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Bundestagswahl – und was nun?: Das goldene Zeitalter der Hausärzte – 
am Horizont der Politik

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Bundestagswahl – und was nun?: Das goldene Zeitalter der Hausärzte – 
am Horizont der Politik

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mgo medizin

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Der Allgemeinarzt als Lotse und Taktgeber im Gesundheitssystem ist das Idealbild von Gesundheits­politikern für die neue Legislaturperiode bis 2029. Die notwendige Versorgungssteuerung soll in 
der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) gelingen, angereizt durch Beitrags-Boni und zügige ­Überweisungstermine beim Facharzt. Naht nun etwa das goldene Zeitalter der Hausärzte?

Diese Erwartung drängte sich am Ende des Online-Townhall-Meetings des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands (HÄV) kurz vor der Bundestagswahl auf. Dabei ging es nicht um die Bilanz der gescheiterten „Ampel“-Koalition, sondern um die gesundheitspolitischen Leitplanken der neuen Legislaturperiode bis 2029. Dabei herrschte ein Grundkonsens der Parteien: Ohne Steuerung durch Hausärzte wird das System vor die Wand fahren.

Kampf gegen die Eiterbeulen des 
Gesundheitssystems

Dr. Stephan Pilsinger, CDU/CSU-MdB und Mitglied im Ausschuss für Gesundheit sowie Facharzt für Allgemeinmedizin mit Zusatzweiterbildung für Betriebsmedizin, sagte den „Eiterbeulen des Gesundheitssystems“ den Kampf an. Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Co-Bundesvorsitzende des HÄV, nahm Pilsingers drastische Metapher auf und hatte ein Antiseptikum im Gepäck: Die Steuerung durch Hausärzte in der Hausarztzentrierten Versorgung. Die Hausärztin sprach ein Gutachten des GKV-Spitzenverbands an und nannte zwei Ingredienzen der neuen Medizin: Gute Honorare und eine zentrale Lotsenfunktion des Hausarztes. Der Co-Bundesvorsitzende Dr. Markus Beier präsentierte sogleich den Slogan für die Gesundheitspolitik in der neuen Legislaturperiode: „Wir brauchen in der neuen Regierungskoalition ein hausärztliches Stärkungsprogramm.“ Die Verabschiedung des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) im Bundestag sei ein erster Schritt.

Christine Aschenberg-Dugnus, scheidende Bundestagsabgeordnete der FDP und Architektin der GVSG-Einigung in letzter Minute, beklagte 5.000 unbesetzte Hausarzt-Stellen. „Die Entbudgetierung wird ein erster Baustein für die Zukunft sein. Für mich ist es eine Unverschämtheit, wenn notwendig erbrachte Leistungen in den Praxen nicht honoriert werden.“ Der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Mieves ist Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen spezialisiert. Die Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen ist für Mieves ein „wichtiger Schritt, um den Teams in den Praxen zu signalisieren, dass ihre Arbeit wichtig und wertgeschätzt ist. Aber nur einer von vielen Schritten, die noch kommen müssen“. Mit Entbudgetierung und neuen Chronikerpauschalen seien wichtige Schritte getan. Funktionierende Digitalisierung helfe zusätzlich. „Die Einführung einer Bagatellgrenze in Höhe von 300 Euro im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfungen von ärztlich verordneten Leistungen kann eine Vereinfachung darstellen.“

Um die ambulante Versorgung auf dem Land zu sichern, erwähnte Mieves die Gründung kommunaler Medizinischer Versorgungszentren. Hinzu müssten Erleichterungen in der Dokumentation und Diagnostik durch künstliche Intelligenz sowie mehr Telemedizin kommen. All das würde auch Teilzeitmodelle oder flexibles Arbeiten erleichtern. Es dürfte niemals heißen: „Vollzeit oder gar nichts.“

Der Primärarzt heilt die Fehl- und Überversorgung

Um die Fehl- und Überversorgung im deutschen Gesundheitswesen zu beenden, plädierte die FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus für mehr Steuerung. „Ohne eine Steuerung im System sucht der Patient zunächst mehrere Fachärzte auf, weil er das einfach nicht beurteilen kann. Wir müssen auch sehen, dass nicht alle Menschen einen Hausarzt haben. 90 % werden sich über einen Hausarzt in das Primärversorgungsmodell einschreiben; manche Frauen werden das eher bei ihrer Gynäkologin tun“, unterstrich Aschenberg-Dugnus. Die FDP will eine Einschreibung nicht zur Pflicht machen, sondern setzt eher auf eine Bonifizierung. „Der Hausarzt ist prädestiniert dafür, diese Lotsenfunktion im ­Gesundheitssystem zu übernehmen.“

Die Grünen setzen auf Anreize 
zur HZV-Einschreibung

Dr. Janosch Dahmen, MdB von Bündnis 90/Die GRÜNEN, ist gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Ausschuss für Gesundheit des Bundestags. Auch er hält eine bessere Patienten-Steuerung in der Primärversorgung in der neuen Legislatur für unabdingbar. „Ich bin sehr dafür, die HZV für Patienten zu modifizieren, indem wir Versicherten-Tarife für die HZV anbieten, die monetäre Anreize für Versicherte setzen“, betonte der Grünen-Gesundheitspolitiker. Diese Bonifizierung und eine priorisierte Berücksichtigung bei der Terminvergabe beim Facharzt seien die Incentives, die man Patienten für eine Einschreibung in eine hausarztzentrierte Primärversorgung anbieten könnte.

Der Weg in die fachärztliche Versorgung führt dann nur noch über die Überweisung des Hausarztes. Davon ausgenommen könnten Fachärzte mit einem hohen Anteil an Primärversorgung sein. „In Zeiten des demografischen Wandels mit immer weniger Personal können wir uns keine vertikale freie Arztwahl mehr leisten, sondern nur noch die horizontale Entscheidung für einen Hausarzt als Primärarzt“, erläutere Dahmen sein Konzept. Darüber hinaus könne ein direkter Facharzt-Besuch nur in Fragen des Fachgebietes beim grundversorgenden Gebietsarzt infrage kommen. In allen anderen Fällen mache eine Steuerung durch den Lotsendienst des Hausarztes Sinn.

CDU/CSU wollen den Hausarztmangel bekämpfen

Dr. Stephan Pilsinger ist CDU/CSU-MdB und ebenfalls Mitglied im Ausschuss für Gesundheit. Der Facharzt für Allgemeinmedizin hat eine Zusatzweiterbildung für Betriebsmedizin und arbeitet gemeinsam mit einer Kollegin als niedergelassener Hausarzt in einer Praxis zwischen Augsburg und Ulm in Bayern. In der Region sind laut Pilsinger 60 % der Hausärzte älter als 60 Jahre alt. „Sechs Arztsitze in dieser Planungsregion sind unbesetzt. Der Nachwuchsmangel nähert sich immer mehr den Städten. Wenn es schon in Landsberg, also im Speckgürtel Münchens, unbesetzte Hausarzt-Sitze gibt, dann macht mich das sehr besorgt“, betonte Pilsinger im Townhall-Talk.

Auch der CSU-Gesundheitspolitiker wies dem Hausarzt der Zukunft eine zentrale Rolle in der Steuerung des Gesundheitssystems zu. „Das HZV-Modell ist der Schlüssel dazu. In der neuen Legislatur müssen wir eine Bonifizierung des HZV-Modells schaffen. Die Gesetzlichen Kranken­kassen müssen verpflichtet werden, eine solche Bonifizierung umzusetzen. Die Nutzung eines Primärarztes wird dann im Monat oder im Quartal mit einem Betrag x angereizt. Bei Verstößen wird dieser finanzielle Vorteil wieder gestrichen“, sprach Pilsinger Klartext. Der Hausarzt sei der Lotse im System; es gehe nur noch mit Steuerung. Die Fehl- und Überversorgung im deutschen Gesundheitswesen sei das Kardinal-Problem, weil Ressourcen für nicht unbedingt notwendige Leistungen verwendet würden. Für wirklich bedürftige Patienten fehlten dann oft Zeit und Geld.

Hausärzteverband fordert HZV im Selektivvertrag

Zehn Millionen Menschen sind bereits in die Hausarztzentrierte Versorgung eingeschrieben. Das sind viele Patienten, aber trotzdem hat die HZV-Landkarte im Westen, Osten und Norden noch viele weiße Flecken. Sollte die HZV-Einschreibung also verpflichtend werden? Der Hausärzteverband ist da skeptisch. „Die reine Verpflichtung zur HZV wird nur dazu führen, dass Patienten am Tresen eine Überweisung zum Facharzt erhalten. Die Freiwilligkeit in der HZV ist der entscheidende Grund dafür, dass es funktioniert“, meint der Bundesvorsitzende Beier.

Die Bundesvorsitzende Buhlinger-Göpfahrt ergänzt: „Steuerung in der HZV ist top, aber Steuerung in der HZV im Kollektivsystem wäre ein Flopp.“ Die Hausarztzentrierte Versorgung sei ein freiwilliges hausärztliches Steuerungsmodell. Sehr gut funktioniert die HZV in Baden-Württemberg – auch deshalb, weil dort kombinierte Hausarzt-Facharzt-Selektivverträge für eine gute hausärztlich-fachärztliche Koordination sorgen. In Baden-Württemberg gibt es eine priorisierte Berücksichtigung bei der Terminvergabe. „Ein Patient in diesem Vertragssystem erhält innerhalb von 14 Tagen einen Termin bei einem Facharzt. Gesundheitsökonomisch ist die HZV eine der am besten evaluierten Interventionen überhaupt“, weiß Buhlinger-Göpfahrt.

Steuerung soll auch Leitprinzip 
der Notfall-Reform werden

Wie die reguläre ambulante Versorgung soll auch die Versorgung in den Notaufnahmen der Krankenhäuser oder über die ambulante Rufnummer 116117 durch konsequente Steuerung kontrolliert werden. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Stephan Pilsinger zeigte viel Sympathie für das dänische Modell der telefonischen Triagierung mit Zugangs-Code. „Nur so gelangt ein Patient dort in die Notaufnahme. Ein Anruf, eine ärztliche Einweisung oder der Rettungsdienst sind die einzigen Pfade in die Notaufnahme eines Krankenhauses“, erläuterte Dr. Pilsinger. Eine Hotline mit ordentlicher Beratung nach dänischem Muster sei keine schlechte Idee. „Viele Patienten werden dann beruhigt sein und nicht in die Notaufnahme gehen.“

Pilsinger war nah Dr. Janosch Dahmen, der die Kassenärztlichen Vereinigungen in der Pflicht sah, die Strukturen stärker zu ertüchtigen und leistungsfähiger zu machen. Schon am Anfang der Kette müsse niedrigschwellige Hilfe verfügbar sein. In Dänemark sei eine teleärztliche Beratung durchgehend verfügbar. „Bei uns fehlt das meist und deshalb sind die Patienten in Deutschland häufiger in Notaufnahmen. Ich weiß das, weil ich in Berlin an der Implementierung einer teleärztlichen Beratung über die 116117 beteiligt war“, berichtete Dahmen. Der aufsuchende Bereitschaftsdienst konnte in Berlin laut Dahmen um 70 % gesenkt werden, weil eine teleärztliche Beratung digital oder telefonisch zur Verfügung gestanden hätte.

Digitalisierung ist der Schlüssel 
für mehr Effizienz

Digitalisierung und Steuerung sind zwei Seiten einer Medaille. „Die Digitalisierung ist der Schlüssel zur Effizienzsteigerung im Gesundheitssystem“, unterstrich Pilsinger. Der MdB forderte in der Townhall ein „Praxiszukunftsgesetz mit Förderungen für die Digitalisierung“. Die Nutzung digitaler Instrumente solle belohnt werden, anstatt immer nur mit Sanktionen auf die Verweigerung zu reagieren. Nur damit könne auch die wuchernde Bürokratie in den Praxen beschnitten werden.

HÄV-Chefin Nicola Buhlinger-Göpfahrt strahlte am Ende übers ganze Gesicht: „Wenn man die Statements heute gehört hat, drängt sich mir ein Schluss auf: Das goldene Zeitalter der Hausärztinnen und Hausärzte bricht an.“ Hoffentlich folgt auf so viel Euphorie nicht ein böses ­Erwachen aus den allgemeinärztlichen 
Träumen.

Autor: Franz-Günter Runkel

Quelle: Der Allgemeinarzt

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