Der Zustand der Einwilligungsunfähigkeit und der Umgang mit diesem stellt nicht nur Patienten, sondern auch die Ärzteschaft immer wieder vor einige ethische, berufliche und vor allem auch rechtliche Probleme. Mit einigen Vorsorgeinstrumenten wie beispielsweise einer Patientenverfügung kann meist Abhilfe geschafft werden.
Wie ist zu verfahren, wenn der Patient eine medizinisch notwendige Behandlung im Rahmen seiner Patientenverfügung erlaubt, in der akuten Situation aber plötzlich ablehnt? Darf oder muss der behandelnde Arzt die indizierte Behandlung durchführen oder sprechen wir hier bereits von einer ärztlichen „Zwangsbehandlung“? Diese weit in die einzelnen Grundrechte eingreifenden rechtlichen Fragen sind Gegenstand zahlreicher juristischer Debatten und beschäftigen nun auch das Bundesverfassungsgericht.
Rechtliche Ausgangslage
Im Rahmen der Patientenverfügung nach § 1827 BGB kann ein Patient mehr oder weniger juristisch klare Anordnungen treffen, wie im Falle seiner Einwilligungsunfähigkeit vorgegangen werden soll. Unjuristisch gesprochen, enthält die Patientenverfügung Festlegungen dazu, welche medizinischen Maßnahmen untersagt werden oder explizit erlaubt sein sollen. Auch wenn eine Patientenverfügung oftmals nur mehr oder weniger genaue Umschreibungen einer durchzuführenden oder zu verwehrenden Maßnahme enthält, ist der hierin zum Ausdruck gebrachte Wille jedoch entscheidend.
Dies hat zur Folge, dass die Anordnungen für einen zu bestellenden Betreuer für den Fall, dass die Patientenverfügung zum Einsatz kommt, grundsätzlich bindend sind. Genauer gesagt: Der in der Patientenverfügung zum Ausdruck gebrachte Wille ist bindend. Daher unterscheidet sich die Patientenverfügung im Grunde auch nicht von einer „normalen“ Einwilligung und stellt erst recht keine bloße Handlungsanweisung dar. Denn die Patientenverfügung ist Ausfluss des verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts zu einem Zeitpunkt, in dem der Patient noch in der Lage war, seinem Willen Ausdruck zu verleihen.
Rechtlich problematisch wird es jedoch dann, wenn ein Patient (z.B. wegen einer psychischen Erkrankung oder Demenz) einwilligungsunfähig wird. Einwilligungsunfähigkeit wird juristisch definiert als das Vermögen, die Tragweite des konkreten medizinischen Verhaltens zu erfassen und über die erforderliche Einsichtsfähigkeit zu verfügen, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Probleme ergeben sich dann, wenn der Patient zwar einwilligungsunfähig, aber noch äußerungsfähig ist und antizipierter Wille und natürlicher Wille auseinanderfallen. Zum Beispiel: Ein Patient hat in seiner Patientenverfügung die Behandlung mit Arzneimitteln ausdrücklich erlaubt. Nun ist er einwilligungsunfähig und die Arzneimittel sollen verabreicht werden. Hiergegen wehrt sich der Patient.
Dieser akute „natürliche Gegenwille“ steht im Widerspruch zu den einstigen Anweisungen. Rechtlich gesehen kann dieser Gegenwille allerdings nicht zur Unwirksamkeit der Patientenverfügung führen, da nicht sicher nachvollzogen werden kann, ob der natürliche Wille auch dem wirklichen Willen des Betroffenen entspricht. Vielmehr ist der Gegenwille eine natürliche Reaktion, ein menschlicher Ausdruck, der – und das muss betont werden – von einer einwilligungsunfähigen Person stammt. Daher wird rechtlich scharf zu trennen sein.
Vorrang der Zwangsbehandlung?
Wie ist hiermit umzugehen? Der Gesetzgeber hat mit der Regelung der ärztlichen Zwangsbehandlung in § 1832 BGB reagiert. Demnach darf ein Betreuer in eine ärztliche Maßnahme, die dem natürlichen Willen des Betreuten widerspricht (Zwangsmaßnahme), nur einwilligen, wenn eine Vielzahl von Voraussetzungen kumulativ vorliegt.
Hier gelten zu Recht hohe rechtliche Hürden. Eine zwangsweise Behandlung darf nur dann durchgeführt werden, wenn sie unbedingt notwendig ist, also ein ernster gesundheitlicher Schaden für den erkennbar Einwilligungsunfähigen droht und der Nutzen der Maßnahme die hieraus erwachsenden Risiken überwiegt. Es muss auch versucht werden, den natürlichen Willen zu „überwinden“, indem man Anstrengungen anstellt, den Betreuten von der Notwendigkeit der intendierten Maßnahme zu überzeugen. Dann kommt insbesondere auch der Patientenverfügung Bedeutung zu, da § 1832 Abs. 1 Nr. 3 BGB explizit auf die dort getroffenen Verfügungen verweist und voraussetzt, dass die Zwangsmaßnahme dem in der Patientenverfügung getroffenen Willen entspricht. Nur wenn all diese Voraussetzungen vorliegen und das Betreuungsgericht die Durchführung genehmigt hat, darf die Maßnahme durchgeführt werden.
Grundrechtliches Problem und Differenzierung
All dem liegt im Kern das Problem zugrunde, dass eine Zwangsmaßnahme nicht von einer Einwilligung gedeckt sein kann und somit in die körperliche Integrität eingreift (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Hier ist nicht bloß der Körper als solcher, sondern auch das Selbstbestimmungsrecht betroffen. Da zudem gegen den natürlichen Willen gehandelt wird, ist auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen. Weil die Regelung des § 1832 BGB schon aus der gesetzgeberischen Intention heraus die Patientenverfügung überlagert, ist der Eingriff auch nicht schon hieraus gerechtfertigt. Somit stellt es immer eine Einzelfallentscheidung dar, ob eine Zwangsmaßnahme gerechtfertigt ist oder nicht. § 1832 BGB versucht hier durch seine einschränkenden Merkmale den Grundrechtseingriff so verhältnismäßig wie möglich zu halten.
Bislang erlaubt § 1832 Abs. 1 Nr. 7 BGB die Durchführung von Zwangsmaßnahmen ausschließlich im stationären Bereich; der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich gegen ambulante Zwangsbehandlungen entschieden, zu groß sei die Gefahr, dass Zwangsmaßnahmen im ambulanten Bereich „normalisiert“ würden und die strengen Voraussetzungen des § 1832 BGB verschwimmen. Bei der stationären Behandlung seien Kontrollmechanismen schärfer und die Überwachung der Patienten (z.B. in Bezug auf Nebenwirkungen) besser sichergestellt.
Allerdings gibt es auch Fälle, in denen ein Transport ins Krankenhaus eine zusätzliche Belastung, gar Traumatisierung des Patienten, darstellen kann. So gelangte ein Fall aus Ostwestfalen bis zum Bundesgerichtshof, der darüber entscheiden sollte, ob eine ambulante Behandlung im Einzelfall entgegen § 1832 BGB zulässig sei. Da diese Frage hochsensible grundrechtliche Fragen des Erwachsenenschutzes betrifft, hat der BGH das Bundesverfassungsgericht angerufen und den Fall zur Entscheidung vorgelegt. Konkret geht es um die Frage, ob im Einzelfall eine Zwangsbehandlung auch ambulant durchgeführt werden darf, wenn dies ein milderes Mittel für den Betroffenen darstellt und sich der Grundrechtseingriff hierdurch minimiert. Hierüber wurde am 16.07.2024 vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt. Eine Entscheidung wird jedoch erst in den kommenden Monaten erwartet.
Fazit
Der Fall verdeutlicht, welchen Stellenwert der Grundrechtsschutz bei Einwilligungsunfähigen erlangt. Hier zeigt sich, dass konkrete Anweisungen in einer Patientenverfügung enorm wichtig sind, um dem eigenen Willen Ausdruck zu verleihen – nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch im Interesse der Ärzteschaft. Zwar mag der Begriff „Zwangsbehandlung“ erschreckend und beängstigend wirken. Dahinter steht jedoch ein zusätzlicher Schutzmechanismus, um dem Betroffenen die bestmögliche Behandlung angedeihen zu lassen. Ob und wie weit dieser Schutz ausgeweitet wird und künftig Eingriffe möglicherweise noch geringer gehalten werden (z.B. durch ambulante Zwangsbehandlungen), ist offen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird jedenfalls mit Spannung erwartet.
Autor: Dr. Iris Felicitas Koller



