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Multilingualität: Ghanaische Babys wachsen mit zwei bis sechs Sprachen auf

Ein Schwarzer Säugling wird liebevoll von seiner Mutter gestreichelt.

Multilingualität: Ghanaische Babys wachsen mit zwei bis sechs Sprachen auf

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Erschienen in: neuro aktuell

Afrika ist ein vielsprachiger Kontinent und viele Erwachsene sprechen etliche Sprachen fließend. Eine empirische Studie eines Forschungsteams um die Potsdamer Psycholinguisten Prof. Dr. Natalie Boll-Avetisyan und Paul O. Omane zeigt nun, dass die Wurzeln für diese Vielsprachigkeit bereits im Babyalter liegen: In Ghana wachsen Babys überwiegend mehrsprachig auf, wobei die meisten mit zwei bis sechs Sprachen und ebenso vielen regelmäßigen Inputgebern in Kontakt kommen. Gezeigt wurde außerdem, dass die Babys manche Sprachen eher indirekt – also über Radio, Fernsehen oder Hintergrundgespräche – hören, während andere von den Kontaktpersonen benutzt wurden, um direkt mit ihnen zu kommunizieren. Die Ergebnisse der Studie wurden nun im Journal Cognitive Development veröffentlicht.

Die Studie, die 121 Babys im Alter von drei bis zwölf Monaten in der Hauptstadt Ghanas, Accra, untersuchte, zeigt eine bemerkenswerte Vielfalt an Sprachinput in den frühen Lebensmonaten. Die Kinder sind regelmäßig zwischen zwei und sechs Sprachen ausgesetzt. Eine Parallele zeigt sich in der Anzahl der Bezugspersonen der Kinder: Babys, die mehr Erwachsene in ihrem Alltag haben, die sich regelmäßig um sie kümmern, hören auch mehr unterschiedliche Sprachen. In den typischen ghanaischen Wohnverhältnissen, den sogenannten „Compound Buildings“, finden viele alltägliche Interaktionen im Hof statt, wo sowohl Familie als auch Nachbarn und andere Verwandte eine wichtige Rolle im Leben der Kinder spielen.

„Die Vorstellung, dass ein Kind nur eine bestimmte Sprache von einer einzelnen Bezugsperson erlernt, wie es häufig in westlichen Kulturen angenommen wird, trifft auf diese Gemeinschaften nicht zu. Vielmehr sind Kinder von Beginn an von einem reichen Spektrum an sprachlichen Inputs umgeben“, so der Erstautor der Studie Paul O. Omane. „Die Mehrheit der Studien zum Spracherwerb von Kindern wurde bisher in westlichen Industrienationen durchgeführt, weshalb ihr Fokus häufig auf einer eher engen Vorstellung von Mehrsprachigkeit liegt. Unsere Untersuchung zeigt, dass diese für andere Gesellschaften mit einem lebendigen multilinguistischen Umfeld nicht gelten,“ ergänzt die leitende Forscherin der Studie, Prof. Dr. Natalie Boll-Avetisyan.

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Sprachinput. Während Englisch in erster Linie über indirekte Kanäle wie Fernsehen und offizielle Kommunikation vermittelt wird, erhalten die Kinder die meisten anderen lokalen Sprachen (wie Akan, Ga und Ewe) durch direkten Kontakt mit ihren Bezugspersonen. Interessanterweise ist der Anteil des direkten Inputs in den lokalen Sprachen höher als bei Englisch, das überwiegend als indirekter Input präsent ist.
„Es wird immer wieder betont, wie wichtig der direkte Sprachkontakt für den Spracherwerb ist“, sagt Natalie Boll-Avetisyan. „Unsere Ergebnisse legen jedoch nahe, dass auch indirekter Input – insbesondere durch Medien und offizielle Kommunikation – eine wesentliche Rolle spielt, insbesondere in städtischen Kontexten.“

In der Folge ihrer empirischen Studie fordern die Forschenden eine Erweiterung des Blicks in der Sprachforschung. Die gängigen Annahmen spiegelten nicht die Vielfalt und Komplexität wider, die in anderen kulturellen Kontexten wie Ghana zu finden sind. Die Studie verdeutlicht, dass es nicht nur die Anzahl der Sprachen ist, die ein Kind hört, sondern auch die Vielfalt der Menschen und die unterschiedlichen Formen des Inputs, die einen entscheidenden Einfluss auf den Spracherwerb haben. „Unsere Forschung belegt, dass für viele Kinder ein multilinguales Umfeld von Anfang an eine dynamische, lebendige Realität ist. Mehrsprachigkeit ist nicht nur ein Bonus, sondern ein grundlegender Bestandteil der Identität und der sozialen Struktur der Kinder“, so die Forscherin.

Pressemitteilung: Matthias Zimmermann, Universtät Potsdam (idw)

Zur Originalstudie kommen Sie hier.

Bilderquelle: © Art_Photo

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