Warum tun sich gerade Führungskräfte im Gesundheitsbereich teils immer noch schwer damit, eine gesundheitsfördernde Zusammenarbeit aktiv anzugehen.?
Das gilt für alle Ebenen: ob zwischen MFA und angestelltem Arzt, Medizinerin und Klinikleitung oder Ausbildungsbeauftragten und Azubis. Besondere Herausforderungen ergeben sich in altersgemischten Teams. Was steckt dahinter?
Wir sprachen mit der Diplom-Psychologin Cornelia Schneider, die mit ihrem 14-köpfigen Team bei GGW Homburg Unternehmen und Einrichtungen bei Führung, Gesundheit, Change-Management, Selbst- und Teammanagement begleitet – da runter auch einige Kliniken und Arztpraxen. Schneider nimmt populäre Aussagen unter die Lupe wie „Die Jungen wollen halt nicht arbeiten“ oder „Die Alten sind nicht mehr flexibel genug“ und erklärt, warum in diesem Zusammenhang „Generationen“ keine Rolle spielen.
Besonderer Mediziner-Blick?
Cornelia Schneider bringt auf den Punkt, was es in diesem Kontext bedeutet, dass viele Mediziner eine sehr biologische Vorstellung von Gesundheit haben: „In der medizinischen Ausbildung, im Studium, in der Weiterbildung – viel zu selten wird es zum Thema, dass die Qualität der Arbeit, der Arbeitsorganisation, der Arbeitsbeziehungen nachweislich auf die Gesundheit einwirkt, auf die eigene und auf die der Mitarbeitenden.“ Das liege oft daran, dass die Gesundheit eines Dritten, des Patienten bzw. der Patientin, stets im Mittelpunkt steht. Ihre Hypothese: „Wenn erkannt wird, dass ein gesundes Miteinander für einen selbst und das Team gut ist, ist ein wichtiger Meilen stein geschafft.“
Alt gegen Jung und umgekehrt
Die Diplom-Psychologin weiß aus der Coachingpraxis, dass Vorurteile bspw. bedingt durch überholte Generationenbilder das Problem nicht lösen. Im Berufsleben sitzen wir jetzt an der Schaltstelle und können es besser machen!“ Kostenfrei weiterlesen… sondern verschärfen: „Es heißt dann z. B. gerne: Die Jungen wollen nicht arbeiten – oder die Alten sind nicht flexibel genug. Dabei wollen ältere Kollegen im Team bspw. auch nicht unter extremem Dauerdruck arbeiten. Früher hatten wir im Arbeitsumfeld oft nicht die Rahmenbedingungen, das zu hinterfragen. Übrigens, solche vor geschobenen Aussagen gegen „die Jüngeren“ gab es ja auch schon zu unserer Zeit, und zwar von älteren Kollegen, Lehrern oder Eltern. Im Berufsleben sitzen wir jetzt an der Schaltstelle und können es besser machen!“
Interview mit Dr. Cornelia Schneider, Diplom-Psychologin und systemischer Coach (GGW Homburg)

Dr. Cornelia Schneider; Quelle: privat
Warum lohnt sich die Arbeit an der Mitarbeitergesundheit für Praxen und Kliniken?
Cornelia Schneider: Wer die Gesundheit seiner Angestellten vernachlässigt, verliert auf Dauer seine Fachkräfte. Zögerliches Handeln in der Medizin ist daher eher ein Resultat des zwingenden Bedarfs als einer freiwilligen Entscheidung. Ein wesentliches Defizit liegt nicht nur im fehlenden Bewusstsein, sondern auch in der fehlenden Kompetenz, wie man diese Herausforderung strukturell und praktisch lösen kann.“ Die Führungskräfte im Gesundheitswesen reagieren meiner Ansicht nach viel zögerlicher als solche in der Verwaltung oder in der Industrie. Die Motivation, sich um die Belegschaft zu kümmern, entspringt nicht der Erkenntnis um die Bedeutung der Mitarbeitenden, sondern dem Druck des Personalmangels. Jede Einrichtung im Gesundheitswesen muss sich dieser Realität stellen.“
Fällt Medizinern der Zugang zu gesundheitsorientierter Führung besonders schwer?
Cornelia Schneider: „Eigentlich könnte man annehmen, dass Mediziner aufgrund ihres Wissens über die Verbindung von Körper und Psyche ein Interesse an gesunden Mitarbeitern und einem guten Arbeitsklima hätten. Wir haben jedoch in unserer Arbeit mit zahlreichen medizinischen Einrichtungen, darunter vielen Kliniken, festgestellt, dass dieser Schritt nicht von selbst erfolgt. Oft wird Patienten Stressreduktion empfohlen, aber die Erkenntnis, dass dies auch für das eigene Team gilt, muss erst angestoßen werden.
Der Grund dafür liegt oft in einer überwiegend biologistischen Sichtweise von Gesundheit. In der Ausbildung von Medizinern werden die Auswirkungen von Arbeitsorganisation und Beziehungen auf die Gesundheit kaum thematisiert, obwohl es dazu zahlreiche Studien gibt.
Hinzu kommen unter Umständen eine Grundhaltung der Selbstüberschätzung – man meint, selbst zu wissen, was gesund ist und keine Unterstützung zu benötigen – sowie die stark hierarchischen Strukturen in der Medizin. Das „der Chef entscheidet, die anderen machen“ funktioniert in altersgemischten Teams aber heute nicht mehr, da die jüngere Generation dies nicht mehr akzeptiert.“
Können die verschiedenen Altersgruppen vor diesem Hintergrund voneinander lernen? Und spricht man heute noch von den sogenannten „Generationen“?
Cornelia Schneider: „Obwohl ältere Generationen die damaligen Arbeitsbedingungen ebenfalls als unvorteilhaft empfanden, hatten sie oft nicht die Möglichkeit, diese zu hinterfragen. Im Gegensatz dazu erkennen jüngere Mitarbeitende heute schneller, was ihnen physisch und psychisch schadet, und trauen sich, dies anzusprechen.
Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass die Jüngeren einfach faul seien und die Älteren alles mitgemacht hätten. Tatsächlich waren die älteren auch nicht mit allem einverstanden, aber die gesellschaftlichen und strukturellen Rahmenbedingungen ließen eine Infragestellung kaum zu. Ich selbst habe als Babyboomerin in einer Klinik gearbeitet und die damaligen Zustände als furchtbar empfunden, da die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ignoriert wurden. Die Bedürfnisse der Generationen ähneln sich also stark. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass jüngere Mitarbeitende heute bessere Möglichkeiten haben, ihre Bedürfnisse zu formulieren. Es ist problematisch, dass diese Entwicklung von erfahrenen Fachkräften oft mit einem Reflex wie „Leistung muss sich wieder lohnen“ beantwortet wird, statt die Chance zu nutzen, positive Veränderungen zu bewirken. Es gibt keine seriösen Studien, die belegen, dass die heutige Generation fauler oder weniger motiviert ist. Statt sich auf medial befeuerte Generationsklischees zu fokussieren, sollten wir erkennen, dass die Unterschiede eher auf die Sozialisierung zurückzuführen sind, nicht auf die grundsätzlichen Einstellungen von Menschen.“
Wenn das Team unter Konflikten leidet und die Mitarbeitergesundheit Schaden nimmt, was bedeutet das für Patienten?
Cornelia Schneider: „Ohne zufriedene, wertgeschätzte und akzeptierte Mitarbeitende ist es unmöglich, Patienten zufriedenzustellen. Die gleiche Wertschätzung, die den Patienten entgegengebracht wird, muss auch dem Team gelten. Jahrelang konnte es sich die Medizin leisten, Mitarbeitenden, die unzufrieden waren, einfach zu sagen: „Dann gehen Sie doch woanders hin.“ Und das passierte auch. Was daran besonders spannend ist: Trotz wiederholter Beschwerden und offener Andeutungen, dass sie sich nach einer neuen Stelle umsehen, kommt die Kündigung für alle überraschend. Weder die Kollegen noch die Vorgesetzten scheinen es ernst genommen zu haben und sind dann über das Ausscheiden des Mitarbeiters entsetzt.“
Wie wichtig ist das gemeinsame Miteinander bei derartigen Prozessen?
Cornelia Schneider: „Basierend auf den bisherigen Erfahrungen unseres Teams im niedergelassenen Bereich stellen wir uns die Frage: Wie können wir unsere Zusammenarbeit verbessern? Dabei konzentrieren wir uns bewusst auf das gemeinsame Miteinander im jeweiligen Team und nicht auf generationsspezifische Bedürfnisse. Entscheidend ist die Möglichkeit, einander zuzuhören, wertzuschätzen und auch Grenzen zu setzen. Wenn jemand zum Beispiel jeden Montag und Freitag freihaben möchte, muss ein anderer Teamkollege dies nicht nur verstehen, sondern auch klar sagen können, ob dies angesichts der aktuellen Personalsituation realisierbar ist. Verstehen bedeutet eben nicht zwingend einverstanden zu sein.“
Team-Tage können Impulse setzen – was ist dabei wichtig?
Cornelia Schneider: Viele Praxen haben altersgemischte Teams – junge Assistenzkräfte treffen auf ältere Ärzte oder Praxismanager. Das führt oft zu unnötigen Generationenkonflikten und Missverständnissen, wie „Die Jungen wollen nicht arbeiten“ oder „Die Chefs hören uns nicht zu.“ Statt uns auf die Generationenfrage zu konzentrieren, beginnen wir in den Workshops, die wir als „Kooperationswerkstätten“ gestalten, damit, was die Mitarbeitenden sich bewusst machen, was sie an ihrem Beruf und Arbeitsplatz schätzen. Überraschenderweise dauert es oft lange, bis positive Aspekte wie gute Praxisräume oder die Erfahrung älterer Kollegen genannt werden. Wir sind gewohnt, das Gute als selbstverständlich anzusehen und konzentrieren uns lieber auf Probleme. Anschließend stellen wir dann Fragen wie: „Was sind eure aktuellen Herausforderungen?“, um gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Danach fragen wir: „Was braucht jeder von wem, um besser arbeiten zu können?“ und „Was davon ist realistisch?“. In diesen Diskussionen zeigt sich, dass nicht alle Wünsche umsetzbar sind. Den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, ihre Bedürfnisse zu formulieren und dann plausible Gründe für eine Absage zu hören, schafft oft mehr Zufriedenheit, als unausgesprochene Wünsche und Bedarfe mit sich herumzutragen.
Es geht darum, die Anliegen der Mitarbeitenden zu würdigen und vor allem, dass sie sich verstanden und akzeptiert fühlen – auch wenn nicht immer alle Bedürfnisse erfüllt werden können. So wie in der Psychotherapie löst allein das Gefühl, gehört zu werden, oft schon viele Spannungen – unabhängig davon, ob eine konkrete Lösung gefunden wird oder nicht.“
Praxisbeispiel: Dr. Schneider: Quick-Wins nach einem Team-Tag
„Für den Praxisalltag sind „Quick-Wins“ oft entscheidend. Das sind kleine, kostengünstige Veränderungen, die einen großen Mehrwert schaffen. Dazu zählen beispielsweise eine bessere Pausengestaltung, ein freundlicherer Umgangston oder ein gemeinsames Mittagessen alle zwei Wochen. Solche Maßnahmen zeigen den Mitarbeitenden, dass den Worten Taten folgen. Was genau umgesetzt wird, variiert je nach Einrichtung. Es kann sich um organisatorische Anpassungen handeln oder um Absprachen im Team, wie künftig miteinander kommuniziert wird.“
Wie gehen Sie und Ihr Team bei der Arbeit in den Kooperationswerkstätten konkret vor
Cornelia Schneider: „Wir verfolgen bei unserer Arbeit drei Ebenen. Zuerst analysieren wir die Organisationsebene: Was funktioniert gut, und wo gibt es Verbesserungsbedarf bei Arbeitszeiten, technischer Ausstattung oder Führungsstil? Als Nächstes betrachten wir die Teamebene. Hier geht es um das Miteinander, also um die Regeln der Zusammenarbeit, der Kommunikation oder die Gestaltung von Meetings. Zuletzt fragen wir jeden Einzelnen nach seinem persönlichen Beitrag. Von der Chefin bis zum Azubi muss jeder festlegen, was er konkret tun wird, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Diese Ziele werden auf einem Flipchart festgehalten. Drei Monate später überprüfen wir gemeinsam die Fortschritte. Was wurde umgesetzt? Was hat nicht funktioniert? Wo müssen wir nachbessern? Dieser Prozess ist kontinuierlich. Wenn er sich einmal etabliert hat, entwickeln die Teams das System eigenständig weiter.“
Wie sieht es mit den Mitarbeitenden aus, die vor einem persönlichen Umbruch stehen wie einer Neuorientierung in den Fünfzigern oder der mit Anfang/Mitte 60?
Cornelia Schneider: „Wir sollten das Potenzial älterer Mitarbeitenden, insbesondere der Babyboomer-Generation, besser nutzen. Viele Menschen in den 50ern und 60ern möchten auch nach der Rente weiterarbeiten, aber oft nur unter bestimmten Bedingungen. Statt sie frühzeitig abzuschreiben, sollten wir ihre Erfahrung und Gelassenheit schätzen.
Jüngere können Innovationen und Ältere ihre Expertise einbringen. Dies fördert nicht nur das Arbeitsklima, sondern ist auch ein wirtschaftlicher Gewinn für das gesamte Gesundheitssystem. Es zeigt sich, dass gute Führung die größte Motivation für Mitarbeiter über 50 ist, nicht die Bezahlung oder Arbeitszeit. Wer Personen über 50 halten will, muss ihnen Wertschätzung entgegenbringen und attraktive Rahmenbedingungen schaffen, anstatt sie durch schlechte Führung zu verlieren. Das Thema Führung sollte daher in medizinischen Bereichen mehr Beachtung finden. Eine stärkere Fokussierung auf die Teamkooperation – unabhängig von Diversitätsaspekten wie Alter, Geschlecht oder Herkunft – bietet zahlreiche Vorteile. Altern ist der einzige Diskriminierungsaspekt, der uns alle betrifft, was ihn zu einem idealen Ansatzpunkt für die Auseinandersetzung mit Diversität macht.“
Warum lohnt es sich für Arztpraxen und Kliniken dieses Thema JETZT anzugehen?
Cornelia Schneider: „Investitionen in die Teamkooperation lohnen sich, denn sie reduzieren die Fluktuation, binden Mitarbeitende, steigern die Motivation und senken nachweislich die Krankentage. Krankheitsstände stellen nicht nur ein ethisches, sondern auch ein großes ökonomisches Problem dar. In der Industrie wurde dies schon früh erkannt, Große Industriebetriebe konnten durch die Senkung des Krankenstandes teilweise Einsparungen in sechsstelliger Höhe und mehr erwirken. Auch wenn die Zahlen bspw. bei AU-Tagen in medizinischen Berufen oft erschreckend hoch sind, ist es wichtig, nicht nur die offiziellen Fehlzeiten zu betrachten. Es gibt einen Unterschied zwischen echter und unechter Anwesenheit. Ein Mensch kann zwar physisch anwesend sein, aber dabei nicht engagiert sein. Das bedeutet, dass er nicht wirklich anwesend ist. Die Verbesserung der Teamkooperation stärkt das Gefühl der echten Anwesenheit und die Identifikation mit der Arbeit.“
Herzlichen Dank Frau Schneider für das Interview!
Das Interview führt Sabine Mack
Kontaktmöglichkeiten
Cornelia Schneider
GGW Homburg
Website: https://ggw-homburg.de
E-Mail: cornelia.schneider@ggw-homburg.de
LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/cornelia-schneider
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