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Longevität: Moderne Ansätze zur Förderung gesunden Alterns

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Longevität: Moderne Ansätze zur Förderung gesunden Alterns

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mgo medizin

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Der Alterungsprozess hat seit jeher das Interesse der Menschheit geweckt, doch erst in den letzten Jahrzehnten haben wissenschaftliche Fortschritte ein tieferes Verständnis seiner komplexen biologischen Mechanismen ermöglicht. Im Jahr 2013 wurden erstmals die „Hallmarks of Aging“ definiert, die 2023 auf zwölf Kennzeichen erweitert wurden. Diese Entwicklung markiert einen Wandel in der Medizin: von der bloßen Behandlung altersbedingter Erkrankungen hin zu einer proaktiven Herangehensweise, die darauf abzielt, den Alterungsprozess selbst zu beeinflussen und die gesunde Lebensspanne zu verlängern.

Die zwölf Säulen des Alterungsprozesses

Der Alterungsprozess wird durch zwölf grundlegende Mechanismen charakterisiert, die als „Hallmarks of Aging“ bezeichnet werden. Diese umfassen genomische Instabilität, Telomerverkürzung, epigenetische Veränderungen, Verlust der Proteostase, beeinträchtigte Makroautophagie, deregulierte Nährstoffsensorik, mitochondriale Dysfunktion, zelluläre Seneszenz, Erschöpfung der Stammzellen, veränderte interzelluläre Kommunikation, chronische Entzündung und Dysbiose. Diese Kennzeichen sind miteinander vernetzt und beeinflussen sich gegenseitig, was die Komplexität des Alterungsprozesses unterstreicht und verdeutlicht, warum ein multidimensionaler Ansatz erforderlich ist, um das Altern effektiv zu beeinflussen.

Altern in Wellen statt linear

Eine bahnbrechende Studie aus dem Jahr 2024 hat gezeigt, dass das Altern nicht linear verläuft, sondern in zwei dramatischen Wellen auftritt. Die erste Welle ereignet sich um das 40. Lebensjahr, wenn der Stoffwechsel sich verlangsamt und die Herzgesundheit erste Veränderungen zeigt. Die zweite Welle tritt um das 60. Lebensjahr auf, wenn das Immunsystem deutlich schwächer wird und die Anfälligkeit für Krankheiten wie Diabetes, Herzerkrankungen und Nierenerkrankungen zunimmt. Diese Erkenntnis könnte zur Entwicklung gezielter Therapien führen, die auf diese kritischen Wendepunkte abzielen.

Weibliche Alterung und Reproduktionsbiologie

Forscher haben den ersten umfassenden Atlas menschlicher Eierstöcke erstellt, der junge Eierstöcke mit reproduktiv gealterten Eierstöcken vergleicht. Die Studie identifizierte Veränderungen in Zelltypen, die Aktivierung des mTOR-Signalwegs als Schlüsselmechanismus der Eierstockalterung und spezifische genetische Varianten, die mit dem Zeitpunkt der natürlichen Menopause zusammenhängen. Diese Erkenntnisse könnten zur Entwicklung von Interventionen führen, die den Alterungsprozess der Eierstöcke verzögern und die allgemeine Gesundheit von Frauen verbessern.

Organe altern unterschiedlich schnell

Eine umfangreiche Studie hat gezeigt, dass verschiedene Organe innerhalb eines Individuums unterschiedlich altern können. Durch die Analyse von Blutproteinen entwickelten Forscher Modelle zur Schätzung des biologischen Alters jedes Organs. Personen mit biologisch älteren Herzen hatten ein 250% höheres Risiko, Herzinsuffizienz zu entwickeln, während bestimmte Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck dazu führen können, dass Organe wie die Nieren schneller altern. Diese Forschung führt zu einem einfachen Bluttest zur Messung der organspezifischen Alterung, der ein leistungsstarkes Instrument für die personalisierte Versorgung darstellt.

Zelluläre Verjüngung – Der Weg zur Umkehrung des Alterns

Eine der bemerkenswertesten Durchbrüche im Jahr 2024 betrifft die partielle zelluläre Reprogrammierung. Wissenschaftler haben Techniken verfeinert, die das zelluläre Alter durch den Einsatz von Yamanaka-Faktoren umkehren können – Proteine, die Zellen in einen jugendlichen Zustand zurückversetzen können, ohne sie vollständig in Stammzellen umzuwandeln. Diese Methode hat sich bei Mäusen als vielversprechend erwiesen, indem sie Organe und Gewebe verjüngt und möglicherweise altersbedingte Krankheiten verzögert. Die neuesten Studien zeigten erfolgreiche Versuche an Primaten, was den Weg für zukünftige Anwendungen beim Menschen ebnet.

Senolytika – Die Entfernung alternder Zellen

Senolytika, Medikamente, die selektiv seneszente Zellen eliminieren, haben in diesem Jahr bahnbrechende Fortschritte gemacht. Eine neue Generation senolytischer Verbindungen zeigte verbesserte Präzision und minimale Nebenwirkungen. Klinische Studien mit Patienten mit altersbedingter Gebrechlichkeit berichteten über verbesserte körperliche Funktionen und reduzierte systemische Entzündungen. Diese Technologie, die einst als Nischenbereich galt, ist nun näher am Mainstream-Einsatz und bietet neue Hoffnung im Kampf gegen den altersbedingten Verfall.

NAD+ – Der zelluläre Energielieferant

Sinkende Spiegel von NAD+ (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid), einem für die zelluläre Energie und Reparatur essentiellen Molekül, sind seit langem mit dem Altern verbunden. Im Jahr 2024 entwickelten Forscher effizientere NAD+-Vorläufer, die die zellulären Spiegel bei älteren Erwachsenen deutlich erhöhten, was zu mehr Energie, verbesserter kognitiver Funktion und verbesserter Muskelleistung führte. Ein bedeutender Durchbruch war die Einführung einer injizierbaren NAD+-Formulierung, die erhöhte Spiegel über Monate hinweg aufrechterhalten kann.

KI-gestützte Entdeckung von Longevitäts-Wirkstoffen

Künstliche Intelligenz spielte eine entscheidende Rolle bei der beschleunigten Entdeckung neuartiger Anti-Aging-Medikamente. KI-Algorithmen analysierten umfangreiche Datensätze und identifizierten zuvor unbekannte Verbindungen, die Langlebigkeitssignalwege modulieren können. Das erste KI-entwickelte Anti-Aging-Medikament ist in klinische Phase-2-Studien eingetreten, wobei erste Ergebnisse verlängerte Lebensdauermarker bei Testpersonen zeigten. Dies stellt eine neue Grenze dar, an der Technologie und Biologie zusammenkommen, um die menschliche Gesundheit zu verlängern.

Die Longevitäts-Pyramide: Ein strukturierter Ansatz für gesundes Altern

Das Konzept der „Longevitäts-Pyramide“ bietet einen strukturierten Rahmen für das Verständnis der verschiedenen Interventionsebenen in der Longevitätsmedizin. An der Basis stehen Diagnostik und Analyse, gefolgt von Lebensstilinterventionen, Nahrungsergänzungsmitteln, pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Interventionen und schließlich experimentellen Strategien an der Spitze. Dieser Ansatz ermöglicht es, einen umfassenden und personalisierten Plan zur Förderung eines gesunden Alterns zu entwickeln.

Von der Forschung zur klinischen Anwendung

Die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung werden zunehmend in die klinische Praxis übertragen. Personalisierte Medizin und Genomik ermöglichen maßgeschneiderte Behandlungen basierend auf der genetischen Ausstattung des Einzelnen. Fortschritte bei Biomarkern des Alterns liefern genauere Bewertungen des biologischen Alters und ermöglichen eine frühere Erkennung altersbedingter Krankheiten. Die Integration der Longevitätsmedizin in die Primärversorgung stellt einen Paradigmenwechsel dar – weg von einem reaktiven Ansatz hin zu einem proaktiven Ansatz, der auf die Erhaltung der Gesundheit und die Verlängerung der gesunden Lebensspanne abzielt.

Zukunftsaussichten und Herausforderungen

Die Zukunft der Longevitätsmedizin ist vielversprechend, mit Gentechnologien wie CRISPR, die von experimentellen Stadien zu klinischen Studien übergehen, personalisierten Anti-Aging-Regimen, die auf individuellen genetischen Profilen basieren, und einer breiteren Anwendung von Anti-Aging-Behandlungen. Dennoch bleiben Herausforderungen bestehen, darunter die Notwendigkeit längerfristiger Studien, ethische Fragen bezüglich Lebensverlängerung und die Gewährleistung des gleichberechtigten Zugangs zu Longevitätsinterventionen.

Die Longevitätsmedizin steht an der Schwelle einer neuen Ära, in der das Ziel nicht nur darin besteht, das Leben zu verlängern, sondern vor allem die Jahre in guter Gesundheit zu maximieren. Durch ein verbessertes Verständnis der grundlegenden Mechanismen des Alterns und die Entwicklung gezielter Interventionen können wir darauf hoffen, ein gesünderes und erfüllteres Leben im Alter zu führen.

Quellen
López-Otín C, et al. (2023). Hallmarks of aging: An expanding universe. Cell, 186(2):243-278.
Tartiere AG, et al. (2024). The hallmarks of aging as a conceptual framework for health and longevity research. Front Aging, 5:1334261.
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Martinović A, et al. (2024). Climbing the longevity pyramid: overview of evidence-driven healthcare prevention strategies for human longevity. Front Aging, 5:1495029.
Garth E. (2024). Innovations in longevity research and therapeutics in 2024. Longevity Technology.
Long Life and Health. (2025). A Recap of the Top Breakthroughs in Antiaging Medicine and Longevity in 2024.
Timeline. (2024). The Future of Longevity Medicine: Breakthroughs from 2024.
Xandrolab. (2024). Longevity News 2024: Breakthroughs in Ageing and Lifespan Research.
Trent P. (2024). Top Trends in Aging and Longevity Research for 2024. Journotalk.
MASI Anti-Aging Science. (2024). Exploring 2024’s Top 5 Breakthroughs in Longevity Advancements.

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