Onkologie » Sonstiges

»

Protonentherapie: Indikationen, Behandlung, Erfolge und Grenzen

Protonentherapie: Indikationen, Behandlung, Erfolge und Grenzen

Fachartikel

Onkologie

Sonstiges

mgo medizin

mgo medizin

Autor

8 MIN

Erschienen in: ärztliches journal onkologie

Bei der Bestrahlung von Schädelbasistumoren, Augentumoren und Tumoren im Kindesalter ist die Protonentherapie bereits die Behandlungsmethode der ersten Wahl. Aber auch bei anderen Entitäten wie Sarkomen, Lymphomen und weiteren soliden Tumoren findet die schonende Methode Einzug. Bei welchen Entitäten diese Form der Bestrahlung Vorteile verspricht, wie die Anwendung abläuft und mit welchen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Dazu mehr im nachfolgenden Beitrag.

Neben dem Erreichen hoher Heilungschancen geht es bei der Behandlung von Krebs heute auch um die Vermeidung von Therapiefolgen und damit auch um den Erhalt der Lebensqualität der betroffenen Patientinnen und Patienten – zum einen schon während der Behandlung, aber vor allem danach. Die Protonentherapie (PT) als spezielle Behandlungsoption spielt vor diesem Hintergrund eine besondere Rolle in der modernen Krebstherapie, ist sie doch eine schonende, nebenwirkungsarme und zugleich effektive Form der Tumorbestrahlung. So steigen Verbreitung und Verfügbarkeit dieser Therapieoption stetig. Laut „Particle Therapy Co-Operative Group (PTCOG)“ existieren weltweit inzwischen 113 Zentren – Tendenz steigend (https://www.ptcog.site/index.php/facilities-in-
operation-public). In Deutschland stehen aktuell mittlerweile fünf PT-Zentren zur Verfügung, in Essen, Heidelberg, Marburg, Dresden und – ausschließlich für die Behandlung von Augentumoren – in Berlin. Weltweit wurden bisher mehr als 300.000 Patientinnen und Patienten mit Protonen bestrahlt.

Breites Therapiespektrum der Protonentherapie
Allesamt Vorteile, die besonders zum Tragen kommen bei der Bestrahlung von sehr empfindlichem Gewebe, so wie in der Therapie junger Patientinnen und Patienten, bei denen die Spätfolgen und Nebenwirkungen einer Krebstherapie so gering wie möglich gehalten werden sollen. Vor allem bei größeren, irregulär geformten und tiefer im Körper liegenden Tumoren, bei denen eine kurative Chance besteht, kommt die Protonentherapie zum Einsatz.
Vor diesem Hintergrund ist die Protonentherapie bei der Bestrahlung von Schädelbasistumoren, Augentumoren und Tumoren im Kindesalter längst die Behandlungsmethode der ersten Wahl.

Weniger Komplikationen beim Prostatakarzinom
Aber auch bei der Bestrahlung von Prostatakarzinomen können Schädigungen von Blase oder Enddarm verringert werden und so zu einer besseren Lebensqualität führen. Nach ersten Analysen scheint so die Protonentherapie nach der Bestrahlung auch die sexuelle Funktion besser zu erhalten als andere Therapiemethoden. Hier hat sich das „Pencil Beam Scanning“ beziehungsweise Bleistiftverfahren, als fortschrittlichste Art der Protonentherapie, als besonders geeignet erwiesen. Bei dieser Technik wird das Prostatakarzinom mit einem bleistiftdünnen Strahl Punkt für Punkt dreidimensional „abgetastet“ und bestrahlt.
Bei Augentumoren nah am Sehnerv oder der Netzhaut kann die Protonentherapie – neben der Tumorheilung – zudem bei der Mehrheit der Betroffenen Auge und Sehkraft erhalten. Aber auch bei anderen Erkrankungen, wie Hirntumoren, Sarkomen, Lymphomen und Leberkarzinomen ist die Protonentherapie eine wichtige Therapieoption.

Langjährige Erfahrung bei Hirntumoren
Umfangreiche und inzwischen langjährige Erfahrungen wurden bei Hirntumoren im Kindesalter gewonnen und zeigten die bessere Verträglichkeit und die Chance, das Spätfolgenrisiko zu senken. Bei Erwachsenen stehen die klinischen Belege für eine Überlegenheit der Protonentherapie teilweise noch aus; als Alternative steht sie aber gleichwertig zur Verfügung. Behandelt werden können unter anderem Gliome, Meningeome, Kraniopharyngeome, Ependymome, Medulloblastome und andere. Bei Ependyomen gehört die postoperative Bestrahlung gemäß den AWMF-Leitlinien zum Therapiestandard im Kindesalter. Aber auch im Erwachsenenalter konnte die postoperative Bestrahlung gegenüber einer abwartenden Haltung bereits einen Vorteil zeigen, auch wenn größere Serien zur Behandlung von Erwachsenen bisher noch nicht publiziert wurden. Zu den Tumoren der Schädelbasis, die standardmäßig mit Protonen bestrahlt werden, zählen die Chordome und Chondrosarkome.

Schonung des gesunden Gewebes bei Sarkomen
Sarkome sind selten und zeigen eine große ­Heterogenität. Sie sind ein gutes und wichtiges Anwendungsgebiet für die Protonentherapie, da oftmals hohe Strahlenintensitäten zum Erreichen einer Heilung notwendig sind und die Bestrahlung eine gute Schonung der gesunden Umgebung im Körper erfordert, welche durch die Protonentherapie besser erreicht werden kann als mit den meisten anderen Methoden. Schließlich lassen sich auch Lymphome gut mit Protonen behandeln.
Gerade im Brustraum bei jungen Frauen, bei denen die empfindlichen Brustdrüsen zur Vermeidung von Zweittumoren geschont werden sollen, ist die Protonentherapie attraktiv. Bestanden früher noch Bedenken im Hinblick auf Unsicherheiten der Dosisabgabe durch die Bewegung des Brustkorbes, verfügt man mittlerweile über technische Lösungen, die auch eine Protonenbehandlung beweglicher Tumore zulassen. So werden heute neben Lymphomen auch Lungen- oder Lebertumore mit Protonen bestrahlt.
Besonders schwierige Situationen stellen die ­Fälle dar, bei denen nach vorheriger, früherer Bestrahlung eine erneute, zweite Strahlenbehandlung erfolgen muss – meist im Rahmen eines Rückfallereignisses. Dieses gehört mittlerweile zu einem weiteren Anwendungsgebiet der Protonentherapie. Bei der zweiten Behandlung arbeitet man dann im zuvor bestrahlten Gebiet besonders schonend.

Jugendliche und junge Erwachsene als weitere vulnerable Zielgruppe
Besondere Beachtung sollten für die Protonentherapie auch Jugendliche und junge Erwachsene finden. Sie sind neben kleinen Kindern eine weitere, aus verschiedenen Gründen besonders vulnerable Gruppe, bei denen bisher Fortschritte der Medizin – wie die Protonentherapie – nur bedingt ankommen und teilweise bisher unbefriedigende Ergebnisse der onkologischen Therapie erzielt wurden. Auf ihre besonderen Bedürfnisse im onkologischen Kontext hinzuweisen, das hat sich das „European Network for Teenagers and Young Adults with Cancer (ENTYAC) zur Aufgabe gemacht.
Behandlung
Die Protonentherapie bedarf einer detaillierten Vorbereitung. Mittels eines Planungs-CT wird zunächst ein anatomisches Modell des Patienten/der Patientin erstellt, um daran die Behandlung am Computer zu simulieren. Standard ist zudem die Bildfusionierung mit weiteren Untersuchungen wie Kernspintomographien oder PET-CTs. Radioonkologen definieren die zu bestrahlende Tumorregion und die Dosisbegrenzung an wichtigen funktionellen Strukturen, die geschont werden sollen. Die Medizinphysiker erstellen dann einen Dosisplan nach den vorgegebenen Ziel­kriterien. Einstrahlrichtung und Energie werden festgelegt – mit dem Ziel der bestmöglichen Dosisverteilung im Behandlungsgebiet bei gleichzeitig bestmöglicher Schonung des gesunden ­Gewebes in der Umgebung. Bei der Planung am Modell und bei der Lagerung im Planungs-CT wird auch die Reproduzierbarkeit über die durchschnittlich 30 Therapiesitzungen hinweg berücksichtigt.
Die Behandlung wird in der Regel ambulant durchgeführt. Die Bestrahlung erfolgt meist in etwa halbstündigen Therapiesitzungen fünfmal pro Woche über einen Zeitraum von fünf bis sechs Wochen. An jedem Behandlungstag wird eine vorab definierte Einzeldosis verabreicht. Täglich wird vor der Bestrahlung mittels Laser, Röntgen und Oberflächenscannern nochmals genau die Lagerung des Patienten/der Patientin kontrolliert, um eine millimetergenaue Bestrahlung sicherzustellen.
Die Bestrahlung selbst ist nicht spürbar. Über die Behandlungsserie wird das zu behandelnde Gebiet über den Therapiezeitraum hinweg manchmal schrittweise verkleinert (cone down-Technik), um risikoadaptiert nur kleine Regionen der höchsten Strahlenintensität auszu­setzen.

Überschaubares 
Nebenwirkungsspektrum
Auch wenn es sich bei der Protonentherapie um eine besonders verträgliche Behandlungsoption handelt, sind örtliche Reizerscheinungen an der Haut und Schleimhaut möglich. Sie klingen nach Abschluss der Therapie in der Regel aber schnell ab. Ebenso kann es zu weiteren allgemeinen Nebenwirkungen kommen, zu denen Übelkeit sowie Müdigkeit und Appetitlosigkeit zählen. Je nach bestrahlter Körperregion können noch spezielle Nebenwirkungen auftreten – so wie man es auch von der herkömmlichen Photonenbestrahlung kennt, aber wahrscheinlich teilweise seltener und weniger stark.
Der biologische Effekt einer Protonenstrahlung ist zwar ähnlich wie der einer Röntgenbestrahlung, aber doch etwa um 10 % stärker. Das wird bei der Bestimmung der Strahlendosis rechnerisch berücksichtigt. Möglicherweise zeigt sich eine leicht andere Wirkung auch dadurch, dass einige Gruppen andere Häufigkeiten von Bildveränderungen in den MRT-Aufnahmen nach Bestrahlung berichteten. Auch legen strahlenbiologische Untersuchungen nahe, dass sich die Reparaturprozesse zwischen den verschiedenen Bestrahlungsarten ebenfalls unterscheiden. Dem Thema der spezifischen Eigen­schaften der Teilchenstrahlen und der Strahlenbiologie überhaupt widmen sich noch heute viele Experten weltweit.
Zugang und Kostenübernahme
Bei welchen Indikationen eine Protonentherapie erwogen werden sollte, dazu liegt ein Positionspapier der DEGRO vor. Auch die Kostenträger haben sich mit der Therapieform auseinandergesetzt. Die Qualität der Therapie hat überzeugt, so dass es mit vielen GKV-Kassen indikationsbezogene Verträge zur Kostenübernahme gibt und auch bei den anderen Krankenkassen die Aussicht auf eine Kostenübernahme bei vielen Indikationen sehr gut ist. Bei den sogenannten Standardindikationen ist sie meist unproblematisch, und der G-BA hat sich hierzu auch klar positioniert. Dazu zählt in erster Linie die Behandlung von Kindern, aber auch die von uvealen Melanomen, Chordomen und Chondrosarkomen. Bei vielen weiteren Indikationen ist die Kostenübernahme ebenfalls kein Problem. Unterstützung im Hinblick auf die Kostenübernahme finden Patientinnen und Patienten sowie Zuweiser in der Regel beim Case-Management, das über Erfahrungen mit den verschiedenen Kassen verfügt.

Protonenbestrahlung kurz erklärt


Die physikalischen Besonderheiten von Protonen ermöglichen es, dass diese präzise auf den Tumor gesteuert werden können, dort ihre maximale Wirkung entfalten und sich dann dort zielgenauer abstoppen lassen. So wird hinter dem Tumor keine Strahlendosis mehr abgegeben. Auch auf dem Weg zum Tumor geben sie zugleich weniger Strahlendosis ab als hochenergetische Röntgenstrahlen. So lässt sich der Tumor beziehungsweise das postoperative Tumorgebiet präzise erfassen und es kann eine maximale Tumorkontrolle bei gleichzeitig guter Schonung des umgebenden gesunden Gewebes erzielt werden. Während der Bestrahlung sind die Nebenwirkungen begrenzt und klingen in der Regel schnell nach der Behandlung ­wieder ab.
Im Gegensatz dazu entwickeln Röntgenstrahlen beziehungsweise Photonen bereits einige Zentimeter unter der Oberfläche ihre stärkste Wirkung und durchdringen dann kanalartig den betroffenen Körperabschnitt. Liegt ein Tumor also in der Körpertiefe oder nah an empfindlichen Strukturen, oder ist eine besonders hohe Dosierung bei der Bestrahlung erforderlich, ist die Protonentherapie als schonende und effektive Bestrahlungs-Alternative in Erwägung zu ziehen.

Prof. Dr. med. Beate Timmermann
E-Mail: beate.timmermann@uk-essen.de
Prof. Dr. med. Rolf-Dieter Kortmann
E-Mail: Rolf-Dieter.Kortmann@uk-essen.de

Foto: UK-PI-WPE

Schlagworte zu diesem Beitrag

Weitere Beiträge zu diesem Thema

Darstellung eines hämatologischen Testergebnisses mit Fokus auf Multiple Myelom.

Gesteigerte Infektionsneigung nach Immuntherapie beim Multiplen Myelom

Fachartikel

Innovative Immuntherapien haben die Behandlung des Multiplen Myeloms revolutioniert, erhöhen aber das Risiko schwerer Infektionen. Der Beitrag zeigt, wie moderne Therapien wirken und gibt kompakte Empfehlungen zur Infektionsprävention und -behandlung in der klinischen Praxis.

Onkologie

Hämatoonkologie

Multiples Myelom

Beitrag lesen
Darstellung einer molekularen Struktur, die die Wirkweise eines VEGFR-Hemmers symbolisiert.

Fruquintinib bietet Tumorkontrolle und mehr gute Lebenszeit

Pharmaservice

Fruquintinib, ein VEGFR-Hemmer, verlängert das Überleben bei stark vortherapiertem kolorektalem Karzinom. Die FRESCO-2-Studie zeigt 68 % geringeres Sterberisiko und handhabbare Nebenwirkungen.

Onkologie

Gastrointestinale Tumoren

Darmkrebs

Beitrag lesen
Zwei Wissenschaftlerinnen im Labor arbeiten mit einem Mikroskop, um Gewebeproben für die Brustkrebsdiagnostik zu analysieren.

Brustkrebsdiagnostik: Hohe Standards in der Pathologie

News

Die Pathologie sichert die Qualität der Brustkrebsdiagnostik durch Standards wie Ringversuche und Tumorboards. Vorfälle wie in Bremen zeigen die Bedeutung klarer und strukturierter Maßnahmen.

Onkologie

Gynäkologische Tumoren

Mammakarzinom

Beitrag lesen