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DMP Adipositas: Neue Wege für die ­hausärztliche Versorgung

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DMP Adipositas: Neue Wege für die ­hausärztliche Versorgung

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mgo medizin

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Im Juli 2024 sind die Richtlinien für ein Disease-​Management- 
Programm (DMP) Adipositas in Kraft getreten. Damit ergibt sich ­eine neue Option für eine ­strukturierte Behandlung von an Adipositas erkrankten Menschen in Deutschland, bei der Hausärzte eine zentrale Rolle spielen.

Mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland sind übergewichtig (ca. 35 Millionen Menschen), wovon 23 % der Männer und 24 % der Frauen von starkem Übergewicht, der Adipositas, betroffen sind. Die Adipositas wird über einen Body-Mass-Index (BMI) ≥30 kg/m2 definiert und in verschiedene Schweregrade eingeteilt. Ein BMI von 30,0–34,9 kg/m2 entspricht der Adipositas Grad I, ein BMI von 35,0–39,9 kg/m2 der Adipositas Grad II und ab einem BMI von ≥40 kg/m2 wird die Adipositas dem Grad III zugeordnet.
Lange Zeit wurde die Adipositas als Folge eines selbst gewählten, kalorienreichen und bewegungsarmen Lebensstils gesehen, die von den Betroffenen als solche akzeptiert werden müsse. Diese Wahrnehmung begann sich zunächst auf internationaler Ebene zu wandeln. Es wurde erkannt, dass Adipositas eine Erkrankung ist, die durch ein Zusammenspiel von neurohormonellen, genetischen und umweltbedingten Einflüssen begünstigt wird. Zusätzlich stieg das Bewusstsein für die Belastungen durch adipositas-assoziierte Komorbiditäten für die Betroffenen und das Gesundheitssystem.
Im Jahr 2020 wurde der deutsche Bundestag diesen Erkenntnissen gerecht und erkannte die Adipositas als chronische Erkrankung an. Die Basis für ein Disease-Management-Programm (DMP) wurde damit geschaffen, welches nach einer vierjährigen Entwicklungszeit für Richtlinien nun den Weg in die Versorgung finden kann.

Einschreibung in das DMP Adipositas

Etwa 16 Millionen Erwachsene in Deutschland sind von der Adipositas betroffen. Wird ausgehend von den Erfahrungen der bereits etablierten DMPs von einer Teilnahmequote von 30 % ausgegangen, könnten knapp 5 Millionen Menschen mit Adipositas am DMP teilnehmen. Die tatsächlich definierten Einschreibekriterien schränken die potenzielle Teilnehmerzahl jedoch ein, da Menschen mit einer Adipositas Grad I nur mit Begleiterkrankung eingeschrieben werden können. Von den Teilnehmern wird ein aktives Mitwirken am Programm gefordert. Schwangere oder in der Stillzeit befindliche Frauen sollen erst im Anschluss an diese Phase am DMP Adipositas eingeschrieben werden.

Anforderungen an das DMP Adipositas

Als Anforderung an das strukturierte Behandlungsprogramm gilt die leitliniengerechte bzw. evidenzbasierte, dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Stand entsprechende Behandlung. Die übergeordneten Therapieziele des DMPs sind es, das Körpergewicht langfristig zu senken und/oder zu stabilisieren und die adipositas-assoziierte Morbidität und Mortalität zu reduzieren.

Diagnostik innerhalb des DMP Adipositas

Um die Adipositas zu diagnostizieren und den Gesundheitszustand in Hinblick auf Komorbiditäten zu erfassen, werden eine klinische Untersuchung, BMI-Bestimmung, Bauchumfangmessung bis zu einem BMI von 35 kg/m2 und Blutdruckmessung, sowie eine laborchemische Diagnostik empfohlen. Dabei sollen ein Blutbild, Harnsäurewerte, Lipide und Parameter zur Leber, Schilddrüse und den Nieren überprüft werden. Eine umfangreiche Erstanamnese bildet zusammen mit dieser Initialdiagnostik die Grundlage der therapeutischen Interventionen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei den Komorbiditäten und Ursachen der Adipositas gelten. Im Verlauf sollen regelmäßige Untersuchungen zum Monitoring der physischen und psychischen Gesundheit durchgeführt werden.

Therapie innerhalb des DMP Adipositas

Therapeutische Maßnahmen innerhalb des DMPs sind auf die Basistherapie beschränkt. Durch die Kombination der Komponenten Ernährung, Bewegung und Verhaltensmodifikationen soll innerhalb von 6 – 12 Monaten ein Gewichtsverlust von ≥ 5 % (BMI ≤ 34,9 kg/m2) bzw. ≥ 10 % des Ausgangsgewichts (BMI ≥ 35 kg/m2) angestrebt werden. Basierend auf der Erstanamnese und initialen Diagnostik sollen jedoch individuelle und realistische Therapieziele in einem beratenden Arztgespräch mit der teilnehmenden Person vereinbart werden. Ein tägliches Kaloriendefizit von 500 bis 600 kcal kann als Richtwert zur Erreichung der Ziele dienen. Zentrales Werkzeug soll eine multimodale Schulung zur Unterstützung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Selbstmanagement der Erkrankung sein. Als Bestandteil des DMP sind derartige Schulungsprogramme zu Ernährung, Bewegung und Verhaltensänderungen erstmalig Teil der Regelversorgung und stellen damit eine positive Entwicklung in der Versorgungsgeschichte dar. Geeignete Schulungsprogramme für einen flächendeckenden Einsatz werden derzeit noch erarbeitet. Formuladiäten können als effektive, aber kurzzeitige und medizinisch begleitete Maßnahme den Gewichtsverlust unterstützen, jedoch lediglich zulasten des Teilnehmers verordnet werden. Digitale Gesundheitsanwendungen und Rehabilitationssport können die Teilnahme am DMP ergänzen, weshalb Teilnehmende auf diese Möglichkeit hingewiesen werden können.

Rolle des Hausarztes innerhalb des 
DMP Adipositas

Hausärzte nehmen die zentrale Rolle innerhalb des DMP Adipositas ein. Als koordinierende Ärzte sind sie wesentlich mit der Langzeitbetreuung, Dokumentation und Koordination beauftragt. Zur adäquaten Betreuung der Teilnehmenden gehört die regelmäßige Überprüfung der Erreichung der Therapieziele und gegebenenfalls deren Anpassung. Bestandteil der Dokumentation sind zum einen die auch für andere DMP erfassten indikationsübergreifenden Parameter, welche neben administrativen Daten und allgemeinen Anamnese- und Befunddaten auch die Behandlungsplanung beinhalten, und zum anderen 
die für die Adipositas spezifischen Parameter.
Die Dokumentationsdaten dienen als Grundlage für die Qualitätsberichte der Krankenkassen und zur Evaluation des DMPs durch externe Sachverständige. Analysierte Qualitätsziele sind beispielsweise positive Gewichtsentwicklungen, Erfolge bei der Bewegung oder Ernährung und die Vermeidung eines manifesten Typ-2-Diabetes bei bestehendem Prädiabetes zum Zeitpunkt der Einschreibung. Evaluiert werden unter anderem Parameter wie Tod, BMI, Blutdruckwerte und Schulungen. Wichtig ist, dass die Dokumentation fristgerecht, vollständig und plausibel ist.
Eine weitere Verantwortung der koordinierenden Ärzte ist die Überweisung zu qualifizierten Mitbehandlern bei Bedarf. Hierzu zählen Fachärzte, die die Behandlung von Komorbiditäten unterstützen oder metabolische oder adipositaschirurgische Eingriffe betreuen, ebenso wie Psycho­therapeuten. Auch eine Überweisung zur stationären Behandlung oder Rehabilitation ist bei Teilnehmern zu erwägen.
Als Leistungserbringer des DMPs sind beteiligte Hausärzte verpflichtet, sich regelmäßig fortzubilden. Die Ausgestaltung dieses Punktes erfolgt durch die Vertragspartner. Wie umfangreich die Erstattung der Leistungen innerhalb des DMPs sein werden, ist aktuell noch nicht bekannt.

Grenzen des DMP Adipositas

Ein wichtiges Ziel des Adipositas-Managements ist es, die Entwicklung von Komplikationen und Komorbiditäten zu verhindern. Dieser präventive Anspruch ist im DMP Adipositas dadurch limitiert, dass die Teilnahme mit einer Adipositas Grad I mindestens eine manifeste Komorbidität fordert. Zur Prävention des Typ-2-Diabetes kann das DMP allerdings beitragen, da die Einschreibung mit Prädiabetes bereits möglich ist.
Zusätzlich können therapeutische Lücken in der Versorgung durch das DMP nicht vollständig geschlossen werden. Die leitlinienbasierte Therapie der Adipositas schließt auch die adjuvante medikamentöse Therapie mit ein. Aufgrund des gesetzlichen Leistungsausschlusses von Arzneimitteln zur Gewichtsregulation (§ 34 Absatz 1 Satz 7 Sozialgesetzbuch (SGB) V) kann die Pharmakotherapie jedoch nicht Teil eines DMPs sein. Auch die Versorgungssituation nach Adipositas-chirurgischen Eingriffen im ambulanten Sektor bleibt durch das DMP unberührt.

Autoren: Dr. René Rötzer, Prof. Dr. 
Oliver Schnell

Quelle: Der Allgemeinarzt

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