Allgemeinmedizin » Schmerz

»

Schmerzkongress: Versorgungserfolge ­unter ­Reformdruck

Kongresshalle Mannheim

Quelle: Leonid Andronov-stock.adobe.com

Schmerzkongress: Versorgungserfolge ­unter ­Reformdruck

Kongressberichte

Allgemeinmedizin

Schmerz

mgo medizin Redaktion

Autor

4 MIN

Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Über 2.000 Teilnehmende kamen zum Deutschen Schmerzkongress 2025 nach Mannheim, um über die Zukunft der Schmerzmedizin zu diskutieren. Ein Einblick

Nach Schätzungen der Deutschen Schmerzgesellschaft (DSG) leben in Deutschland mindestens 23 Millionen Menschen mit chronischen Schmerzen, etwa 4 Millionen sind schwer betroffen. Vielfach sind nur interdisziplinäre, multimodale Maßnahmen nachhaltig wirksam. Die DSG hat daher Curricula für Psychologie, Physio-/Ergotherapie, Pflege sowie Pharmakotherapie etabliert und neue Konzepte für teilstationäre Programme erarbeitet. Der Deutsche Ärztetag fordert, eine adäquate schmerztherapeutische Versorgung quantitativ und qualitativ sicherzustellen – aktuell sei dies nicht in gebotenem Maße gewährleistet.
Die Fachgesellschaften kritisieren, dass die Schmerzmedizin derzeit nicht als eigene Leistungsgruppe ausgewiesen wird und spezialisierte Einrichtungen damit künftig in quasi „fachfremden“ Leistungsgruppen geführt würden. Die Verbände warnen, dass damit bis zu 40 % der schmerzmedizinischen Kapazitäten verloren gehen könnten – etwa durch Auflösung etablierter Behandlerteams und Einschränkungen bei der interdisziplinären multi-modalen Schmerztherapie. Die DSG fordert daher zeitnah verbindliche Lösungen mit Planungssicherheit.
Digitale, leitliniengerechte ­Migräneversorgung im Feldtest
Mit dem Projekt MigraMD erproben die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), Universitätskliniken und Krankenkassen Ergänzungen zur fachärztlichen Versorgung auf Basis digitaler Bausteine: ein Kopfschmerzkalender und strukturierte Fragebögen sowie ein Edukationsportal mit Inhalten zu medikamentösen Therapien, Physiotherapie und Psychotherapie. Das Konzept wird in einer großen randomisiert-kontrollierten Studie an 50 Zentren evaluiert. Ziel ist bei positiven Ergebnissen die Etablierung in der Regelversorgung sowie Selektivverträge mit niederschwelligem Zugang.

Digitale, leitliniengerechte ­Migräneversorgung im Feldtest

Mit dem Projekt MigraMD erproben die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), Universitätskliniken und Krankenkassen Ergänzungen zur fachärztlichen Versorgung auf Basis digitaler Bausteine: ein Kopfschmerzkalender und strukturierte Fragebögen sowie ein Edukationsportal mit Inhalten zu medikamentösen Therapien, Physiotherapie und Psychotherapie. Das Konzept wird in einer großen randomisiert-kontrollierten Studie an 50 Zentren evaluiert. Ziel ist bei positiven Ergebnissen die Etablierung in der Regelversorgung sowie Selektivverträge mit niederschwelligem Zugang.

Migräneleitlinie: spezifische Therapien plus Neuromodulation und DiGA

Die aktualisierte S1-Leitlinie spiegelt Neuerungen bei spezifischen Behandlungsoptionen wider: als Akuttherapien unter anderem das Ditan Lasmiditan sowie das zu den CGRP-Rezeptor-Antagonisten gehörige Gepant Rimegepant. Zur Prophylaxe von Migräneattacken neu zugelassen sind Atogepant und auch Rimegepant. Real-World-Daten lassen eine höhere Wirksamkeit und Verträglichkeit der Gepante gegenüber älteren Substanzen erkennen. In der Praxis werden neue Wirkstoffe jedoch häufig relativ spät im Therapieverlauf eingesetzt. Die DMKG plädiert daher für eine raschere Integration neuer Medikamente.
Aktuelle Studien zum Clusterkopfschmerz konnten keinen prophylaktischen Effekt von CGRP-Antikörpern zeigen. Bei den nichtmedikamentösen Ansätzen zeigt hier die Remote Electrical Neuromodulation (REN) akuten und prophylaktischen Nutzen. Hier dienen App-gesteuerte elektrische Impulse zur Stimulation der körpereigenen Schmerzregulation.
Die digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) sinCephalea zur individualisierten Kopfschmerzprophylaxe verknüpft kontinuierliche Glukosemessung mit Ernährungstagebuch und edukativen Modulen (Entspannung, Schlafhygiene, Alltagsstruktur). Psychologische Verfahren (Biofeedback, kognitive Verhaltenstherapie) sowie Ausdauersport werden begleitend empfohlen.

Rückenschmerz: Präzisere Diagnostik statt Standardprogramm

Ein DFG-Verbundprojekt des Berlin Institute of Health und des Universitätsklinikums Charité stellt mit der „Berliner Rückenstudie“ diagnostische Pfade auf den Prüfstand. Ersten Ergebnissen zufolge erbringt ein Teil der konventionellen Diagnostik keinen Mehrwert. Patientenberichtete Alltagsdaten sowie Funktionsanalysen zu Haltung, Gang und Aktivitätsprofil differenzieren den chronischen Rückenschmerz individuell. Morphologische Parameter korrelieren eher mit der Dauer der Beschwerden, funktionelle Parameter mit der Schmerzintensität. Schmerzlokalisation und das Muster der funktionellen Störungen stimmen häufig nicht überein. Perspektivisch sollten daher neu strukturierte, erweiterte Diagnostikpfade (inkl. Alltagsmonitoring) für passgenauere Therapieentscheidungen zum Standard werden.
Die Gruppe ResolvePAIN am Universitätsklinikum Würzburg untersucht Mechanismen der Schmerzrückbildung beim Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) und der chemotherapieinduzierten Polyneuropathie (CIPN) parallel in Patientenkohorten, Tiermodellen und Zellkulturen. Prognosemarker beim CRPS umfassen frühe antiinflammatorische Zytokin-Signaturen, Schlaf und mentale Gesundheit. Bei der CIPN ergaben die Auswertungen Hinweise auf genetische Risikofaktoren, eine höhere Prävalenz als angenommen und Besserungstendenzen parallel zur Erholung der Blut-Nerven-Schranke. Ziel der Beobachtungsstudie ist die frühe Identifikation von Risikopatienten und eine stärker individualisierte Intervention (gegebenenfalls mit Biologika).

Fazit:

Das Motto der Tagung „Neugier auf Neuland“ zeigte sich in Beiträgen zu präziserer Diagnostik, spezifischer Pharmakotherapie, digitalen und psychologischen Versorgungselementen sowie biologischen Markern für prognosegesteuerte Entscheidungen. Die Versorgung bleibt fragil: Ohne klare Abbildung der Schmerzmedizin im Zusammenhang mit den Vorgaben des Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetzes (KHVVG) und dem Entwurf des Krankenhaus­reform-Anpassungsgesetzes (KHAG) drohen Abnahme der Versorgungskapazität, Erosion von klinischen Teams sowie Engpässe in der Qualifizierung. Die Fachgesellschaften bieten hierzu Lösungsansätze an. Nun sind Politik und ­Kostenträger aufgefordert, diese planungssicher zu etablieren.

Autor: Dr. rer. nat. Markus Fischer
Quelle: Deutscher Schmerzkongress vom 22.–25. Oktober 2025 im 
Congress Center Rosengarten in Mannheim

Schlagworte zu diesem Beitrag

Weitere Beiträge zu diesem Thema

Farbenfrohe Aquarellmalerei zeigt eine vielfältige Gruppe von Menschen am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, am Tag der Behinderung, in der Welt auf Rollstühlen, am Tag der Autismusaufklärung und im Gesundheitswesen

Behandlung von Menschen mit Beeinträchtigungen – Teil 1

Fachartikel

Die medizinische Versorgung von Menschen mit schweren Beeinträchtigungen 
konfrontiert Fachpersonen regelmäßig mit komplexen ethischen Fragen. Im Zentrum steht die Entscheidung, welche Behandlungen gerechtfertigt und sinnvoll sind – ­insbesondere dann, wenn ...

Allgemeinmedizin

Psyche und Nerven

Beitrag lesen
elektronische patientenakte als grafik vor notebook

ePA: Was man jetzt 
beachten sollte

Praxiswissen

Seit Oktober 2025 muss die elektronische Patientenakte (ePA) gesetzlich verpflichtend eingesetzt werden.

Allgemeinmedizin

Sonstiges

Beitrag lesen

CME

Biofaktoren und Immunfunktion

Fachartikel

Gerade ältere Menschen und Patienten mit verminderter Immunfunktion profitieren von ­einer gezielten Unterstützung der Immunabwehr. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die wissenschaftlich belegten Wirkungen der Biofaktoren Zink, Vitamin C und ­Vitamin D auf die Immunfunktion.

Allgemeinmedizin

CME

Beitrag lesen