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Wenn Kopfschmerzen mehr bedeuten können: Spannungsfeld Kopfschmerz und Schlaganfall

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Wenn Kopfschmerzen mehr bedeuten können: Spannungsfeld Kopfschmerz und Schlaganfall

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mgo medizin

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Kopfschmerzen und Schlaganfälle zählen zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen – doch gibt es einen Zusammenhang? Migräne, insbesondere mit Aura, könnte das Risiko für einen Schlaganfall erhöhen. Der Fokus liegt auf gemeinsamen Mechanismen, klinischen Auswirkungen und Kopfschmerzen als mögliches Symptom eines Schlaganfalls.

Kopfschmerzen und Schlaganfälle gehören zu den häufigsten neurologischen Krankheitsbildern weltweit. Laut der Global Burden of Disease (GBD) Studie von 2017 zählen sie zu den drei führenden neurologischen Ursachen für verlorene Lebensjahre aufgrund von krankheitsbedingter Behinderung (Disability-Adjusted Life Years, DALYs). Dies verdeutlicht nicht nur ihre hohe Relevanz für die Lebensqualität der Betroffenen, sondern auch ihre erheblichen sozioökonomischen Auswirkungen auf die Gesellschaft, auch in Deutschland. Dieser Artikel untersucht die möglichen Überschneidungen zwischen diesen beiden Krankheitsbildern: Macht eine Erkrankung die andere wahrscheinlicher? In welchen Situationen treten Kopfschmerzen und Schlaganfälle gemeinsam auf, und gibt es Hinweise auf pathophysiologische Gemeinsamkeiten?

Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft (IHS) klassifiziert Kopfschmerzerkrankungen nach der Internationalen Klassifikation der Kopfschmerzerkrankungen (ICHD-3). Diese Klassifikation unterscheidet zwischen primären und sekundären Kopfschmerzen. Zu den primären Kopfschmerzen, bei denen der Kopfschmerz die eigentliche Erkrankung darstellt, zählen Migräne (mit und ohne Aura), Kopfschmerz vom Spannungstyp sowie trigemino-autonome Kopfschmerzerkrankungen. Migräne ist eine häufige Erkrankung mit einer Prävalenz von etwa 20 %, wobei bis zu 30 % der Betroffenen unter Migräne mit Aura leiden. Die Aura umfasst vorübergehende fokal-neurologische Symptome, die in der Regel den Kopfschmerzen vorausgehen. Sekundäre Kopfschmerzen hingegen treten als ein Symptom einer anderen zugrundeliegenden Erkrankung auf, einschließlich neurologischer Störungen wie Hirninfarkte.

Migräne als Risikofaktor für einen ischämischen Hirninfarkt

Epidemiologische Zusammenhänge: Migräne und Schlaganfall sind auf den ersten Blick zwei sehr unterschiedliche Krankheitsbilder. Migräne ist eine chronische Erkrankung mit episodischem Verlauf, die vor allem bei jungen Erwachsenen und häufiger bei Frauen auftritt. Im Gegensatz dazu ist der Schlaganfall eine plötzliche und oft schwerwiegende Erkrankung des höheren Lebensalters, die häufiger bei Männern auftritt. Trotz dieser Unterschiede wurden bereits vor über 40 Jahren epidemiologische Zusammenhänge zwischen diesen beiden Erkrankungen festgestellt. Insbesondere die Migräne mit Aura gilt inzwischen als Risikofaktor für die Entwicklung eines ischämischen Hirninfarktes. Das relative Risiko für einen ischämischen Hirninfarkt ist bei Menschen mit Migräne mit Aura etwa doppelt so hoch im Vergleich zu Menschen ohne Migräne. Die Datenlage zur Migräne ohne Aura ist hingegen weniger eindeutig. Der Zusammenhang zwischen Migräne und Hirninfarkt ist am stärksten bei Frauen ausgeprägt, insbesondere bei Frauen unter 45 Jahren, die rauchen oder orale Kontrazeptiva einnehmen. Bei Männern mit Migräne mit Aura ist die Assoziation weniger eindeutig, was möglicherweise auf die geringere Prävalenz der Migräne bei Männern zurückzuführen ist. Ein erhöhtes Risiko wurde bei aktiver Migräne mit häufiger Attackenfrequenz festgestellt. Ob Migräne auch ein Risikofaktor für hämorrhagische Hirninfarkte darstellt, ist umstritten; während einige Studien einen positiven Zusammenhang zeigen, konnten andere diesen nicht bestätigen.

Klinische Implikationen

Aufgrund des erhöhten Schlaganfallrisikos bei Patienten und Patientinnen mit Migräne mit Aura sollten Ärzte und Ärztinnen besonders auf das Management weiterer zerebrovaskulärer Risikofaktoren achten. Frauen mit Migräne mit Aura sollte dringend geraten werden, das Rauchen aufzugeben, und bei der Wahl einer Verhütungsmethode sollten nicht-hormonelle Alternativen bevorzugt werden. Hormonelle Kontrazeptiva, insbesondere solche mit Östrogen, sollten nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen. Wenn Patienten und Patientinnen mit einer Vorgeschichte von Migräne neue oder unklare neurologische Symptome entwickeln, sollten diese nicht leichtfertig als atypische Migräne abgetan werden. Angesichts des erhöhten Risikos für ischämische Hirninfarkte sollte bei einer unklaren Symptomatik eine weiterführende Abklärung, zum Beispiel mittels Magnetresonanztomografie (MRT), erfolgen. Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass die Behandlung der Migräne das Schlaganfallrisiko beeinflusst. Bei der Akutbehandlung von Migränekopfschmerzen werden nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und bei fehlender Wirksamkeit häufig Triptane eingesetzt. Aufgrund ihrer vasokonstriktiven Wirkung sind Triptane jedoch bei Patientinnen und Patienten mit hohem kardiovaskulären Risikoprofil oder nach einem Schlaganfall oder einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) kontraindiziert. Die in den letzten Jahren neu zugelassene Medikamentengruppe der Antikörper gegen Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) oder den CGRP-Rezeptor ist noch zu jung für verlässliche Langzeitdaten zur Auswirkung auf das Schlaganfallrisiko. Zerebrovaskuläre Ereignisse stellen bisher keine Kontraindikation dar, allerdings bewirkt CGRP eine starke Vasodilatation. Tierexperimentelle Studien deuten darauf hin, dass die Hemmung von CGRP das Risiko für ischämische Hirninfarkte erhöhen und das Infarktvolumen größer ausfallen könnte, da die Fähigkeit zur kompensatorischen Vasodilatation bei einer Ischämie eingeschränkt sein könnte. Bisherige Untersuchungen konnten dies bisher jedoch nicht am Menschen nachvollziehen.

Kopfschmerz als Symptom des ischämischen Hirninfarktes

In der Akutphase eines ischämischen Hirninfarktes liegt der Schwerpunkt in der klinischen Praxis häufig auf den neurologischen Ausfallsymptomen, der Akutversorgung und der ätiologischen Diagnostik. Nebst den fokal-neurologischen Defiziten ist Kopfschmerz jedoch ein häufiges Symptom. Während dies beim hämorrhagischen Schlaganfall, bei einer Vaskulitis oder einer Sinusvenenthrombose bereits weit akzeptiert ist, findet das Symptom Kopfschmerz nach einem ischämischen Schlaganfall bislang wenig Beachtung. Gemäß der ICHD-3 zählt der „Kopfschmerz als Folge eines ischämischen Infarkts“ zu den sekundären Kopfschmerzen. Dieser wird weiter unterteilt in den akuten Kopfschmerz, der in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem ischämischen Ereignis steht, und den anhaltenden Kopfschmerz, der über drei Monate hinaus fortbesteht. Studien zeigen, dass die Prävalenz von Kopfschmerzen bei ischämischen Hirninfarkten zwischen 6 % und 44 % liegt. Eine Metaanalyse ermittelte eine durchschnittliche Prävalenz von etwa 14 %, wobei europäische Studien tendenziell höhere Prävalenzwerte zeigten. Das Risiko für Kopfschmerzen ist bei Hirninfarkten in der vertebrobasilären Zirkulation etwa doppelt so hoch wie bei Infarkten in der anterioren Zirkulation. Weibliches Geschlecht stellt ebenfalls einen Risikofaktor dar.

Akuter Kopfschmerz: Akute Kopfschmerzen treten meist simultan zu den fokal-neurologischen Defiziten auf und sind häufig selbstlimitierend, mit einer Dauer von durchschnittlich ein bis vier Tagen. Die Kopfschmerzen ähneln typischerweise den Kopfschmerzen vom Spannungstyp (50–80 %) und seltener der Migräne. Die Schmerzen werden vorwiegend frontal, temporal, okzipital oder nuchal lokalisiert. Jüngere Patienten und Patientinnen (< 50 Jahren) haben ein erhöhtes Risiko, bei einem ischämischen Hirninfarkt Kopfschmerzen zu entwickeln. Studien deuten darauf hin, dass Kopfschmerzen häufiger bei kortikalen Hirninfarkten als bei subkortikalen Hirninfarkten auftreten. Passend hierzu waren Kopfschmerzen bei nicht-lakunären Schlaganfällen häufiger als bei lakunären Schlaganfällen. Hirninfarkte im Bereich des Inselkortex, im somatosensorischen Kortex und im Zerebellum waren mit einem hohen Risiko für Kopfschmerz verbunden. Besonders der Inselkortex ist als Teil der „Pain Matrix“ maßgeblich an der Schmerzverarbeitung beteiligt. Ein negativer prognostischer Wert wird dem Kopfschmerz bei Schlaganfall nicht zugeschrieben, da sich die langfristigen funktionellen Outcomes zwischen Patientinnen und Patienten mit und ohne Kopfschmerz nicht signifikant unterscheiden. Teilweise stellten Studien sogar einen Zusammenhang zwischen Migräne und einem guten funktionellen Outcome fest.

Anhaltender Kopfschmerz: Obwohl der Kopfschmerz nach einem Schlaganfall häufig nach wenigen Tagen abklingt, bleibt er in einigen Fällen länger bestehen. Die Prävalenz anhaltender Kopfschmerzen variiert in Studien stark und wird mit 1–23 % angegeben. In einer prospektiven Untersuchung von Lebedeva et al. wiesen immerhin 10,4 % der Patienten und Patientinnen auch drei Monate nach dem Schlaganfall anhaltende Kopfschmerzen auf, die überwiegend als Kopfschmerz vom Spannungstyp oder Migräne beschrieben wurden. Im Vergleich zur Akutphase nahmen Häufigkeit und Begleitsymptome der Kopfschmerzattacken häufig ab, und die Schmerzen wurden in 79,4 % der Fälle bilateral beschrieben. Medikamentenübergebrauch fand sich bei 31 % der Patientinnen und Patienten. Zu den Risikofaktoren für anhaltende Kopfschmerzen zählten ein Schlafdefizit, zerebelläre und kryptogene Infarkte, ein NIHSS-Score < 8 und das Fehlen einer Makroangiopathie. Eine weitere Studie, die anhaltende Kopfschmerzen nach einem ischämischen Hirninfarkt nach einem Zeitraum von drei Jahren beobachtete, fand bei ca. 7 % der Patientinnen und Patienten anhaltende Kopfschmerzen, die meist Spannungskopfschmerzen entsprachen. Patientinnen und Patienten mit einer Vorgeschichte von Kopfschmerzen hatten ein höheres Risiko für persistierende Kopfschmerzen nach einem ischämischen Schlaganfall.

Pathophysiologische Zusammenhänge

Der genaue Mechanismus, der den Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und dem ischämischen Schlaganfall erklärt, ist noch nicht verstanden. Beim Migränekopfschmerz wird eine Aktivierung und Sensibilisierung trigeminaler Nozizeptoren durch die Freisetzung entzündungsfördernder Mediatoren angenommen. Für die Migräneaura ist das Modell der „Cortical Spreading Depression“ (CSD) etabliert: Eine sich langsam ausbreitende Depolarisationswelle über den zerebralen Kortex, ausgehend vom okzipitalen Kortex, begleitet von einer Hyperperfusion, wird durch eine Phase der Hemmung und Hypoperfusion gefolgt. Die Migräneaura – beziehungsweise das elektrophysiologische Korrelat der CSD – scheint eine relevante Rolle in der Verknüpfung zum ischämischen Hirninfarkt zu spielen, da das erhöhte Schlaganfallrisiko vor allem auf Menschen mit Migräne mit Aura zutrifft. Die CSD konnte nicht nur in Zusammenhang zur Migräneaura, sondern auch bei akuten Hirnverletzungen wie dem ischämischen Hirninfarkt nachgewiesen werden. Denkbar ist eine erniedrigte Triggerschwelle für das Auftreten von CSD bei Menschen mit Migräne mit Aura. Eine durch einen Hirninfarkt ausgelöste CSD könnte Kopfschmerz als Symptom eines Hirninfarktes erklären, jedoch nicht, warum sich dieser nicht überwiegend migräneartig präsentiert. Weiterhin ist eine CSD mit einer folgenden Phase von Hypoperfusion als Trigger eines ischämischen Events bei anderen prädisponierenden Faktoren denkbar.

Neben der CSD werden weitere Mechanismen diskutiert, die die Migräne als Risikofaktor für den ischämischen Hirninfarkt erklären könnten. Hierzu zählen die endovaskuläre Dysfunktion, Vasokonstriktion sowie eine erhöhte Prävalenz zerebrovaskulärer Risikofaktoren und Hyperkoagulabilität bei Migränepatientinnen und -patienten. Außerdem ist beispielsweise das Vorkommen von kardialen Auffälligkeiten wie dem Persistierenden Foramen Ovale (PFO) unter Migränepatientinnen und -patienten erhöht, welches über den Mechanismus der paradoxen Embolie zu embolischen Hirninfarkten führen kann. Außerdem bestehen genetische Prädispositionen, welche sich mit Migräne als auch Hirninfarkten manifestieren, darunter MELAS und CADASIL. Ähnlich dem Auslösemechanismus einer Migräneattacke kann es in Folge eines Hirninfarktes zur Aktivierung trigeminovaskulärer Afferenzen und zur Freisetzung vasoaktiver Substanzen im trigeminovaskulären System kommen, was zum Symptom Kopfschmerz führt. Eine plausible Erklärung für die höhere Prävalenz von Kopfschmerzen bei Infarkten im vertebrobasilären Stromgebiet liegt in der stärkeren Nozizeptorendichte und der besonderen meningealen Innervation dieser Region.

Zusammenfassung

Kopfschmerz und Schlaganfall zählen zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen und erscheinen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich. Dennoch sind Zusammenhänge zwischen beiden Krankheitsbildern seit Jahrzehnten bekannt. Menschen mit Migräne mit Aura haben ein etwa doppelt so hohes Risiko, einen ischämischen Schlaganfall zu erleiden, besonders junge Frauen unter 45 Jahren, die rauchen oder orale Kontrazeptiva verwenden. Daher sollten Personen mit Migräne mit Aura gezielt zu zerebrovaskulären Risikofaktoren beraten und bei neuen oder unklaren neurologischen Symptomen auf ischämische Ereignisse hin untersucht werden. Nach einem ischämischen Hirninfarkt sind Kopfschmerzen ein häufiges, jedoch oft unterschätztes Symptom. Das Risiko für Kopfschmerzen ist vor allem bei kortikalen, nicht-lakunären Hirninfarkten, im vertebrobasilären Stromgebiet und bei jüngeren Frauen erhöht. Die Kopfschmerzen präsentieren sich häufig analog zu Kopfschmerzen vom Spannungstyp, seltener ähnlich einer Migräne und klingen häufig spontan ab. Persistierende Kopfschmerzen nach einem Hirninfarkt bestehen immerhin bei ca. 7–10 % der Betroffenen. Trotz zahlreicher Hypothesen sind die pathophysiologischen Zusammenhänge bislang nur unzureichend geklärt.

Autoren: Priv.-Doz. Dr. med. 
Torsten Kraya; Theresia Ehler

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