E-Paper

Neurologie und Psychiatrie » Neurophysiologie

»

Paradigmenwechsel für die Hirngesundheit

Paradigmenwechsel für die Hirngesundheit

News

Neurologie und Psychiatrie

Neurophysiologie

mgo medizin

mgo medizin

Autor

4 MIN

Erschienen in: neuro aktuell

Die interdisziplinäre Forschungsinitiative „Cognitive Vitality“ an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erforscht, wie künftig durch neue Therapieansätze und Interventionen die geistige Leistungsfähigkeit auch bei körperlichen Beeinträchtigungen erhalten und gestärkt werden kann. Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wollen gemeinsam mit Ingenieurinnen und Ingenieuren herausfinden, wie das Zusammenspiel zwischen unserem Gehirn, unserem Körper und unserer Umwelt funktioniert und welche Einflüsse körperliche Erkrankungen und deren Behandlungen auf unsere geistige Leistungsfähigkeit haben.

Ein Team um Prof. Dr. med. Emrah Düzel, Direktor des Instituts für Kognitive Neurologie und Demenzforschung an der Universität Magdeburg, will untersuchen, wie das Potential unseres Gehirns im Alltag mobilisiert und optimal genutzt werden kann, auch bei eingeschränkten gesundheitlichen Voraussetzungen. Mit neuen digitalen Technologien wollen die Forscherinnen und Forscher Behandlungs- und Präventionsverfahren entwickeln, die helfen, die Hirngesundheit auch bei reduzierter physischer Leistungsfähigkeit zu verbessern bzw. zu erhalten.

Ziel des interdisziplinären Forschungsverbundes, an dem über 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Standort Magdeburg beteiligt sind, ist es, die anatomischen und systemischen Grundlagen dieser Störungen zu entschlüsseln, um in Zukunft Einschränkungen im Alltag der Betroffenen zu vermeiden, ihre Selbständigkeit im Alter zu gewährleisten und somit die enormen Kosten für das Gesundheitswesen zu reduzieren.

„Kognitive Vitalität bedeutet, unsere höheren Hirnfunktionen auch unter nicht optimalen Bedingungen bestmöglich zu nutzen“, erklärt Prof. Dr.med. Emrah Düzel, Sprecher der Forschungsinitiative. „Das bedeutet Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Denkprozesse, die Speicherung von Information sowie Entscheidungsfindung und Motivation. Wenn diese Prozesse gestört sind und ihre Funktionen stark und dauerhaft beeinträchtigt werden, führt das zu tiefgreifenden Auswirkungen auf die Unabhängigkeit und die Selbstverwirklichung von Personen, nicht selten zu Arbeitsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit.“ Abgesehen vom Leidensweg der Patientinnen und Patienten seien die daraus resultierenden Belastungen für das Gesundheitswesen immens, so der Neurologe und Neurowissenschaftler weiter.

Emrah Düzel vermutet, dass diese Funktionsstörungen reversibel und beeinflussbar sind. „Wir erwarten, dass durch unseren Forschungscluster innerhalb weniger Jahre erste Interventionen und Präventionsmaßnahmen identifiziert werden, die den Beeinträchtigungen höherer kognitiver Leistungen, insbesondere des Gedächtnisses, der räumlichen Orientierung, der Aufmerksamkeit und der Entscheidungsfindung entgegenwirken und die in den Alltag sowie die Versorgung integriert werden können. Unsere Vision ist es, einen international führenden Standort für kognitive Gesundheit zu entwickeln, der einen Paradigmenwechsel in der Medizin im Umgang mit Kognition anführt.“

Co-Sprecher des Forschungsverbundes und Direktor des Leibniz-Instituts für Neurobiologie Prof. Dr. Stefan Remy betont: „Entscheidend sind hierbei die neurokognitiven Schaltkreise im Gehirn, deren Anfälligkeit für negative Einflüsse, wie etwa andere Erkrankungen im Körper oder Umwelteinflüsse, sowie deren Fähigkeit, sich davon wieder zu erholen. Wir sind in der Lage, kausale Beziehungen zwischen Schaltkreisen und Verhalten in Tiermodellen zu identifizieren und diese Prinzipien auf das menschliche Gehirn zu übertragen.“

Den mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Magdeburg sowie außeruniversitärer Einrichtungen wie dem Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), dem Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg (LIN) und dem Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) stehen dafür modernste Technologien am Standort Magdeburg zur Verfügung. Der europaweit leistungsstärkste 7-Tesla-Konnektom-MRT ermöglicht beispielsweise Einblicke in die innerste Architektur des Gehirns in bisher nie dagewesener Auflösung. Dank der Kombination aus molekularen, optogenetischen, elektrophysiologischen sowie hochauflösenden mikroskopischen Verfahren können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gedächtnisspuren über die verschiedenen Schichten des Gehirns verfolgen und als Schaltkreise sichtbar machen. Für den Zugang und Austausch dieses Wissens schafft die Initiative interdisziplinäre Kooperationsstrukturen zwischen Neurowissenschaften, Medizin und Ingenieurwissenschaften mit Plattformen für neurokognitive Schaltkreisforschung, Computer- und Datenwissenschaften (DECODE) sowie experimentelle Arzneimittel und Technologieentwicklung (Mittel-Elbe).

Die Forschungsinitiative „Cognitive Vitality“ ist eines von insgesamt drei Forschungsclustern, mit der sich die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg an der neuen Runde der bundesweiten Exzellenzinitiative beteiligt.

„Der Forschungsverbund ‚Cognitive Vitality‘ ist die logische Fortführung bisheriger Aktivitäten und Erfolge neurowissenschaftlicher Forschung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg“, so der Rektor, Prof. Dr.-Ing. Jens Strackeljan. „Durch die enge Verzahnung und interdisziplinäre Zusammenarbeit von Medizin und Ingenieurwissenschaften lassen wir Fakultätsgrenzen hinter uns, stellen den bisher bereits erfolgreichen neurowissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt an der Universität auf eine neue Ebene und positionieren uns als Standort mit Schwergewicht in der Hirnforschung.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Forschungsinitiative erwarten, innerhalb von zirka sieben Jahren erste Interventionen und Präventionsmaßnahmen identifiziert zu haben, die die Beeinträchtigungen höherer kognitiver Leistungen, insbesondere des Gedächtnisses, der räumlichen Orientierung, der Aufmerksamkeit und der Entscheidungsfindung entgegenwirken und die in die Versorgung integriert werden können.

Quelle: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Bilderquelle: © SciePro_stock.adobe.com

Schlagworte zu diesem Beitrag

Weitere Beiträge zu diesem Thema

© DimaBerlin_stock.adobe.com

Wie bestimmte Wahrnehmungsveränderungen bei Borderline-Patientinnen das sexuelle Verhalten beeinflussen können

News

Frauen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erleben in sexuellen Situationen häufiger dissoziative Symptome – dazu gehören beispielsweise Derealisation und Depersonalisation, also eine veränderte Wahrnehmung des eigenen Körpers oder der Umwelt, sowie Konversionssymptome, also körperliche Beschwerden ohne organischen Grund.

Neurologie und Psychiatrie

Persönlichkeitsstörungen

Beitrag lesen
Illustration eines Arztgesprächs: Ein Arzt klärt eine Patientin über Epilepsie auf, die Patientin hält sich die Hände an den schmerzenden Kopf.

Experten fordern Umdenken in der Epilepsie-Behandlung

Pharmaservice

In der Behandlung von Epilepsien geht wertvolle Zeit verloren, in der Patientinnen und Patienten unter fortbestehenden Anfällen leiden und ihre Lebensqualität erheblich eingeschränkt ist. Im Rahmen eines Seminars von Angelini Pharma wurden die Ursachen und Folgen dieser „therapeutischen Trägheit“ diskutiert.

Neurologie und Psychiatrie

Epilepsie

Beitrag lesen
John - Adobe Stock

Europäischer Kopfschmerzkongress: Hormone und Kopfschmerz

Kongressberichte

Welche Auswirkungen haben Hormone auf Kopfschmerzen? Dieser Frage gingen zwei Expertinnen im Rahmen des Europäischen Kopfschmerz-Kongresses Anfang Dezember in Lissabon nach.

Neurologie und Psychiatrie

Kopfschmerzerkrankungen

Beitrag lesen