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Asthma und Allergien – Teil 1: Umweltfaktoren und Klimawandel

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Asthma und Allergien – Teil 1: Umweltfaktoren und Klimawandel

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mgo medizin

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9 MIN

Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Die Zahl der Menschen mit Asthma und ­allergischen Erkrankungen nimmt seit Jahren 
zu. Eine wesentliche Rolle bei den Ursachen kommt Umweltfaktoren zu. Im ersten Teil der ­Serie geht es um den Einfluss von Rauchen und Umweltschadstoffen sowie die Wechselwirkung von Luftschadstoffen und Allergieträgern.

Die Allergische Rhinitis (AR) ist mit typischen Symptomen wie Rhinorrhoe, Obstruktion, Juckreiz, Niesen und Tagesmüdigkeit verbunden. Mit der dieser Allergie gehen allergische und nicht-allergische Begleiterkrankungen einher. Hierzu zählen atopisches Asthma, allergische Konjunktivitis, atopische Dermatitis und chronische Rhinosinusitis (CRS). AR, CRS und atopisches Asthma können in chronische Atemwegs­inflammationen (CAI) einmünden.
CAI sind keine einheitlichen Krankheitsbilder, sie umfassen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen verschiedene Phänotypen und können sowohl allergische sowie nicht-allergische Ursachen haben. Grob können sie in Th1- und Th2-Phänotypen eingeteilt werden. Schwere eosinophile Verlaufsformen sind beispielsweise mit dem ASS-Intoleranz Syndrom (acetylsalicylic acid exacerbated respiratory disease (NERD/AERD)), der CRS mit Polypen und dem late-onset Asthma verbunden.
Von einer CAI sind weltweit mehr als 300 Millionen Patienten betroffen. Dabei variiert die Prävalenz der AR zwischen 15 % und 50 % in der Bevölkerung. Bis zu 85 % der Asthmapatienten leiden an AR und 15–38 % der AR-Patienten sind gleichzeitig an Asthma erkrankt.
Die Anzahl an Patienten mit atopischem Asthma und AR hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen und wird in vielen Ländern noch ansteigen. Neben der genetischen Prädisposition werden hierfür unterschiedliche Faktoren wie Luftverschmutzung, Tabakrauch, Einflüsse während der Schwangerschaft und im frühkindlichen Alter, Ernährungsgewohnheiten, Einschleppung neuer Allergene durch Neophyten, sowie eine verminderte Auseinandersetzung des Immunsystems mit der Umwelt (Hygiene-Hypothese) verantwortlich gemacht. Megatrends wie der Klimawandel, Bevölkerungswachstum und zunehmende Urbanisierung können diese Effekte weiter verstärken. Die sozioökonomische Belastung ist daher bereits heute hoch und wird weiter steigen, weshalb präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Allergien empfehlenswert sind.

Rauchen und Atemwegerkrankungen

Die Exposition von Passivrauchen sowie aktivem Rauchen bei Jugendlichen und sogar Kindern ist weltweit hoch. Rauchen während der Schwangerschaft ist noch immer häufig und die geschätzten Raten variieren zwischen 17 und 30 %. Zigarettenrauchen ist das größte vermeidbare Risiko für alle schwangerschaftsbedingten Erkrankungen und Mortalitäten. Zahlreiche Studien haben den Einfluss von Tabakrauch auf das Risiko einer chronischen Atemwegsentzündung (CAI) sowie auf den Schweregrad von Asthma bronchiale bestätigt.
Jüngere Daten weisen darauf hin, dass dieses ­Risiko sogar durch mögliche epigenetische Mechanismen durch die Generationen von Großmüttern an Enkelkinder übertragen werden kann. Eine 2014 durchgeführte Meta-Analyse ergab, dass das aktive Rauchen bei Erwachsenen zwar nicht das AR-Risiko, jedoch das Risiko für eine nichtallergische Rhinitis erhöht. Auf der anderen Seite war die AR mit Passivrauchen bei Erwachsenen assoziiert. Bei Kindern und Jugendlichen hat sowohl das Passivrauchen als auch aktives Rauchen die Häufigkeit der AR erhöht. Die Studiengruppe schätzte, dass 14 % der AR durch aktives Rauchen verursacht wurde. Folglich könnte jeder siebte Fall von AR durch Nichtrauchen im Kindes- und Jugendalter vermieden werden. Die Reduzierung des Rauchens bleibt daher die einfachste und eine der konkretesten Möglichkeiten der praktischen CAI-Prävention. Studien haben gezeigt, dass Rauchen während der Schwangerschaft das Risiko für Keuchen in der Kindheit erhöht, ebenso das Risiko für Asthma bei Nachkommen in der frühen Kindheit, im Vorschulalter, bei Jugendlichen und bei Erwachsenen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit von Strategien, um Frauen im gebärfähigen Alter und Eltern mit Kindern dazu zu ermutigen, das Rauchen endgültig einzustellen, um das AR- und Asthma-Risiko der Nachkommen zu verringern.

Umweltschadstoffe

Bislang ist noch nicht hinlänglich bekannt, welche Umweltfaktoren für die kontinuierlich ansteigenden Zahlen von Sensibilisierungen verantwortlich sind. Der „westliche Lebensstil“ scheint eine klare Korrelation zur Entwicklung von Atemwegsallergien zu besitzen. Grundlage sind die Ergebnisse aus großen epidemiologischen Studien (Ost-West-Studien und Karelia-Studien). Umweltschadstoffe können das ökologische Gleichgewicht stören und zu einer ernsthaften Gefahr für Menschen, Tiere und Pflanzen werden. Industrialisierung und Globalisierung setzen verschiedenste Chemikalien in die Umwelt frei. Nach Listung der Chemical Abstract Services der Amerikanischen Chemischen Gesellschaft sind derzeit an organischen und anorganischen Stoffen weltweit mehr als 175 Millionen bekannt. Etwa 80.000 dienen der Herstellung von Basischemikalien. Viele sind darüber hinaus als Bestandteile in gängigen Pflanzenschutzmitteln, Arzneimitteln, Kosmetika und Lebensmitteln etc. enthalten.
Als Umweltschadstoffe werden Stoffe oder Stoffgemische definiert, die in die belebte und unbelebte Umwelt freigesetzt werden und zu Schäden an Pflanzen, Mensch und Tier führen. In menschlichen Proben können heute mehr als 300 Umweltchemikalien oder deren Metaboliten gemessen werden. Bei etwa 22 Umweltchemikalien (POP, Persistent Organic Pollutants, früher „dirty dozen“ genannt) oder Gruppen von Chemikalien werden Beeinträchtigungen der Gesundheit des Menschen angenommen.
Diese Belastung mit Fremdstoffen (Xenobiotika) könnte Einfluss auf die Allergieentstehung haben, was derzeit wissenschaftlich untersucht wird35. Schäden, die durch Umweltschadstoffe hervorgerufen werden, entwickeln sich häufig nur schleichend und lassen sich erst nach langer Zeit nachweisen. Umweltschadstoffe können auch durch die wiederholte Aufnahme kleiner Mengen zu Schäden führen sowie durch die kombinierte Aufnahme mehrerer Schadstoffe – gleichzeitig oder nacheinander. Im Gegensatz zu klassischen „toxischen“ Effekten sind hier niedrig dosierte Schadstoffe und kumulative Effekte bedeutsam. Die individuelle Suszeptibilität spielt für die Expositionswirkung eine entscheidende Rolle. Das Forschungsgebiet der „Allergo­toxikologie“ befasst sich mit dem Einfluss von Umweltschadstoffen auf Entstehung, Auslösung und Unterhaltung allergischer ­Reaktionen.

Luftschadstoffe

Luft ist ein komplexes Aerosol und enthält, neben gasförmigen, auch immer partikuläre Stoffe. Für die Wirkung auf den Atemtrakt sind der aerodynamische Durchmesser und die Form des jeweiligen Partikels entscheidend. Entsprechend der Stelle, an der sich die Partikel im Atemtrakt absetzen, wird daher in der Arbeitsmedizin eine Unterscheidung in einatembare, thorax- und alveolengängige Partikelfraktion vorgenommen. Für die gesetzlichen Normen in der Außenluft sind die Parameter PM10 und PM2.5 ausschlaggebend. Die WHO geht davon aus, dass 44 % aller Asthmaerkrankungen global umweltbedingt sind und durch geeignete Präventionsmaßnahmen vermeidbar wären. Ebenfalls zur Vermeidung von Asthmaerkrankungen dient die Richtlinie 2008/50/EG38, in der Grenzwerte für Stickstoffdioxid, Feinstaub (PM10, PM2.5), Schwefeldioxid, Benzol, Kohlenmonoxid und Blei festgelegt wurden. Z.B. gelten europaweite Grenzwerte für die Feinstaubfraktion PM10. Dieser Tagesgrenzwert beträgt 50 μg/m3 und darf nicht häufiger als 35-mal im Jahr überschritten werden. Der zulässige Jahresmittelwert beträgt 40 μg/m3. Für die PM2,5-Fraktion gilt seit 2008 europaweit ein Zielwert im Jahresmittel von 25 μg/m3, der seit dem 1. Januar 2015 verbindlich einzuhalten ist. Seit 1. Januar 2020 dürfen die PM2,5-Jahresmittelwerte 20 μg/m3 nicht mehr überschreiten. Dass Luftverschmutzung eine Rolle bei Asthma hat, wurde durch ein internationales Panel zusammen­gefasst.
Der Grad der Luftverschmutzung, gerade durch PKWs, ändert sich mit der Zeit durch Verbesserungen in der Technik der Verbrennungsanlagen. Spätere Metaanalysen an europäischen Geburtskohorten zur Bedeutung von Verkehrsbelastung für allergische Reaktionen zeigen keine so deutlichen Effekte. Stickstoffdioxid (NO2) als gasförmiges Oxidationsprodukt aus NO bei Verbrennungsprozessen stellt ein Risiko für die Asthmaentwicklung dar. Der Tagesgrenzwert liegt bei 200μg/m3, das Jahresmittel darf nicht höher als 40μg/m3 sein. In einer Meta-Analyse an 41 weltweit durchgeführten Studien zur Asthmaentwicklung lag das relative Risiko bei 1,48 (d.h. ein Anstieg um 48%), wenn die mittlere jährliche Belastung mit Stickoxiden über 30 μg/m3 liegt. Es ist schwierig die Exposition gegen NO2 gesondert zu analysieren, weil NO2 das atmosphärisch erzeugte Oxidationsprodukt von NO aus Verbrennungsmotoren ist (meistens Dieselfahrzeugen). Gleichzeitig mit NO wird dort PM2.5 und UFP ausgestoßen. Welcher Faktor nun was bestimmt, kann da nicht abgeleitet werden. Das Gemisch ist gesundheitsschädlich, welche Komponente aber ausschlaggebend ist, kann aus epidemiologischen Studien schwierig abgeleitet werden. Metaanalysen legen nahe, das die Effekte von PM2.5 stärker sind als die Effekte von Stickstoffdioxid.
Nach ihrer Entstehung können Luftschadstoffe eingeteilt werden in „primäre“, die direkt in die Atmosphäre emittiert werden, und „sekundäre“, die erst in der Luft durch chemische Reaktionen entstehen. SO2, flüchtige organische Substanzen (Volatile Organic Compounds VOCs), NO sowie einige Schwebstaubpartikel werden als solche emittiert. Dagegen entstehen sekundäre Luftschadstoffe wie Ozon, NO2 oder sekundäre Partikel (z.B. Ammoniumnitrat oder größere Dieselruß-Partikel), erst in der Atmosphäre durch chemische und physikalische Prozesse. Nach dem Aggregatzustand werden gasförmige und partikuläre Luftschadstoffe unterschieden, die meist als Gemische verschiedener Substanzen vorliegen. Z.B. hängt die Abgas-Partikelkonzentration davon ab, in welcher Entfernung vom Auspuff gemessen wird: heiße gasförmige Luftschadstoffe kristallisieren in der kälteren Außenluft aus und sorgen für mehr Partikel. Es ist also wichtig die Zusammensetzung der Luftpartikel in Betracht zu ziehen, nicht nur ihre Anzahl oder ihr Gewicht. Dies ist ein Nachteil der gesetzlichen Feinstaubgrenzwerte.
Die Wechselwirkung zwischen Schadstoffen und Allergenträgern bzw. Allergenen ist vielfältig und nicht monokausal. Bis heute ist daher auch kein einziger Schadstoff mit Umweltrelevanz bekannt, der als Einzelsubstanz beim Menschen die Entstehung von IgE-vermittelten Allergien begünstigen würde. Im Human- und Tierexperiment sind hierzu Schadstoffgemische (wie z.B. Dieselruß-Partikel) verwendet worden. Luftschadstoffe können auf verschiedenen Ebenen Einfluss auf die Allergieentstehung nehmen. Zahlreiche Studien belegen, dass Verkehrsbelastung in der Außenluft ein wesentlicher allergiefördernder Faktor ist. Dies hat sich in klinischen Untersuchungen, in epidemiologischen Programmen und in tierexperimentellen Studien gezeigt. Die Belastung mit ultrafeinen Partikeln kann über einen längeren Zeitraum (bis zu zwei Wochen) zu einer Verstärkung der allergischen Reaktion im Organismus führen. Hinzu kommen die Interaktionen zwischen Schadstoffen und Allergenträgern.
Pollen können neben Allergenen auch hochaktive Lipidmediatoren (pollenassoziierte Lipidmediatoren, PALMs) und das Nukleosid Adenosin freisetzen, die sowohl entzündungsfördernd als auch immunmodulierend im Sinne einer Verstärkung der Allergieentstehung wirken können. Pollen verbleiben meist nur einen Tag in der Umluft – und ob diese Zeit ausreicht diese Mediatoren zu ändern wurde noch nicht untersucht. Allerdings konnte eine Einwirkung von Luftschadstoffen auf Pflanzen die allergene Pollen produzieren, durch eine Steigerung ihrer Allergenität nachgewiesen werden.

Autor: Prof. Dr. med. 
Ludger Klimek

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