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3D-Eyetracking: Wohin das Fischauge wandert

Unterwasseraufnahme eines Makrelenschwarms

3D-Eyetracking: Wohin das Fischauge wandert

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mgo medizin

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Erschienen in: CONCEPT Ophthalmologie

In der Schwarmforschung ermöglicht ein neues Verfahren, die Augenbewegungen von Fischen automatisiert auszuwerten – ohne Eingriffe am Tier und in 3D. Warum ist das wichtig, um die „Regeln des Schwarms“ zu ergründen?

Fischschwärme sind faszinierende Beispiele für kollektives Tierverhalten. Tausende von Fischen bewegen sich in nahezu perfekter Übereinstimmung, und das obwohl jeder einzelne Fisch nur ein sehr begrenztes Bild seiner Umgebung hat. Wie gelingt ihnen diese scheinbar mühelose Koordination mit solch minimaler Information über ihr Umfeld? Und welche visuellen Anhaltspunkte nimmt ein einzelner Fisch überhaupt wahr, inmitten dieses hochdynamischen Schwarms?

Um dies zu erforschen, entwickelten Konstanzer Wissenschaftler des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie nun eine neue Technologie, die dem Fisch ganz tief ins Auge schaut: Ihre neue 3D-Eyetracking-Methode erlaubt es, die Augenbewegungen von frei schwimmenden Fischen automatisiert nachzuvollziehen – und das nur anhand von Videoaufnahmen der Fische, ganz ohne dass Eingriffe am Tier nötig wären.

Warum es auf das Fischauge ankommt

Warum aber ist es wichtig, das Sichtfeld von Fischen zu kennen, als Netzhautbild und in 3D? Ganz einfach: Um die „Regeln des kollektiven Verhaltens“ zu verstehen, müssen wir einschätzen können, welche Informationen den einzelnen Mitgliedern des Schwarms vorliegen. Ein Beispiel: Die Bewegungen eines Schwarms basieren auf tausenden Entscheidungen seiner einzelnen Fische. Wenn nun ein Fisch seine Bewegungsrichtung ändert – welche Faktoren haben diese Entscheidung beeinflusst? Welche anderen Fische hatte er im Blickfeld, an denen er sich orientierte? Welche weiteren Fische reagieren nun wiederum auf ihn? Welchen Verhaltensregeln folgen die Fischschwärme und auf welchen Sinneswahrnehmungen beruhen diese Entscheidungen?

Die Mitarbeitenden des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten erforschen die Interaktionen zwischen den Individuen eines Kollektivs, von Fischen bis zu Vogelschwärmen, von Heuschrecken bis hin zu den großen Tierherden, die über die Kontinente ziehen. In ihrer Forschung werden die Tiergruppen typischerweise per Kamera gefilmt, im Labor wie auch in freier Wildbahn. Anschließend werden die Aufzeichnungen per Computer Vision analysiert: Die Position und die Körperpose jedes einzelnen Individuums der Tiergruppe werden von einem Computeralgorithmus im Millisekundentakt ausgewertet und zueinander ins Verhältnis gesetzt. Hierfür ist es wichtig, das Sehfeld jedes einzelnen Fisches zu rekonstruieren – denn nur so kann man verstehen, was jedes Tier tatsächlich wahrnahm und ob dies seine folgenden Bewegungen beeinflusste. Hier kommt nun das neue Eyetracking-Verfahren ins Spiel.

Rekonstruktion des Sehfelds

Die Rekonstruktion des Sehfelds von frei schwimmenden Fischen ist nicht ganz trivial. Einfach nur die Position der Augen zu „tracken“ reicht nicht; vielmehr muss man die Augen stets ins Verhältnis zur Körperlage der Tiere setzen. Besonders wichtig war es den Forschenden, dass keine Eingriffe an den Tieren nötig sind, dass ihnen also nicht etwa ein Okular aufgesetzt werden muss.

„Unsere neue und nicht-invasive Methode kann all diese Anforderungen leisten“, schildert Liang Li, der die Technologie maßgeblich mitentwickelte. „Anhand der Kameraaufnahmen rekonstruieren wir erstens die 3D-Körperpose der Fische, zweitens die exakte Position des Auges – das sich, wie beim Menschen, in der Augenhöhle bewegen kann – und drittens ihr Netzhautbild, so dass wir sehen, was sie sehen.“

Ein weiterer großer Vorteil des neuen Verfahrens ist, dass das Verhalten der Fische in 3D analysiert wird. Bisherige Verfahren basierten in der Regel auf 2D-Aufnahmen und bildeten somit das dreidimensionale Geschehen im Fischschwarm nicht vollständig ab. Zudem sind keinerlei Eingriffe an den Fischen erforderlich, sie schwimmen einfach frei im Becken und werden dabei von Kameras aufgenommen. Mindestens zwei Kameras sind dafür nötig, aber durch die Verwendung von zusätzlichen Kameras kann das System auf große Fischbecken ausgeweitet werden – je mehr Kameras, desto präziser ist die Analyse.

„Zu verstehen, wie Tiere ihre Umgebung wahrnehmen und mit sozialen Partnern interagieren, ist entscheidend für die Entschlüsselung der Mechanismen hinter kollektivem Verhalten“, unterstreicht Liang Li. „Unsere Eyetracking-Methode ermöglicht uns einen präzisen Zugang zur visuellen Wahrnehmung von Fischen, die sich frei bewegen.“

Das neue Verfahren im Einsatz

Das neue Verfahren kam bereits in ersten Verhaltensexperimenten mit Goldfischen zum Einsatz. Hierbei wurde das Sichtfeld eines Goldfisches geprüft, der einem vorausschwimmenden Artgenossen folgt. „Die Rekonstruktion des Netzhautbilds zeigt: Goldfische passen ihre Augenbewegungen dynamisch so an, dass das Bild des voranschwimmenden Fisches konstant im Zentrum ihrer Netzhaut bleibt“, schildert Ruiheng Wu, Erstautor der zugehörigen Publikation im Fachjournal Communications Biology.

Zudem bemerkten die Forscher Anzeichen für eine „negative Synchronisierung“ der Augen, also dass sich die Augen in entgegengesetzte Richtungen drehen, anstatt sich parallel auszurichten: Wenn das linke Auge etwa den Nachbarfisch in den Fokus nimmt und dessen Bewegungen verfolgt, dreht sich das rechte Auge häufig in die genau entgegengesetzte Richtung. In künftigen Experimenten will Liang Li eruieren, ob dies bei anderen Fischarten ebenfalls so ist – und ob sich bei Raubfischen beide Augen dann letzten Endes doch gemeinsam ausrichten, wenn sie ihre Beute in den Fokus nehmen.

Das Eyetracking-Verfahren ist im Fachjournal Communications Biology im Detail beschrieben: https://www.nature.com/articles/s42003-024-07322-y

Quelle: Pressemitteilung der Universität Konstanz, 10.02.2025

Bildquelle:© Sascha Caballero – stock.adobe.com

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