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DEGAM-Leitlinie zum assistierten Suizid: „Es besteht noch erheblicher 
Informationsbedarf“

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DEGAM-Leitlinie zum assistierten Suizid: „Es besteht noch erheblicher 
Informationsbedarf“

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Die DEGAM hat Ende letzten Jahres eine ­S1-Leitlinie zum „Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz in hausärztlichen ­Praxen“ veröffentlicht. Wie gut sind Hausärzt*innen auf so eine Situation vorbereitet? Wie sieht die rechtliche Lage konkret aus? Und wie groß ist die Akzeptanz in der Kollegenschaft? ­Interview mit Dr. med. Ilja Karl

Herr Dr. Karl, inwieweit ist das Thema „Assistierter Suizid“ relevant für die Zielgruppe Allgemeinärzt*innen?
Ilja Karl: Die wenigsten Hausärztinnen und Hausärzte werden in ihrem Berufsleben mit einer Bitte um Hilfe bei der Selbsttötung konfrontiert werden. Die Bitte selbst rührt aber an das Innerste ärztlichen Selbstverständnisses: das Verhältnis zum Leben, zum Tod, zum Sterben. Daraus erwächst die Erfordernis, sich als Arzt und Ärztin mit diesem Thema zu befassen, um im Ereignisfall auf die Bitte vorbereitet zu sein und angemessen reagieren zu können.

Seit Mai 2021 ist assistierter Suizid nicht mehr untersagt. Sind Ärzte und Ärztinnen nun tatsächlich rechtlich abgesichert?
Die Ärztekammer Saarland untersagt weiterhin in ihrer Berufsordnung die Mitwirkung an der Selbsttötung. Inwieweit ein solches Verbot vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 26.02.2020 und des Beschlusses des Deutschen Ärztetages vom 5. Mai 2021 Bestand haben kann, ist fraglich. Klar ist: Hilfe beim freiverantwortlichen Suizid ist straffrei. Ist der Sterbewunsch nicht freiverantwortlich, kommt der Straftatbestand des Totschlags in mittelbarer Täterschaft infrage.

Wie soll der Arzt/die Ärztin reagieren, wenn sie mit dem Wunsch nach Selbsttötung konfrontiert werden?
Eine angemessene Reaktion beinhaltet wertungsfreie und ergebnisoffene Gespräche zu Gründen, Bedeutung und Funktion des Sterbewunsches. Auch wenn der Arzt/die Ärztin zu einer Suizidassistenz nicht bereit sind, sollten sie das Anliegen des Patienten ernst nehmen und ein Gesprächsangebot unterbreiten. Erstes Ziel ist es, zu klären, ob ein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht, zum Beispiel bei einer depressiven Episode oder einer Lebenskrise. Dazu kann die Graduierung der Suizidalität entsprechend der Nationalen VersorgungsLeitlinie „Unipolare Depression“ herangezogen werden.

Sind Ärzte und Ärztinnen auf so eine Situation überhaupt vorbereitet?
Da die ärztliche Profession bis heute vordergründig auf den Erhalt des Lebens orientiert ist, kann von einer angemessenen Vorbereitung von Ärztinnen und Ärzten auf einen Sterbewunsch nicht ausgegangen werden. Erfahrungen aus mehreren Fortbildungen zum Thema zeigen, dass hier erheblicher Informationsbedarf besteht.

Welche ärztlichen Möglichkeiten des assistierten Suizids kommen infrage?
Bei grundsätzlicher Bereitschaft zur Suizidassistenz kann auf die parenterale Applikation einer tödlichen Dosis von Thiopental zurückgegriffen werden. Thiopental ist kein Betäubungsmittel und als verschreibungspflichtiges Arzneimittel über die Apotheke zu beziehen. Die Anwendung erfolgt als Infusion über einen peripher-venösen Zugang. Sind Ärztin oder Arzt zu einer Assistenz nicht bereit, kann an die einschlägigen Sterbehilfevereine verwiesen werden: Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, Verein für Sterbehilfe Deutschland, Dignitas Deutschland, Linus. Wünschenswert ist eine gesetzliche Lösung – in Anlehnung an das Sterbeverfügungsgesetz in Österreich – mit der Möglichkeit, dass Sterbewillige nach eingehender Prüfung ein tödliches Mittel in der Apotheke beziehen können, zum Beispiel Pentobarbital.

Ein unerwarteter Suizid kann die Angehörigen und Zugehörigen traumatisieren. Daher ist bei der Suizidassistenz die Einbeziehung der An-/Zugehörigen mit dem Sterbewilligen zu besprechen und möglichst diese einzubeziehen.

Welche Rolle spielt in diesem Fall das Praxisteam?
Wenn Ärztin oder Arzt Suizidassistenz leistet, hat das Auswirkungen auf die Praxen. Zum einen ist es denkbar, dass vermehrt Anfragen auch von praxisfremden Patientinnen gestellt werden. Zum anderen ist es möglich, dass Patientinnen sich von der Suizidassistenz abgestoßen oder verunsichert fühlen. In jedem Fall ist es erforderlich, das Praxisteam einzubeziehen und auch eine gemeinsame Kommunikationsstrategie zu entwickeln.

Gegner des assistierten Suizids plädieren für palliative Maßnahmen. Wie sehen Sie das?
Palliative Maßnahmen kommen in erster Linie für Patienten in einer palliativen Situation infrage. Nicht jeder Patient mit Sterbewunsch ist in einer solchen Situation oder überhaupt krank. Zu den möglichen Maßnahmen gehören die Therapiezieländerung und der Behandlungsabbruch sowie die Intervention mit nicht intendierter Nebenfolge, zum Beispiel im Einzelfall die palliative Sedierung. Auch der freiwillige Verzicht auf Essen und Trinken ist ein denkbarer Weg. Dieser erfordert aber eine gute Vorbereitung und Aufklärung des Patienten und der An-/Zugehörigen.

Wie schätzen Sie die Akzeptanz der Leitlinie bei Ihren Kolleg*innen ein?
Die Leitlinie wird überwiegend dankbar angenommen. Aber auch eine Aufforderung zur Rücknahme ist zu verzeichnen. In jedem Falle führt die Handlungsempfehlung dazu, dass sich Ärztinnen und Ärzte mit dem Thema beschäftigen und sich auch selbst mit Blick auf das Verhältnis zu Tod und Sterben reflektieren. Zudem bietet die Handlungsempfehlung die Möglichkeit, ethische Prinzipien bekannt zu machen. Es gibt Ärztinnen und Ärzte, die leisten schon Suizidassistenz, und es gibt welche, die lehnen das ab. Mittendrin gibt es die große Mehrheit, die sich bisher hinter der Berufsordnung versteckt haben und nun nach einer Orientierung suchen.

Es ist noch ein gutes Stück Weg bis die Frage nach Hilfe bei der Selbsttötung in allen Praxen auf offene Ohren stößt. Hausärzt*innen sind auch hier grundsätzlich zuständig, unabhängig von der eigenen Bereitschaft, Suizidassistenz zu leisten.

Interview: Cornelia Weber

Quelle: Der Allgemeinarzt

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