem Infarktgefäß weitere Stenosen in anderen Koronararterien bei koronarer Mehrgefäßerkrankung auf. Die komplette Revaskularisation während des stationären Aufenthaltes bzw. innerhalb von 45 Tagen wurde in den aktuellen ACS-Leitlinien zu einer Klasse-Ia-Empfehlung aufgewertet. [1]
Ebenfalls neu in der ACS-Leitlinie ist die Empfehlung zum Zeitpunkt der invasiven Diagnostik bei Patienten mit unklarem Herzstillstand (ohne ST-Streckenhebung). Während in den vorherigen Leitlinien eine sofortige Koronarangiographie bei Eintreffen im Krankenhaus in Erwägung gezogen werden sollte (Klasse-IIa-Empfehlung), wird eine routinemäßige unmittelbare Koronarangiographie bei Patienten nach Herzstillstand nicht mehr empfohlen (Klasse-III-Empfehlung).
Grundlage für diese Abschwächung der Empfehlung war u.a. die randomisierte TOMAHAWK-Studie, in der ein Vorteil der routinemäßigen
sofortigen Koronarangiographie nicht bestätigt werden konnte. [11] Im klinischen Alltag kann daher bei unklarer Ursache für den Kreislaufstillstand, bei hämodynamisch stabilen Patienten ohne persistierende ST-Streckenhebung im EKG, eine Umfeld-Diagnostik von Vorteil sein (z.B. Ausschluss einer intrakraniellen Blutung oder einer Lungenembolie), ohne das Outcome der Patienten negativ zu beeinflussen. [1,11]
Neue Empfehlungen zur medikamentösen antithrombotischen Therapie bei ACS
Die medikamentöse Begleittherapie bei ACS erfolgt mit einer dualen antithrombotischen Therapie. Bei fehlenden Kontraindikationen wird neben ASS die Gabe von Prasugrel oder Ticagrelor für die Dauer von 12 Monaten empfohlen (Klasse-I-Empfehlung). Bei Kontraindikation oder Unverträglichkeit von Prasugrel (>75 Jahre, vorheriger Schlaganfall in der Anamnese, <65 kg Körpergewicht) oder Ticagrelor kann Clopidogrel als Thrombozytenaggregationshemmer eingesetzt werden.
Im Einzelfall kann unter Berücksichtigung des Blutungsrisikos und ohne Nachweis ischämischer Ereignisse eine Verkürzung der Dauer der antithrombotischen Therapie auf 3 bzw. 6 Monate erwogen werden (Klasse-IIa-Empfehlung). Eine Deeskalation der dualen antithrombotischen Therapie innerhalb von 30 Tagen nach ACS auf eine antithrombotische Monotherapie sollte nicht erfolgen (Klasse-III-Empfehlung).
Autoren: Prof. Dr. med. Oliver Dörr, Prof. Dr. med. Holger Eggebrecht, Prof. Dr. med. Bernd Nowak, Prof. Dr. med. Axel Schmermund, Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, Prof. Dr. med. Christoph Liebetrau
Quelle: Allgemeinarzt Digital
Abb.: andriano_cz_adobe.stock.com



