30.000 Unterschriften hätte die Petition zur Stärkung der hausärztlichen Praxen für das notwendige Stimmen-Quorum gebraucht, das Endresultat übertraf alle Erwartungen. Unter dem Strich kamen mehr als 600.000 Stimmen für HZV, Teampraxis-Zuschläge und teambasierte Versorgungsstrukturen zusammen. Jetzt ist der neue Bundestag am Zug.
Die gemeinsame Petition des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes und des Verbandes medizinischer Fachberufe (vmf) ist die größte Bundestagspetition der vergangenen Jahre. Da das notwendige Quorum von 30.000 Unterschriften klar überschritten wurde, muss nun eine Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestags folgen. Die Übergabe der Unterschriftenlisten an die Vorsitzende des Petitionsausschusses, Martina Stamm-Fibich, fand in Berlin statt.
HZV und Teampraxen stehen im Zentrum
Eine zentrale Forderung der Petition ist die Stärkung der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV). Außerdem fordert die Petition einen Teampraxis-Zuschlag, der die Arbeit der Praxisteams angemessen widerspiegelt. Damit soll die Arbeit der Teammitglieder, wie Medizinische Fachangestellte, VERAH (Versorgungsassistenz in der Hausarztpraxis) oder PCM (Primary Care Manager), in den Hausarztpraxen wieder attraktiver werden. Gleichzeitig sollen so neue, teambasierte Versorgungsstrukturen, in denen nicht-ärztliche Fachkräfte mehr Verantwortung übernehmen können, gefördert werden.
„Ein toller Erfolg! Dies ist die größte Bundestagspetition, die es in den letzten Jahren gab“, erklärt die Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Nordrhein e.V., Elke Cremer. „Wir sagen ein deutliches `Danke´ an alle, die uns unterstützt haben.“ In der Tat scheint die Petition zur richtigen Zeit zu kommen. In den Gesprächen von CDU/ CSU und SPD zur Regierungsbildung spielte die Gesundheitspolitik keine große Rolle. Gleichwohl sehen die nordrheinischen Allgemeinärzte in der Petition eine klare Verpflichtung für die neue Bundesregierung. „Über 600.000 Menschen in diesem Land erwarten, dass die Politik die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung zu einer Priorität macht“, erklärt Cremer. „Das Ergebnis muss die Politik spätestens jetzt aufschrecken lassen. Deutlicher kann das Votum unserer Patientinnen und Patienten kaum ausfallen.“
Ein Hoffnungsschimmer könnte darin bestehen, dass eine effektivere Patientensteuerung im Interesse der künftigen Regierungskoalition sein könnte, um Kosten im Gesundheitssystem zu sparen. Ein Primärarztsystem wie die Hausarztzentrierte Versorgung ist ein Weg in diese Richtung, ohne tiefer in die Regularien der Gesetzlichen Krankenversicherung eingreifen zu müssen.
Glasklares Signal an die Politik
„Dieses sensationelle Ergebnis übertrifft alle Erwartungen. Das Signal der Unterzeichner ist glasklar: Sie erwarten von der nächsten Bundesregierung, dass sie die Stärkung der hausärztlichen Praxen zu einer Priorität macht“, fordert die Co-Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth. Ihr Vorstands-Pendant Dr. Markus Beier verweist auf den sich immer weiter zuspitzenden Hausärztemangel in vielen Regionen. „Für viele Menschen ist der Hausärztemangel eines der drängendsten politischen Herausforderungen in ihrem alltäglichen Leben. Mit der Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen ist die letzte Bundesregierung bereits einen ersten Schritt in die richtige Richtung gegangen und hat damit eine unserer Forderungen erfüllt. Es ist jedoch offensichtlich, dass das allein nicht ausreichen wird, um die zum Teil dramatische Versorgungssituation zu stabilisieren.“
Ähnliche Schlüsse zieht auch Hannelore König, Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe: „Die hausärztlichen Praxisteams haben gezeigt, dass sie die Patientinnen und Patienten für eine Stärkung des ambulanten Gesundheitswesens mobilisieren können. Gesundheitsversorgung wird in der Zukunft nur im Team funktionieren. Jetzt ist es wichtig, dass auch die Politik versteht, wie sie die wichtige Arbeit der Teampraxen fördern und die ambulante Versorgung stärken kann.“
Deutlicher Weckruf an die Politik
Ein „deutliches Signal an die Politik“ sieht Dr. Wolfgang Ritter, Landesvorsitzender Bayerischer Hausärzteverband, im Ergebnis der Petition. „Diese breite Unterstützung ist ein deutlicher Weckruf an die Politik, die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung endlich mit Priorität anzupacken. Dazu gehören die Stärkung der erfolgreichen Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) mit einem Bonussystem für Versicherte und die Förderung der Praxisteams“, betont Dr. Ritter. Interdisziplinären Begehrlichkeiten erteilt Bayerns Hausärzte-Chef Ritter eine deutliche Abfuhr. „Die Hausarztzentrierte Versorgung als freiwilliges Primärarztsystem muss zwingend in der Autonomie der Hausärztinnen und Hausärzte im Rahmen des § 73b SGB V bleiben.“
Mit der Teampraxis beziehungsweise dem HÄPPI-Konzept könnten die Hausärztinnen und Hausärzte auch eine nachhaltige Strategie haben, um die flächendeckende Versorgung in Stadt und Land in Zukunft sicherzustellen: „Wir haben insbesondere in der Corona-Pandemie bewiesen, wie entscheidend hausärztliche Praxen für die medizinische Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger sind“, unterstreicht Dr. Ritter. Der Verband erwartet nun von der Politik, bei allen Fragen, die die ambulante Versorgung betreffen, künftig gehört zu werden. Fast 650.000 Unterschriften innerhalb von sechs Wochen machten deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger hinter den hausärztlichen Praxen ständen.
HZV sichert die wohnortnahe Versorgung
„Nur mit dieser HZV-basierten Versorgungsstruktur wird es möglich sein, die wohnortnahe Versorgung der Patientinnen und Patienten auch in Zukunft sicherzustellen“, betont Lars Rettstadt, Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. „Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband geht fest davon aus, dass die Politik ein großes Interesse daran hat, diese Strukturen aufrechtzuerhalten.“ Rettstadt sieht im Ergebnis der Petition ein „starkes Signal an die Politik, dass die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung für die nächste Bundesregierung eine Priorität sein muss.“
Die Petition war im Januar vom Bundesverband gestartet und von allen Landesverbänden unterstützt worden. „Dass sich in nur sechs Wochen so viele Patientinnen und Patienten für den Erhalt und die Stärkung ihrer hausärztlichen Praxis ausgesprochen und an der Petition teilgenommen haben, zeigt die große Bedeutung dieses Themas in der Bevölkerung“, unterstreicht auch Dr. Sascha Schönhauser, zweiter Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. „Wir bedanken uns bei allen Praxisteams in unserer Region, die für die dramatische Lage der Hausarztpraxen sensibilisiert und so fleißig Unterschriften gesammelt haben und natürlich bei unseren Patientinnen und Patienten für das Vertrauen.“
Autor: Franz-Günter Runkel
Bildquelle:© HÄV/Marco Urban



