Einen Blick hinter die Kulissen der Labordiagnostik ermöglicht die Biologin Dr. Brit Kieselbach vom Institut für Medizinische Diagnostik (IMD) in Berlin. Anhand von Patientenbeispielen erklärt die Expertin, wie ein Befund interpretiert wird und was zu beachten ist, um mögliche Fallstricke zu vermeiden.
Neben der Anamnese und ggf. der Bildgebung spielt die Labordiagnostik eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Autoim-munerkrankungen. Entscheidend sind hier die von autoreaktiven B-Zellen gebildeten Autoantikörper (AAk), zusätzlich können Entzündungsparameter, assoziierte HLA-Merkmale oder die Histologie weitere Hinweise liefern. Die Autoimmundiagnostik wird am IMD mit unterschiedlichen Methoden durchgeführt. Die wichtigsten sind der Immunfluoreszenztest (IFT), der Enzyme-linked Immuno Sorbent Assay (ELISA) sowie der Immunoblot/Lineassay.
Fallbeispiel 1: Erhöhte antinukleäre Antikörper
Eine 24-jährige Patientin klagte über Konzentrationsstörungen, Schwäche, Müdigkeit, Schmerzen an kleinen und großen Gelenken und zeigte das Raynaud-Syndrom. Damit bestand der Verdacht auf Rheuma – die Frage war nun, um welche rheumatische Erkrankung es sich handelt. In der Autoimmundiagnostik fielen deutlich erhöhte antinukleäre Antikörper (ANA, 1:10.000) auf. ANA sind wertvolle diagnostische Marker für systemische autoimmune Rheumaerkrankungen und typisch für Kollagenosen. Sie treten jedoch auch bei anderen entzündlichen rheumatischen Erkrankungen (z.B. rheumatoider Arthritis) sowie bei autoimmunen Lebererkrankungen, Infektionserkrankungen und Tumoren auf. Niedrige Titer lassen sich manchmal auch bei gesunden, vor allem älteren Menschen nachweisen. ANA richten sich gegen verschiedene Bestandteile des Zellkerns und – wie man inzwischen weiß – auch gegen zytoplasmatische Strukturen.
Das ANA-Screening erfolgt mittels indirektem IFT. Das Ergebnis enthält zwei Angaben: den ANA-Titer und das für die Lokalisation des Antigens charakteristische ANA-Fluoreszenzmuster (z.B. homogen oder granulär, nukleär oder nukleär randständig). Die Antigenlokalisation liefert erste orientierende Hinweise auf die zugrunde liegende Autoimmunerkrankung. Für eine genauere Zuordnung ist eine weiterführende ANA-Differenzierung erforderlich. Im vorliegenden Fall ergab die Differenzierung positive Signale für Doppelstrang(ds)DNA-AAk und Nukleosomen-AAk und somit deutliche Hinweise auf einen systemischen Lupus erythematodes.
Fallbeispiel 2: Verdacht auf Sjögren-Syndrom
Bei einer 35 Jahre alten Patientin bestand der Verdacht auf das Sjögren-Syndrom, da sie unter Augen- und Mundtrockenheit sowie Muskelschmerzen litt. Vom Labor wurden daher ein ANA- und ein ENA (extrahierbare nukleäre Antigene)-Screening angefordert. ENA sind eine Subgruppe von ANA. Ein positives ENA-Ergebnis gibt Hinweise auf die Zellkernstrukturen, gegen die sich die Autoantikörper richten, und somit auf die Art der Autoimmunerkrankung.
Bei der Patientin war ANA grenzwertig (1:100), das ENA-Sceening jedoch positiv. Die nachfolgende Differenzierung ergab den Nachweis von Autoantikörpern gegen das Sjögren-Syndrom Antigen A (SS-A-Ro-AAk, Sjögren’s-Syndrome-related Antigen A autoantibodies). SS-A-Ro-AAk sind insbesondere beim Sjögren-Syndrom nachweisbar, gelten aber auch als Marker verschiedener Lupus erythematodes-Formen. Sie können zudem bei negativem ANA-Test vorhanden sein! Das Sjögren-Syndrom gilt laut Kieselbach als die häufigste Kollagenose, sie wird meist bei Frauen mittleren Alters diagnostiziert.
Das in diesem Fall vorliegende primäre Sjögren-Syndrom ist eher selten und nicht mit einer weiteren autoimmunen Erkrankung assoziiert. Das sekundäre Sjögren-Syndrom tritt dagegen häufig zusammen mit systemischem und kutanem Lupus erythematodes (SLE), systemischer Sklerodermie, Multipler Sklerose oder autoimmuner Leber- und Schilddrüsenerkrankung auf. Aufgrund der Mundtrockenheit bzw. einem verminderten Speichelfluss haben die Betroffenen ein erhöhtes Risiko für Zahnprobleme wie Karies oder frühen Zahnverlust. Kollagenosen wie das Sjögren-Syndrom führen nicht nur zur Schädigung von Bindegewebe, sondern auch von Blutgefäßen und folglich zu einem multiplen Organ- und Gelenksbefall.
Fallbeispiel 3: ANA bei Infektionen
Ein 15-jähriger Patient litt unter Abgeschlagenheit, Hals-, Bauch- und Gelenkschmerzen. Sein ANA-Titer war deutlich erhöht (1:10000), zugleich fielen erhöhte Entzündungs- und Leberwerte auf. Die in der Infektionsdiagnostik gefundenen Antikörper gegen das Epstein-Barr-Virus (EBV) sprachen für eine kurz zuvor stattgefundene EBV-Infektion. Die ANA-Differenzierung brachte keine Ergebnisse.
Kieselbach gab zu bedenken, dass ANA bei entzündlichen Infektionen – z.B. auch nach einer COVID-19-Infektion – unspezifisch und passager auftreten können. Sie rät in diesen Fällen zu einer halbjährlichen Verlaufskontrolle.
Fallbeispiel 4: ANA richtig interpretieren
Bei einer 65-jährigen Patientin wiesen Allgemeinsymptome wie Abgeschlagenheit, Schmerzen und Schwellungen der Gelenke, Raynaud-Syndrom, trockene Schleimhäute sowie nachgewiesene ANA mit spezifischem Zielantigen auf eine Kollagenose. Der Befund zeigte zudem eine moderate Erhöhung der Thrombozyten, erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und erhöhtes C-reaktives Protein (CRP).
In der Autoimmundiagnostik wurden Rheumafaktoren vom Typ IgM und IgA, CCP (zyklisch citrullinierte Peptide)-AAk sowie ANA mit dem Fluoreszenzmuster dicht-feingranulär (DFS, dense fine speckled) nachgewiesen. Kieselbach zufolge findet sich eine moderate Thrombozytose häufig bei chronischen, entzündlichen Erkrankungen wie der Rheumatoiden Arthritis oder Kollagenosen, aber auch bei Vaskulitiden und entzündlichen Darmerkrankungen. Im Labor wurde zunächst eine mögliche Kollagenose abgeklärt, indem man zahlreiche Autoantikörper überprüfte. Der einzige positive Nachweis ergab Autoantikörper gegen DFS70 (DFS70-AAk).
Isoliert positive DFS70-AAk sprechen gegen das Vorliegen einer Kollagenose (DFS70-AAk ist negativ assoziiert mit Kollagenosen). Dafür gelten die Rheumafaktoren IgM, IgA und CCP-AAk als Klassifikationskriterien der Rheumatoiden Arthritis. Diese Laborwerte reichen jedoch nicht aus, um die Diagnose zu sichern. Gemäß der Klassifikation des American College of Rheumatology (ACR) und der European League Against Rheumatism (EULAR) müssen hierfür mindestens sechs von zehn Punkten aus vier verschiedenen Kategorien erreicht werden: Schmerz bzw. Schwellung an großen oder kleinen Gelenken, serologischer Nachweis von Rheumafaktoren und/oder Anti-Citrullinierte Protein-AAk, Akutphasenproteine wie CRP, Dauer der Symptome.
Fallbeispiel 5: Unklarer Verdacht auf Diabetes
Moderat erhöhte HbA1c- und Nüchternglukose-Werte wiesen bei einer 66-jährigen Patientin auf einen möglichen Diabetes mellitus hin. Die Insulinausschüttung (C-Peptid) lag jedoch im Normbereich. In der Autoimmundiagnostik waren mehrere Autoantikörper (z.B. Inselzellen-AAk, inselspezifische Tyrosinphosphatase (IA-2)-AAk) erhöht.
Dieser Befund ist als Hinweis auf einen autoimmunen Typ-1-Diabetes zu werten. Aufgrund des bereits moderat erhöhten HbA1c-Werts wurde bei der 66-Jährigen LADA (Latent Autoimmune Diabetes in Adults) in Stadium 2 diagnostiziert. Die diabetes-spezifischen AAk lassen sich viele Jahre vor der klinischen Manifestation nachweisen und sind entscheidend bei der Differenzierung zwischen LADA und Typ-2-Diabetes. LADA ist mit oralen Antidiabetika oft über längere Zeit zielgerecht einstellbar.
Bericht: Dr. Marion Hofmann-Aßmus
Quelle: IMD Institut für Medizinische Diagnostik, Online-Seminar: „Ausflug in die Autoimmundiagnostik – Befundinterpretation anhand klassischer und ungewöhnlicher Patientenfälle“ am 13.11.2024 mit Dr. rer. nat. Brit Kieselbach, Berlin
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