Wie können Hausärztinnen und Hausärzte Menschen helfen, die nach einem Aufenthalt auf der Intensivstation eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben? Mit einer Gesprächstherapie namens „Narrative Expositionstherapie“, die ein Team um Prof. Dr. Jochen Gensichen, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am LMU Klinikum, „fit“ gemacht hat für die Anwendung in der Hausarztpraxis. In einer jetzt im Fachblatt „British Medical Journal“ veröffentlichten Studie zeigten sich deutliche positive Effekte.
Ob nach einer heftigen Lungenentzündung, einem schweren Unfall oder nach einem Herzinfarkt: Dem Tod in der Intensivstation von der Schippe zu springen – das klingt, bei allem Unglück, nach einer Geschichte der Rettung. Aber, sagt Prof. Dr. Jochen Gensichen, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am LMU Klinikum: „Diese Menschen haben die stärkste Medizin mit viel körperlichem und psychischem Stress erlebt, haben dank der Intensivmedizin überlebt – und sind trotzdem oft unsicher und kommen im Alltag nicht wieder richtig in Tritt.“
Schauen die Ärzte genauer hin, dann haben etwa ein Fünftel der Patientinnen und Patienten in den ersten zwölf Monaten nach der Entlassung aus einer Intensivstation mehr oder minder starke Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung: Flashbacks, Schlaflosigkeit und Albträume. Und damit werden sie nach drei, vier Monaten vorstellig beim medizinischen Ansprechpartner ihres Vertrauens: der Hausärztin bzw. dem Hausarzt. Oder aber umgekehrt: Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner erkennt den Zustand der Betroffenen und spricht sie darauf an. Stellt sich eine posttraumatische Belastungsstörung nach Intensivstation heraus, folgt die Frage: wie therapeutisch vorgehen? Psychotraumatologen sind rar gesät – und monatelang ausgebucht.
Deshalb hat das Münchner Team eine simple und kompakte Intervention entwickelt, maßgeschneidert für die knapp bemessene Zeit von Hausärztinnen und Hausärzten. Sie beruht auf der sogenannten narrativen Expositionstherapie (NET). Die Idee: eine Art Unordnung des Gedächtnisses wieder zu sortieren. Denn im Gehirn der Betroffenen sind die Geschehnisse in der Intensivstation und die damals auftretenden Gefühle irgendwie chaotisch abgespeichert, so dass bei ähnlichen Erinnerungen zu damals der Eindruck entsteht, dass einem der Boden unter den Füßen weggezogen würde. Mit der NET sollen durch eine bestimmte Gesprächstechnik die Erinnerungen sozusagen entdramatisiert werden, so dass sie einfach nur angemessene Erinnerungen an die Zeit von damals sind.
„Wir haben die kürzeste Variante der Narrativen Expositionstherapie überhaupt entwickelt“, erklärt Gensichen. Im Schnitt dauert jede Sitzung 30 bis 45 Minuten. In einer kontrollierten Studie erhielten 160 Betroffene die neue Intervention (in drei Einzelsitzungen) und 159 die Standardbetreuung durch ihren Hausarzt. In den Sitzungen rekonstruierten Hausarzt und Patient die starken, verstörenden Erlebnisse und sortierten diese neu. Zusätzlich erfolgten sieben wöchentliche Telefonvisiten durch eine medizinische Fachangestellte der Hausarztpraxis.
Resultat: Die Ultrakurzzeit-NET hat Zahl und Intensität der Flashbacks reduziert und das Denken der Patientinnen und Patienten so verändert, dass sie nicht mehr die Schuld für die Erkrankung bei sich selbst suchen. Vermeidungsverhalten, also das Aus-dem-Weg-gehen von bedrohlichen Situationen, und die Übererregbarkeit wurden weniger beeinflusst, dafür aber die Stimmung der Betroffenen. Nach einem Jahr waren die Effekte immer noch nachweisbar, schwächten sich allerdings ab. „Insgesamt ein beachtliches Ergebnis für solch eine kurze Intervention“, findet Jochen Gensichen, der das Verfahren für „absolut praxistauglich“ hält.
Zum einen ist es für eine Hausärztin oder einen Hausarzt mit viel Vorwissen leicht und schnell zu lernen. Zum anderen lässt es sich in den Praxisalltag einbauen. Die an der Studie teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte waren mit den NET hochzufrieden, gleichermaßen die Patientinnen und Patienten. Jochen Gensichen: „Man kann auch das Wissen für die nötige Diagnostik relativ fokussiert vermitteln, um Fälle gezielt zu selektieren und auch diejenigen zu erkennen, für die diese Behandlung eventuell nicht ausreichen würde, für die man also eine spezialisierte Behandlung brauchen würde.“
Quelle: Pressemeldung des LMU Klinikums
Zur Originalpublikation kommen Sie hier.
Gensichen J, Schmidt KFR, Sanftenberg L et al. Effects of a general practitioner-led brief narrative exposure intervention on symptoms of post-traumatic stress disorder after intensive care (PICTURE): multicentre, observer blind, randomised controlled trial. BMJ 2025; 389:e082092
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