Bei Schwindelerkrankungen (Vertigo) handelt sich um einen unspezifischen Begriff, der unterschiedliche subjektive Wahrnehmungen beinhalten kann. Gestört ist oft die räumliche Empfindung, verbunden mit einer Unsicherheit des Gleichgewichtgefühls und daraus resultierender Gangunsicherheit. Betroffene empfinden die Symptome als unangenehm und mitunter sogar als beängstigend.
Peripher-vestibuläre Schwindelformen können durch Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans im Innenohr (zum Beispiel Menière-Krankheit) oder Entzündungen des Gleichgewichtsnervs (Neuritis vestibularis) ausgelöst werden. Auch eine Migräne kann mit Schwindel einhergehen (vestibuläre Migräne). Bei den zentralen Schwindelformen sind die Kerne der Gleichgewichtsnerven im Hirnstamm oder das Kleinhirn betroffen. Ursache sind hier in erster Linie Durchblutungsstörungen, Entzündungen (zum Beispiel Multiple Sklerose) oder Tumore.
Die Bandbreite der Differenzialdiagnosen reicht von harmlosen, gut zu behandelnden Zuständen bis hin zu akut lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Hirnstamminfarkt oder schweren Herzrhythmusstörungen. Neben den Funktionsstörungen des Gleichgewichtssinns kommen auch psychische Erkrankungen als Ursache in Betracht, ausgelöst durch unterschiedliche Ängste, Reaktionen auf aktuelle Konflikte und psychosoziale Stressfaktoren (zum Beispiel Panikattacken). Die Übergänge sind fließend. Viele ursprünglich organisch bedingte Schwindelerkrankungen können im späteren Verlauf in einen psychogenen Schwindel übergehen, der dann häufig im Vordergrund steht. Da bei dieser Form des Schwindels die Gefahr einer Chronifizierung besteht, ist eine initiale fachärztliche Abklärung wichtig.
Diagnostik
Am Anfang steht die genaue Anamneseerhebung. Das Schwindelgefühl kann durch gezieltes Nachfragen in Schwindel mit Bewegungsillusion (Drehschwindel), horizontale Schwankbewegung (Schwankschwindel), vertikale Liftbewegung (Liftschwindel) oder gerichtetes Fallgefühl zu einer Seite (Lateropulsion, Propulsion, Retropulsion) differenziert werden.
Ein Drehschwindel spricht für das Vorliegen eines benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels. Bei einem Schwankschwindel sollte man an eine bilaterale Vestibulopathie, eine zervikovertebrale Ursache oder Durchblutungsstörungen im Kleinhirn oder Hirnstamm denken.
Therapie
Können bedrohliche Ursachen des Schwindels wie ein ausgeprägtes kardiovaskuläres Risikoprofil, fehlender Schwindel in der Vorgeschichte, erstmaliges Auftreten und perakuter Beginn, fehlende schwindelspezifische Trigger (zum Beispiel Beginn in Ruheposition), das Auftreten spezifischer Begleitsymptome oder zentrale fokal-neurologische Symptome wie Doppelbilder, Sensibilitätsstörungen, Koordinationsstörungen, Paresen, akute Gang-/Standstörung, neuartige Kopfschmerzen, Dyspnoe oder Brustschmerzen ausgeschlossen werden, ist es wichtig, den Patienten zunächst zu beruhigen. Über einen begrenzten Zeitraum können Antivertiginosa wie eine Kombination aus Cinnarizin und Dimenhydrinat oder Betahistin eingesetzt werden. Beim Lagerungsschwindel hat sich eine Schulung auf die sogenannnte Epley Manöver bewährt.
Der Fall
Die 76-jährige Patientin ist in der Praxis bekannt. Sie leidet seit frühester Kindheit an sehr diffusen körperlichen Beschwerden wie spontan auftretenden Parästhesien der Arme und Beine oder paroxsysmalen Tachycardien, ohne dass hierfür bisher ein pathomorphologisches Substrat gefunden werden konnte. Es besteht ein seit vielen Jahren bekannter und medikamentös gut eingestellter Hypertonus.
Aktuell klagt sie über heftige, rezidivierende Schwindelzustände, die sie als horizontale Schwankbewegungen, verbunden mit einer Gangunsicherheit und vereinzeltem Auftreten von Übelkeit beschreibt.
Eine Ganzkörperuntersuchung, verbunden mit einer orientierenden neurologischen und einer psychosomatischen Abklärung führt zu keinen weiteren Befunden. Da die Patientin über 70 Jahre und eine Einstufung in einen Pflegegrad vorhanden ist, wird auch ein geriatrisches Assessment durchgeführt. Zur weiteren differenzialdiagnostischen Abklärung erhält die Patientin Termine innerhalb von 14 Tagen bei einem HNO-Arzt und einem Neurologen.
Abrechnung der erbrachten Leistungen nach EBM beim Erstkontakt
Sowohl die neurologische als auch die HNO-ärztliche Untersuchung bestätigen die vermutete Diagnose einer Durchblutungsstörung im Kleinhirnbereich ohne wesentliche Läsionen. Da beim geriatrischen Assessment der Timed „up & go“- Test negativ ausfällt, wird die Patientin über die prognostische Unbedenklichkeit des Befundes aufgeklärt, eine geriatrische Betreuung begonnen und zur vorübergehenden Einnahme ein antivertiginös wirksames Medikament verordnet.
Entbudgetierung des hausärztlichen Honorars
Bei dem geschilderten Fallbeispiel kommt als Ersatz für den Ansatz der GOP 03005 und 03220/03221 die neue Versorgungspauschale zum Ansatz. Sie wird für die insgesamt in diesem Krankheitsfall (4 Quartale) erbrachten Leistungen im Voraus gezahlt, wenn es im Folgequartal auch zu einem persönlichen Arzt-Patientenkontakt (pAPK) kommt. Bei der weiteren Betreuung der Patientin müsste dann darauf geachtet werden, dass jeweils innerhalb von vier Quartalen an zwei aufeinanderfolgenden Quartalen ein pAPK erfolgt, damit der Ansatz der Versorgungspauschale gewährleistet ist. Auch die neue Vorhaltepauschale setzt eine solche Kontaktfolge voraus, kann aber erst berechnet werden, wenn definierte hausärztliche Leistungen, wie zum Beispiel eine bei einer über 70 Jahre alten Patientin mögliche geriatrische Versorgung, erbracht werden. Was die hier berechneten Einzelleistungen betrifft, so werden alle – außer der GOP 35100 – entbudgetiert und damit zu einem festen Eurobetrag vergütet.
Autor: Dr. med. Gerd W. Zimmermann
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