Im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) erforschen Wissenschaftler u. a., warum Menschen an Herz-Kreislauf- und Stoffwechselstörungen, immunologischen oder neurobiologischen Erkrankungen, Infektionen oder Krebs erkranken oder aber die Knochen im Alter schwach werden. Sie wollen Grundlagen von Krankheiten verstehen und neue Therapien entwickeln, um sie in klinische Anwendungen zu überführen. Prof. Dr. Petra Arck, Prodekanin für Forschung des UKE, und Dr. Nadine Wenzel, die gemeinsam mit Dr. Aline Reitmeier die Forschungstierhaltung des UKE leitet, erklären, warum die Forschung noch nicht ohne Tierversuche auskommt und wie die Vereinbarkeit von Tierschutz und wissenschaftlichem Fortschritt aussehen kann.
Warum spielen Versuchstiere in der medizinischen Grundlagenforschung auch heute noch eine so wichtige Rolle?
Prof. Dr. Petra Arck: Weil medizinische und biomedizinische Forschungsprojekte wesentlich auf die Arbeit mit Tieren angewiesen sind. Zwar können neue Wirkstoffkandidaten durch Computersimulationen gefunden werden oder Zellkulturen Aufschluss über physiologische Abläufe geben, jedoch kann in vielen Fällen ein Forschungsvorhaben nur dann Erfolg haben, wenn zumindest Teile davon am lebenden Organismus durchgeführt werden. So können beispielsweise Metastasen im Körper bisher nur im Tiermodell untersucht werden, auch die Verbesserung künstlicher Herzklappen ist auf einen lebendigen Organismus mit einem echten Kreislaufsystem angewiesen und Erkrankungen und Operationen am ungeborenen Kind können nur am Tier optimiert werden, bevor sie am Menschen angewendet werden. Und gerade deshalb ist es uns Forschenden so wichtig, dass Bewusstsein für die wichtige Rolle von Tieren in der wissenschaftlichen Forschung zu schärfen und das Wohlergehen der Forschungstiere zu stärken, indem wir die 3R-Prinzipien – Replace (Ersetzen), Reduce (Verringern) und Refine (Verbessern) intensiv zur Anwendung bringen.
Wie werden Versuchstiere ausgewählt und welche Arten von Tieren werden am häufigsten in Versuchen verwendet?
Dr. Nadine Wenzel: Die Wahl der Versuchstiere mit ihren unterschiedlichen biologischen Merkmalen hängt stark von der Art der Forschung ab, die durchgeführt werden soll. Im UKE werden zu 98 Prozent Mäuse für die Grundlagenforschung eingesetzt, die zum Teil gezielte Mutationen aufweisen. Diese Mutationen sind entscheidend, um Krankheitsmechanismen besser zu verstehen zu können. Größere Tiere wie Schweine und Schafe werden hingegen häufiger in der präklinischen und translationalen Forschung eingesetzt. Bei der Auswahl von Versuchstieren müssen zudem ethische und Tierschutzaspekte berücksichtigt werden. Es wird sichergestellt, dass die Verwendung von Tieren gerechtfertigt ist und dass ihre Behandlung und Pflege den höchsten Standards für Tierschutz und Wohlergehen entsprechen. Das heißt, Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, wenn keine alternativen Verfahren verfügbar sind, wenn die Wissenschaftler:innen ihre Sachkunde nachgewiesen haben und wenn das Versuchsverfahren ausführlich von den Tierschutzbeauftragten, einer unabhängigen §15-Kommission und der Genehmigungsbehörde geprüft und genehmigt worden ist.
Wie wird das Wohlergehen der Versuchstiere sichergestellt?
Dr. Wenzel: Es ist entscheidend, dass die Versuchstiere respektvoll behandelt werden. Dies zeigt sich sowohl in ihrer Versorgung als auch im professionellen Umgang mit ihnen vor, während und nach dem tierexperimentellen Versuch. Im UKE sind – fünf Tierärzt:innen als Tierschutzbeauftragte tätig. Wir achten unter anderem auf die Einhaltung von Vorschriften, Bedingungen und Auflagen im Interesse des Tierschutzes. Schon bei der Planung eines Tierversuchs beraten wir die Antragssteller:innen in tierschutzrelevanten und versuchstierkundlichen Aspekten des Vorhabens. Die Tierschutzbeauftragten des UKE überlegen gemeinsam mit den Forschenden, wie bei den unvermeidlich notwendigen Tierversuchen so schonend wie möglich mit den Tieren umgegangen werden kann.
Was würde ein Verzicht auf Tierversuche für die künftige medizinische Entwicklung und Versorgung bedeuten?
Prof. Arck: Ein vollständiger Verzicht auf Tierversuche zum aktuellen Zeitpunkt ist kaum denkbar, da noch keine ausreichenden Alternativen vorhanden sind. Und er hätte weitreichende Auswirkungen auf die zukünftige medizinische Versorgung. Er würde die Entwicklung neuer Medikamente, die Erforschung von Krankheitsmechanismen, die Einführung von medizinischen Innovationen und die Bewertung der Sicherheit von Behandlungen stark behindern. Dies könnte zu einer Verlangsamung der Arzneimittelentwicklung, einer Behinderung der Fortschritte in der medizinischen Forschung und einer Einschränkung der präklinischen Bewertung führen, was letztendlich eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung zur Folge hätte. Wir unterstützen und verfolgen im UKE das Ziel, Tierversuche mehr und mehr zu vermeiden, aber wir sollten sie in der biomedizinischen Forschung so lange einsetzen dürfen, wie sie wissenschaftlich notwendig sind.
Quelle: Pressemitteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE)
Bildquelle: © JD8 – stock.adobe.com



