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Streiflichter vom DGN-Kongress 2025

Voller Kongresssaal, vorne wird ein Vortrag gehalten.

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Streiflichter vom DGN-Kongress 2025

Kongressberichte

Neurologie und Psychiatrie

Forschung

mgo medizin

Dr. Alexander Kretzschmar

Autor

6 MIN

Erschienen in: neuro aktuell

Der 99. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) 2025 in Berlin gab einen breiten Einblick zum Stand der neurologischen Diagnostik sowie klassischen und neuen Therapieformen bei etablierten Krankheiten wie der Alzheimer Demenz (AD) bis hin zu selteneren Immunerkrankungen. Von dem Bestreben nach einer zunehmend biologischen Krankheitsdefinition profitiert auch die Biomarkerforschung.

Bei der AD wie bei immunassoziierten neurologischen Erkrankungen sucht man nach Biomarkern für eine möglichst individuelle zielgerichtete Therapie. Anfangs nur als Ergänzung zur klinischen Diagnostik und Therapieentscheidung gedacht, wird heute bereits eine Biomarker-basierte Diagnose einer AD schon vor dem Auftreten klinischer Symptome oder in einer sehr frühen klinischen Krankheitsphase vorgeschlagen.

Ein Projekt zur Frühdiagnostik der AD ist die Erfassung früher AD-Symptome mithilfe einer auf künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Risikoanalyse mit der PreDEM-Plattform. In einer Auswertung der Ergebnisse im SDMT (Symbol Digit Modalities Test) von 4.334 Teilnehmenden konnten subtile Anzeichen einer Demenz identifiziert werden. In der weiteren Evaluation wurden kognitive Defizite zum Teil auf organische Ursachen wie Depressionen, Bluthochdruck, Diabetes oder Post-COVID-Syndrom zurückgeführt. In einer kognitiv leistungsschwächeren Subgruppe waren weitere neurologische bzw. neuropsychologische Untersuchungen angezeigt. Die PreDEM-Plattform könnte einen Fortschritt in der Diagnose und Behandlung von Demenz darstellen, so das Fazit der Untersucher.

Die bundesweite Refer-MCI-Studie untersucht derzeit bei geplant 500 Patientinnen und Patienten zwischen 60 und 80 Jahren mit selbst- oder von Angehörigen berichteten kognitiven Beschwerden, ob digitale, zuhause durchgeführte Selbsttestungen die Effizienz und Vorhersagegenauigkeit von Überweisungen von Menschen mit wahrscheinlicher leichter kognitiver Störung (MCI) durch niedergelassene Fachärzte an Gedächtnisambulanzen verbessern können. Dabei sollen auch Hindernisse für die Implementierung von Tools für die effiziente und zeitnahe Überweisung dieser Patientinnen und Patienten identifiziert werden.

Etablierte Instrumente zur Diagnostik neurokognitiver Störungen erfordern oft hohe sprachliche Fähigkeiten, die nicht immer gegeben sind. Mit dem KINO-MCI wurde jetzt ein weitgehend bildbasierter Selbstbericht-Fragebogen von Fachpersonen aus der Neuropsychologie, Neurolinguistik, Neurologie und Graphikdesign entwickelt. Die Validität von KINO-MCI wurde in einem Vergleich von 54 neurologischen Patientinnen und Patienten (im Mittel 70,52 Jahre) mit sog. Subjective Cognitive Decline, leichter und schwerer neurokognitiver Störung und 261 Kontrollen verglichen. Der bildbasierte KINO-MCI erfasste dabei subjektive kognitive und ADL-Defizite ähnlich gut wie sprachbasierte Fragebögen, zeigte eine hohe Reliabilität und Validität und kann zur Verbesserung der Diagnostik neurokognitiver Störungen beitragen, auch bei Spracheinschränkungen, so das Fazit.

Neue Immuntherapien als Hoffnungsträger

Ein neues und sich rasant entwickelndes Feld in der Neurologie sind Immuntherapien, insbesondere der Einsatz von CAR-T-Zelltherapien, also gentechnisch veränderten T-Zellen. Erfolgreich etabliert in der Hämatoonkologie wächst die Evidenz zur Wirksamkeit auch bei immunvermittelten rheumatologischen Erkrankungen. Auf dem DGN-Kongress wurden erste Fallberichte zum Einsatz bei neurologischen Autoimmunerkrankungen wie der Myasthenia gravis (MG), dem Stiff-Person-Syndrom (SPS), Polyneuropathien und Neurosarkoidosen von mehreren deutschen Arbeitsgruppen vorgestellt.

Die Fallberichte zeigen ermutigende Therapieerfolge mit gegen CD19-positive B-Zellen gerichteten CAR-T-Zellen, kontrollierte Studien stehen noch aus. Erste Therapieerfahrungen nähren die Hoffnung, dass die CAR-T-Zelltherapie mit einem positiven Risikoprofil mit klinischer Verbesserung und gut kontrollierbarer Toxizität assoziiert ist. Insbesondere die Häufigkeit schwerer unerwünschter Ereignisse wie ICANS (Immuneffektorzell-assoziiertes Neurotoxizitätssyndrom) und CRS (Zytokinfreisetzungssyndrom) sowie ICAHT (Immune Effector Cell-Associated Hematotoxicity) scheint im Vergleich zu onkologischen Indikationen deutlich geringer zu sein, vermutlich durch die geringere Zielzelllast und entsprechend reduzierter Zytokinfreisetzung.

Ein zweiter immuntherapeutischer Therapieansatz mit Ursprung in der Onkologie sind bispezifische T-Zell-Engager (BiTEs). BiTEs binden gleichzeitig an die Zielzelle, z. B. CD19-positive B-Zellen, und an eine T-Zelle. Dadurch bringen sie beide Zellen in engen Kontakt und aktivieren die T-Zelle, sodass diese die Zielzelle zerstört. Zu zwei BiTEs – Teclistamab bzw. Blinatumumab – wurden in Berlin erste Fallvignetten vorgestellt. Dabei erwies sich Teclistamab als wirksam bei Patientinnen und Patienten mit refraktärer IgM-paraproteinämischer autoimmuner Neuropathie.

Der CD19xCD3-T-Zell-Engager Blinatumumab könnte eine neue Therapieoption bei Personen mit refraktärer MG sein, so erste Erfahrungen. Vorteile von BiTEs gegenüber CAR-T-Zellen sind eine einfachere Logistik, geringere Kosten sowie keine Notwendigkeit einer vorherigen Chemotherapie. Darüber hinaus bieten sie eine tiefere B-Zell-Depletion im Vergleich zu Rituximab.

Biomarker als Sicherheitsdetektoren

Biomarker werden auch zur Identifizierung möglicher Behandlungsrisiken gesucht. Unter Therapie mit von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassenen Amyloid-ß-Antikörpern zur Therapie früher AD-Stadien können radiologisch feststellbare Amyloid-bedingte Bildgebungsanomalien (Amyloid-Related Imaging Abnormalities; ARIA) auftreten. Sie sind u a. mit Kopfschmerzen und Hämorrhagien assoziiert, die zu Therapieabbrüchen und Hospitalisationen führen können.

Die von deutsch-britischen Untersuchern gewonnenen 3 Tesla MRT-Daten von 23 Probanden (9 CAA-Patienten (im Mittel 72,0 Jahre) und 14 gesunden Kontrollen (70,7) unterstreichen die große Bedeutung perivaskulärer Räume der grauen Hirnsubstanz als Zeichen einer ausgeprägten perivaskulären Drainagestörung, die sich insbesondere bei einer fortgeschrittenen Mikroangiopathie zeigen und somit einen möglichen Risikomarker für die Entwicklung einer ARIA unter Amyloid-ß-Immuntherapien darstellen.

Für CAR-T-Zelltherapien und andere Immuntherapien laufen Studien vor allem mit blutbasierten Biomarkern wie den Leichtketten-Neurofilamenten (sNfL) und dem sauren Gliafaserprotein (sGFAP). Weitere Kandidaten-Biomarker sind Interleukin-6 (IL6), C-reaktives Protein (CRP), Ferritin, IL10 sowie spezifische Blutbildparameter wie Hypogammaglobulinämien und anhaltende Zytopenien zur Früherkennung von Nebenwirkungen von CARTZelltherapien.

Dem Long-COVID-Syndrom auf der Spur

Das Long-COVID-Syndrom (LGS) bleibt diagnostisch herausfordernd, weil die pathophysiologischen Mechanismen weiterhin unzureichend verstanden sind und das LGS nur als Ausschlussdiagnose gestellt werden kann. Zudem fehlt hier eine breite Datenbasis.

Neue Auswertungen der Gutenberg COVID-19 Studie (GCS) auf Basis von 10.250 Teilnehmenden im Alter von 22–88 Jahren, darunter 461 Teilnehmende mit gesicherter SARS-CoV-2-Infektion sowie eine Kontrollgruppe (n = 481). Auf Nachfrage zu persistierenden Beschwerden wurden Schmerzsymptome von 34 % der Infizierten genannt, am häufigsten Muskel-/Gliederschmerzen (19,4 %), Gelenkschmerzen (13,8 %), Kopfschmerzen (12,5 %), abdominelle/pelvine Schmerzen (6,9 %) sowie thorakale bzw. atembezogene Schmerzen (4,2 %). Allerdings traten nur Muskel-/Gliederschmerzen – und auch nur in Kombination mit mindestens einem Kernsymptom – signifikant häufiger bei Infizierten auf. In der multivariaten Analyse waren weibliches Geschlecht, erhöhte SARS-CoV-2-Antikörpertiter und Basophilenzahlen unabhängig mit Symptompersistenz assoziiert – ein ähnliches Muster zeigte sich auch in der Subgruppe mit Muskel/Gliederschmerzen.

Der unabhängige Zusammenhang mit erhöhtem SARS-CoV-2-IgG-Titer und Basophilenzahl sowie die Übertragbarkeit schmerzähnlicher Phänotypen durch IgG im Tiermodell deuten auf eine fehlgeleitete Immunantwort als möglichen pathophysiologischen Mechanismus hin, so die Untersucher.
Zwei positive aktuelle Studien liegen aus Israel und den Niederlanden zur Therapie mit hyperbarem Sauerstoff vor. Dort wurden signifikante Verbesserungen der Kognition als einem der häufigsten LGS-Symptome sowie psychiatrischen und Schmerzsymptomen erzielt; auch die Fatigue und Schlafstörungen gingen zurück. In einer spanischen Phase-II-Studie erwies sich ein Plasmaaustausch zwar als sicher, besserte aber die LGS-Symptomatik nicht.

Dr. Alexander Kretzschmar

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