120 Delegierte aus ganz Deutschland trafen sich zum 46. Hausärztinnen- und Hausärztetag in Berlin. Facharzt-Hausarzt-Selektivverträge nach dem baden-württembergischen Vorbild sollen zum Muster eines bundesweiten Primärarzt-Systems werden. Weitere Themen waren die Forderung nach einer schnellen GOÄ-Einführung und nach dem Verzicht auf Arznei-Regresse. Überraschend kritisch wurde das HÄPPI-Modell in Einzelpraxen diskutiert.
Die Bundesvorsitzenden des Hausärzteverbands, Dr. Markus Beyer und Prof. Nicola Buhlinger-Göpfahrt (im Bild), kündigten an, zukünftige Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung (HZV) nach dem Modell der kombinierten Hausarzt-Facharzt-Selektivverträge in Baden-Württemberg aufzubauen. Der Hausärzteverband pries den Selektivvertrag als Option einer stärkeren Unabhängigkeit vom Kollektivvertragssystem an. Ob damit auch eine Entbudgetierung der Fachärzte gemeint war, wurde nicht deutlich.
Der von der Delegiertenversammlung beschlossene Antrag fordert den Gesetzgeber auf, ergänzend zu den bestehenden HZV-Verträgen auch flächendeckende Facharztverträge einzuführen und Krankenkassen, die solche Verträge schließen, aktiv zu fördern. Facharzttermine würden in einem solchen Versorgungssystem künftig vorrangig über die hausärztlich koordinierte Versorgung vergeben werden. „Ziel ist es, die praxisübergreifende Zusammenarbeit durch klare Versorgungspfade zu stärken und Patientinnen und Patienten so den Zugang zu notwendigen fachärztlichen Leistungen schneller, passgenauer und koordinierter zu ermöglichen – ohne zusätzliche Bürokratie oder Parallelstrukturen“, unterstrichen die Allgemeinärzte.
HZV soll zum schnellen Facharzt-Termin führen
Interessant war auch die Begründung des Antrags. „Wer (…) heute auf einen Facharzttermin wartet, sieht sich häufig mit langen Wartezeiten, unklaren Zuständigkeiten und fehlender Orientierung konfrontiert. Die Antwort liegt nicht in neuen Verwaltungsstrukturen wie der Terminservicestelle, sondern in der klugen Nutzung bestehender Versorgungslogiken. Die Hausärztin oder der Hausarzt kennt die medizinische Situation der Patientin oder des Patienten am besten – und kann einschätzen, ob und wann eine fachärztliche Abklärung nötig ist. In Baden-Württemberg zeigen die Hausarzt-Facharzt-Verträge, wie das konkret funktioniert: mit definierter Zusammenarbeit, direkter Kommunikation und digitalen Lösungen (…) Statt auf zentrale Terminvergabe zu setzen, sollte die Politik den Weg frei machen für flächendeckende Modelle hausärztlicher Koordination, in denen Facharzttermine gezielt und bedarfsgerecht vergeben werden.“
Der Co-Vorsitzende Dr. Markus Beier verband mit solchen Verträgen die Forderung, dass Patienten, die dringend einen Facharzt brauchen, relativ schnell einen Termin beim Facharzt erhalten können. Ohne HZV müssten Patienten dann aber in Zukunft mit sehr langen Wartezeiten auf einen Termin beim Facharzt rechnen.
Hausärztetag für schnelle GOÄ-Einführung
Einstimmig forderten die Hausärzte in einem weiteren Antrag die zügige Umsetzung der vom Ärztetag beschlossenen Gebührenordnung für Ärzte. Ebenfalls einstimmig fiel das Votum für die Forderung nach der Abschaffung von Regressen bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen aus. Reale Arzneimittelpreise würden durch die Implementierung vertraulicher Erstattungsbeträge nach § 130b SGB V (AMNOG) geheim zwischen GKV-Spitzenverband und pharmazeutischer Industrie verhandelt; das gelte ebenso für geheime Rabattverträge einzelner Krankenkassen. „Damit ist es für die verordnende Ärzteschaft faktisch unmöglich, zu erkennen, welches Präparat tatsächlich ‚wirtschaftlich‘ ist“, steht in dem Antrag.
Viel hessische Kritik am HÄPPI-Modell
Überraschend emotional und kontrovers diskutierte der Hausärztetag das HÄPPI-Modell. Vertreter des hessischen Landesverbands artikulierten massive Einwände, ob das HÄPPI-Konzept überhaupt für Einzelpraxen geeignet sei. Zusätzlich forderte der Hausärzteverband Hessen, die Mitbestimmung von Einzelpraxen in HÄV-Gremien auszubauen. Viele Hausärztinnen und Hausärzte in kleinen Strukturen hätten gar nicht die Möglichkeit, medizinische Fachangestellte zu Primary-Care- Managerinnen bzw. Physician Assistants auszubilden.
Demografischer Wandel im Gesundheitssystem
72% einer HÄV-Befragung zum demographischen Wandel zeigten sich um ihre Versorgung in den Praxen besorgt. Gut drei von fünf Menschen stimmen zu, dass es grundlegende Reformen braucht – auch, wenn das Umstellungen für die Patientinnen und Patienten bedeutet. Etwa 63 % wären bereit, an einem Hausarztprogramm teilzunehmen, wenn dies zu einer besseren Versorgung führt. Das sind die Ergebnisse einer repräsentativen Civey-Umfrage unter 5.000 Bundesbürgern ab 18 Jahren im Auftrag des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Die zentralen Ergebnisse der Umfrage sind:
- Fast drei Viertel der Menschen machen sich Sorgen, dass die Versorgung in Haus- und Facharztpraxen wegen des demografischen Wandels künftig nicht ausreichend gewährleistet werden kann.
- Fast drei Viertel der Befragten finden, die Bundesregierung räumt der Sicherstellung der medizinischen Versorgung im Vergleich zu anderen politischen Themen nicht genug Priorität ein.
- Etwa 63 % wären bereit, an einem Hausarztprogramm teilzunehmen und bei allen gesundheitlichen Fragen immer zuerst ihre Hausarztpraxis aufzusuchen, wenn dies zu einer besseren Versorgung führt.
- Etwa 70 % der Befragten könnten sich vorstellen, einfache medizinische Anliegen wie Erkältungen oder Routinehausbesuche auch von nicht-ärztlichen Fachkräften versorgen zu lassen
Vor dem Hintergrund der Ergebnisse forderte der Hausärztinnen- und Hausärzteverband die schwarz-rote Koalition auf, den nötigen Reformwillen zu zeigen. „Die erste gute Nachricht ist: Die Politik hat bereits im Koalitionsvertrag den richtigen Weg aufgezeigt, indem sie sich für ein verbindliches Primärarztsystem mit fester Anlaufstelle in Haus- und Kinderarztpraxen ausgesprochen hat. Die zweite gute Nachricht: Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Wir haben mit der Hausarztzentrierten Versorgung, auch Hausarztprogramm genannt, bereits alles an der Hand, was wir benötigen – und die Menschen auf unserer Seite“, so die HÄV-Bundesvorsitzende Prof. Buhlinger-Göpfarth, Gerade ältere, chronisch kranke Menschen könnten von diesem Versorgungsmodell besonders profitieren. Evaluationen zeigen für Teilnehmende: Weniger medizinische Komplikationen, mehr Impfungen, weniger Krankenhauseinweisungen.
Bamberger PCM warb für mehr Delegation
Kerstin Petermann, Primary Care Managerin (PCM) in einer Hausarztpraxis in Bamberg, sprach sich angesichts des steigenden Versorgungsdrucks für mehr Delegation in den Praxen aus: „Wir Praxisteams können mit Blick auf die wachsende Zahl älterer Menschen einen enormen Beitrag in der Versorgung leisten – und das wollen wir auch. Immer mehr Medizinische Fachangestellte qualifizieren sich über Fortbildungen gezielt weiter oder schlagen dafür einen akademischen Weg ein, wie etwa zur Primary Care Managerin. Dadurch haben wir die notwendige Erfahrung, um deutlich mehr in den Praxen zu leisten und die Hausärztinnen und Hausärzte noch stärker zu entlasten“, unterstrich Petermann. Hierfür seien Modelle wie HÄPPI, in denen Patientinnen und Patienten durch ein multiprofessionelles Team in der Hausarztpraxis versorgt werden, essenziell. „Sie geben unserer Qualifikation eine Struktur im Praxisablauf und steigern den Wert unserer Arbeit! Und wir sehen in den Praxen: Die Patientinnen und Patienten sind offen dafür!“
Autor: Franz-Günter Runkel, freier Redakteur für die Ressorts Berufs- und Gesundheitspolitik sowie Wissenschafts- und Hochschulpolitik
Abb.: HÄV-Marco Urban



