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Indikationen, Erfahrungen und Fallbeispiel: Pflanzenheilkunde in der Pädiatrie

Zwei Äpfel mit Kamille

Quelle: MarinaParshina - stock.adobe.com

Indikationen, Erfahrungen und Fallbeispiel: Pflanzenheilkunde in der Pädiatrie

Fachartikel

Allgemeinmedizin

Magen und Darm

mgo medizin Redaktion

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7 MIN

Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Bei Magen-Darm-Beschwerden infolge einer Typ-1-Diabetes-Erkrankung: Wie und wann können pflanzliche Präparate Kindern helfen? Ein Überblick über bewährte phytotherapeutische Ansätze und ihre Grenzen in der pädiatrischen Praxis.

Das Behandlungsspektrum mit pflanzlichen Arzneimitteln für das gesamte Gebiet der Kinderheilkunde ist sehr breit; eine Vielzahl an akuten wie auch chronischen Erkrankungen wie sie im Selbstverständnis der Familienmedizin thematisiert werden, lassen sich phytotherapeutisch behandeln. Korrespondierende Leitlinien thematisieren pflanzliche Optionen nur bedingt wie bereits in den Beiträgen der Ausgaben 15/2025 und 18/2025 von „Der Allgemeinarzt“ dargelegt wurde. Dabei vermittelt der Hinweis einen grundsätz­lichen Überblick zur Phytotherapie in der Kinderheilkunde. Um es nochmals zu betonen: Die Argumentation fehlender kontrollierter Studien bei Kindern betrifft chemisch-synthetische wie pflanzliche Arzneimittel gleichermaßen. Dabei basiert ein entscheidender Vorteil der Phytotherapie auch und gerade auf der empirischen Datenlage, die sich bei einer Evaluation im Sinne von Real-world-Daten als belastbar darstellt. Im Übrigen bedarf eine Bewertung therapeutischer Maßnahmen stets einer longitudinalen Betrachtungsweise, was im Besonderen die Hausarztmedizin widerspiegelt: Therapie als allgemeinmedizinische Forschung.

Hinweis: Phytotherapie in der Pädiatrie*

Psychische und neurovegetative Erkrankungen
Erkrankungen im Mund- und Rachenraum
Hals-Nasen-Ohren Erkrankungen
Erkrankungen der unteren Atemwege
Fieberhafte Infekte, rezidivierende Infekte
Magen-Darm-Erkrankungen
Erkrankungen der ableitenden Harnwege

*aus: Wiesenauer, M.: PhytoPraxis 8. Aufl. Springer-Verlag 2024

Gastro-Enteritis

Eine gastroenteritische Akutsymptomatik bei Kindern ist ein häufiger Beratungsanlass. Auf Basis einer sorgfältigen Anamnese unter besonderer Berücksichtigung der Gemeinschaftseinrichtung (Familie, Hort, Schule) kann erfahrungsgemäß die klinische Diagnose gestellt werden. Dies wird auch in der 2024 als Update publizierten S2k-Leitlinie „Akute infektiöse Gastroenteritis im Säuglings- Kindes- und Jugendalter“ der Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) formuliert. Wesentlich und aus der Praxis hinlänglich bekannte Aspekte sind die Hygiene und insbesondere auch die Vermeidung einer Dehydration und Elektrolytentgleisung des Patienten. Zur Therapie findet sich in der zitierten Leitlinie, an deren Erstellung auch die DEGAM beteiligt war, u.a. folgende Stellungnahme, wonach „für Antidiarrhoika wie z.B. pflanzliche Substanzen (getrocknetes Apfelpulver) oder Tannin, Kohle, Heilerde oder Myrrhe keine kontrollierten Studien vorliegen“. Diese Aussage bedarf einer Richtigstellung, da zu allen genannten Wirkstoffen Daten aus Studien existieren.
Beispielhaft genannt sei die bereits bei Kleinkindern mögliche Anwendung einer Kombination aus Apfelpektin und Kamillenextrakt. Die in reifen Apfelfrüchten enthaltenen Pektine haben eine Mehrfachwirkung, wozu auch eine Wachstumshemmung pathogener Darmkeime gehört. Die mit dem Zahnen häufig assoziierte Diarrhoe lässt sich mit dem Kombinationspräparat aus Kamille und Apfelpektin ebenfalls therapieren: Kinder von 2–3 Jahren werden mit 10ml, von 4–5 Jahren mit 20ml und ab 6 Jahren wie auch Jugendliche und Erwachsene mit einer Dosierung von 30ml initial behandelt. Zu der Zweifach-Kombination liegen zwei randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudien vor. Demnach zeigte sich unter Verum ein signifikant stärkerer Rückgang der enteritischen Symptomatik. Dieser in der Praxis hinlänglich bewährte Therapieansatz konnte bereits mit einer früheren Anwendungsbeobachtung belegt werden.

Diabetes mellitus-assoziierte 
Symptomatik

Stoffwechselerkrankungen wie beispielsweise Diabetes mellitus Typ 1 sind ein klassisches Beispiel dafür, wann die Phytotherapie und konsekutiv komplementärmedizinische Maßnahmen nicht primär eingesetzt werden dürfen. Im Selbstverständnis einer Add-on-Phytotherapie lässt sich jedoch die mit einem Typ-1-Diabetes mellitus assoziierte Symptomatik phytotherapeutisch behandeln, wenngleich in der korrespondierenden S3-Leitlinie Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter der DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) dieser Aspekt nicht thematisiert wird. Eine im universitären Verbund behandelte Patientin soll dafür beispielhaft stehen.

Kasuistisches Beispiel

Anamnese
Das 9 Jahre alte Mädchen entwickelt mutmaßlich nach einer CoV-2-Infektion einen Diabetes mellitus Typ 1. Die ED im wird im Frühjahr 2022 gestellt: Seit mehreren Wochen fällt den Eltern auf, wonach ihr Kind trotz Abklingen der eigentlichen Infektsymptomatik zunehmend Symptome von körperlicher Schwäche, Gewichtsabnahme, Durstgefühl und Durchfälle zeigt. Aufgrund progredient zunehmender Erschöpfung und Müdigkeit stellen die Eltern ihre Tochter in der betreuenden kinderärztlichen Praxis vor. Wegen des reduzierten AZ erfolgt die notfallmäßige stationäre Einweisung; bei der Erstdiagnostik wird ein Serumglucose-Wert von 643 mg/dl diagnostiziert, im Urinstix Glucose 4-fach und Ketone 3-fach positiv, was zu einer sofortigen Insulintherapie führt. Bei im Verlauf sinkenden BZ-Werten durch Mahlzeiten- und Verzögerungsinsulin als Faktorenregime kommt es zu einer allmählichen Stabilisierung, sodass das Mädchen nach zehntägiger stationärer Behandlung entlassen wird.
Zur weiteren Behandlung überweist der Pädiater die junge Patientin in die universitäre Diabetes-Ambulanz, da sich die BZ-Einstellung anfänglich trotz konsequenten Ernährungsplans und mehrfach modifizierter Insulinapplikation als schwierig erweist. Im weiteren Verlauf klagt das Mädchen zunehmend über „Verdauungsbeschwerden“, die vor allem kurzzeitig nach dem Essen als mehrfach tägliche breiige bis durchfällige Stühle geschildert werden. Die Stuhldiagnostik mit Bestimmung der Pankreaselastase weist auf eine mittlere exokrine Pankreasinsuffizienz hin, die in ca. 50 % mit einem Diabetes mellitus Typ 1 und in etwa mit 30 % mit Typ 2 assoziiert ist; ­Lipase, Alpha- und Pankreas-Amylase Werte sowie CRP sind im Normbereich.


Befund
Die Eltern stellen ihre Tochter in meiner Praxis mit der Frage nach einer Mitbehandlung vor. Die aktuelle Therapie mit Bolusinsulin und Basalinsulin bei konsequentem Ernährungsregime zeigt einen HbA1c von 7,5 %. Die vom Diabetologen angesetzte Pankreasenzymtherapie wird nicht befolgt. Auf Nachfrage berichten die Eltern, dass in ihrer Familie grundsätzlich nichts „vom Schwein“ gegessen wird; hinzu kommt, dass sich das inzwischen 12 Jahre alte Mädchen bevorzugt vegetarisch ernährt. Sie berichtet von täglich bis zu vier meist sehr weichen, übelriechenden Stuhlgängen nach einer Mahlzeit, denen starke Blähungen vorausgehen. Sie ist ausgesprochen schlank und sieht blass aus, sodass eine Blutuntersuchung im Hinblick auf Eisen- und Vitaminstoffwechsel veranlasst wird (Ergebnis: Rotes Blutbild einschl. Fe und Transferrin unauffällig, Ferritin im unteren Normbereich, Folsäure, Vitamin B6 im Normbereich). Bei der Untersuchung zeigt sich ein sichtbar geblähtes Abdomen, palpatorisch empfindlich ohne lokale Schmerzsymptomatik bei hypersonorem Klopfschall linksbetont, auskultatorisch lebhafte Darmgeräusche.


Therapie
Nach Erläuterung für die Notwendigkeit einer Pankreasenzymtherapie wird ein pflanzliches Präparat auf Basis von nicht-tierischen Rizoenzymen verordnet. Die Enzyme stammen aus japanischen Reispilzkulturen, die Amylasen, Lipasen und Proteasen enthalten. Im Hinblick auf die Ernährungsweise der jungen Patientin lautet die initiale Dosierung 3 Kapseln direkt zu einer Hauptmahlzeit und 1–2 Kapseln während Zwischenmahlzeiten. Eine Modifikation der Insulintherapie wird nicht vorgenommen.


Verlauf
Beim Folgetermin nach vier Wochen berichtet die Patientin im Beisein ihrer Mutter von einer tendenziellen Besserung der Verdauungssymptomatik. Auf Nachfrage gibt die Tochter jedoch zu, die Kapseln nicht „immer“ eingenommen zu haben und vor allem am Abend „zu vergessen“. Nach nochmaliger Erläuterung zur notwendigen Einnahme des Medikaments unmittelbar zu den Mahlzeiten wird ein Termin erneut in einem Monat vereinbart. Bei der erneuten Vorstellung berichtet die junge Patientin von einer deutlichen Besserung, die sie wie folgt präzisiert: einmal täglicher Stuhlgang morgens, der Stuhl ist überwiegend geformt, weniger geruchsintensiv vergleichbar den Blähungen, die deutlich nachgelassen haben. Ihre Mutter fasst die Situation zusammen: Meiner Tochter geht es insgesamt besser, sie hat bei unveränderter Ernährungsweise etwas an Gewicht zugenommen und wirkt lebhafter. Die Insulintherapie wird von beiden als unproblematisch bezeichnet, der HbA1c liegt nunmehr bei 7,1 % bei unveränderter Insulinsubstitution.

Fazit

Erkrankungen im Kindesalter lassen sich in Abhängigkeit von Lebensalter, Symptomatik und Lokalisation durchaus mit pflanzlichen Arzneimitteln behandeln. Dabei sind je nach klinischer Indikation selbstredend die Grenzen zu berücksichtigen. Die in diesem Beitrag besprochenen Anwendungsgebiete verstehen sich als ausgewählte und – aus Sicht des Autors – potenzielle Ansätze für pflanzliche Arzneimittel. Dies ist auch dem Ansinnen der Eltern nach einer risikoarmen Therapie geschuldet, die eine partizipative Entscheidung und zugleich fundierte Antwort erfordert.

Autor: Dr. med. Markus Wiesenauer

Bildquelle: MarinaParshina – stock.adobe.com

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