Innovationen, Weiterentwicklungen und Goldstandards der Augenchirurgie stehen im Mittelpunkt des 35. Internationalen Kongresses der Deutschen Ophthalmochirurgie (DOC), der vom 15. bis 17. Juni 2023 in Nürnberg stattfindet. Wir sprachen im Vorfeld mit DOC-Präsident Dr. Armin Scharrer über Highlights des Kongressprogramms und Perspektiven der Augenheilkunde.
Herr Dr. Scharrer, ist die DOC nach dem Komplettausfall 2020, der digitalen DOC 2021 und der hybriden DOC 2022 nun (wieder) im „Normalzustand“ angekommen – soll heißen: überwiegend als Präsenzveranstaltung mit Live-Streaming der Hauptvorträge? Warum gibt es weiterhin einen digitalen Anteil?
A. Scharrer: Ja, die DOC hat für 2023 entschieden, den digitalen Bereich des Kongresses beizubehalten und die Hauptvorträge im Stream anzubieten. Wir beobachten die Entwicklung sehr genau. Immer mehr Teilnehmer wollen persönlich kommen. Offensichtlich gibt es hier einen Trend.
Die DOC-App gibt es nicht mehr, sie wird durch eine neue Homepage ersetzt. Was ist der Vorteil?
Die Vorteile sind folgende: Es ist kein Download der App aus dem App-Store notwendig, die neue Homepage bietet alles, was eine App kann und zusätzlich weitere Funktionen wie zum Beispiel Drucken und Speichern von Sitzungen. Sitzungen/Vorträge können direkt in den persönlichen Outlook-Kalender bzw. in den persönlichen Timetable (speicherbar auf der DOC-Homepage) übernommen werden. Die DOC-Website kann als Favorit im Browser hinterlegt oder die Verknüpfung auf dem Homescreen gespeichert werden (die Verknüpfung entspricht dem Bild eines App-Icons). Die Homepage wurde optimiert und ist auf allen Endgeräten nutzbar. Es gibt keine zwei Systeme – Homepage + App – die der Nutzer kennen und bedienen muss, sondern nur eines.
Was sind die Programm-Highlights der DOC 2023?
Neben der Hauptsitzung (General Session) am Freitag Vormittag mit den Ehrenvorlesungen und der Aufnahme in die Hall of Fame sind es die beiden Video-Live-Surgery-Veranstaltungen am Donnerstag Nachmittag und Freitag Vormittag, die Hauptsitzungen in den Bereichen Katarakt, Refraktive Chirurgie, Retina, Glaukom, Hornhaut- und Lidchirurgie, das Mini-Symposium „Investing in the Future of Ophthalmology“, das Consilium diagnosticum, das Consilium therapeuticum und das Seminar für die Praxis des Augenarztes, die sich alljährlich eines besonders großen Interesses erfreuen.
Wer hält die Keynote Lectures und welche Personen werden in diesem Jahr in die Hall of Fame aufgenommen?
In 2023 werden zwei herausragende Persönlichkeiten der deutschen Augenheilkunde aufgenommen: Anselm Kampik und Thomas Neuhann. In der General Session werden die Ehrenvorlesungen präsentiert: Die DOC Lecture kommt von John Marshall (London) zum Thema „Lasers in Refractive Surgery: Developments and Future Perspectives”. Die DOC Innovators Lecture (Albrecht-von-Graefe-Vorlesung) hält Marcus Blum (Erfurt) zum Thema „Entwicklung der Lentikelextraktion: Die bessere Alternative zur LASIK?“. Chee Soon Phaik aus Singapur präsentiert die Ridley Lecture „Tackling the Infeasible: Surgical Strategies in Very Difficult Eyes”. Ein wichtiger Punkt der Hauptsitzung am Freitag Vormittag sind die Preisverleihungen. So erhält den DOC-Preis für herausragende Leistungen in Fort- und Weiterbildung Caroline Schier-Wyss aus Binningen, den DOC-Wissenschaftspreis Retina Barbara Parolini aus Verona und den DOC-Forschungspreis Alexander Schuster aus Mainz.
In den Pro- und Contra-Sitzungen werden, wie der Name schon sagt, kontroverse Themen diskutiert. Worum wird in 2023 gerungen?
Im Bereich der Kataraktchirurgie: “Astigmatismuskorrektur bei MIOL: Linsen- oder Hornhautebene?“ und „Katarakt, Peeling & Pucker – simultan oder zweizeitig?“. In der Hornhautchirurgie geht es um die „Endothelsubstitution: Injektion von kultivierten Endothelzellen vs. Endo-Art“. Im Bereich Retina ist die Kontroverse „Heads-up-Chirurgie vs. iOCT – was ist wichtiger?“ und im Bereich Glaukom haben wir zwei Kontroversen: „Was tun, wenn der Augendruck nach Filtrations-OP wieder ansteigt? Revision oder medikamentöse Therapie?“ sowie „Ist die ambulante Glaukomchirurgie der neue Standard?“.
Wurden die praktischen Übungen in Wetlabs und Kursen weiter ausgebaut?
Neu ist unter anderem das Drylab D-KAT2, „Best in Class Application of YAG Laser Technology – ‘Knowing your Tools”. Das Wetlab W-KA 1 „Die Ausbildung zum Ophthalmochirurgen“ wird aufgrund der großen Nachfrage zweimal angeboten, und zwar am Donnerstag, den 15.06. von 15 bis 18 Uhr und am Freitag, 16.06. von 8 bis 11 Uhr. Daneben gibt es eine Reihe von anderen neuen praxisorientierten Kursen wie OAPK25 „Vorderabschnitts-OCT: Hands-on Basiskurs“, OAPK29 „Ambulante Lidchirurgie in der Augenarztpraxis“ und OAPK37 „Glaukom 2: Chirurgische Verfahren zur Behandlung der verschiedenen Glaukomformen und Stadien“.
Gibt es auch ganz neue Programmformate?
Ja, wir haben ein Mini-Symposium mit einem erlauchten Kreis von Moderatoren und Panel-Mitgliedern: Michael Knorz, William Link, Gerd Auffarth, Eugene de Juan und Frank Holz, mit dem Thema „Investing in the Future of Ophthalmology“.
Sie legen großen Wert auf Internationalität. Wie zeigt sich das im Kongressprogramm und im praktischen Ablauf?
Wegen der gestiegenen Anzahl der internationalen Teilnehmer findet im Großen Saal in diesem Jahr an allen drei Tagen Simultanübersetzung statt. Wir haben nicht nur aus dem deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) immer mehr Teilnehmer, sondern auch aus dem nicht deutschsprachigen Ausland. So hat hier besonders die Anzahl der Teilnehmer aus Großbritannien, USA, den Niederlanden, Belgien und Frankreich zugenommen. Aus diesem Grunde bieten wir nicht nur im Großen Saal an allen drei Tagen Simultanübersetzung, sondern es gibt auch rein englischsprachige Veranstaltungen. Viele Hauptvorlesungen werden in englischer Sprache präsentiert. Darüber hinaus wird das Forum Augenchirurgie (Donnerstag, 15. Juni, 14:30-16:00 Uhr) in englischer Sprache angeboten (Forum Eye Surgery in Developing Countries). Der Kurs HH2, Corneal Ectasia, wird in englischer Sprache präsentiert, der Kurs D-KAT2 (Drylab) ebenfalls (Best in Class Application of YAG Laser Technology – „Knowing your Tools‘). Die Hauptsitzung Refraktive Chirurgie am Freitag, 16. Juni von 15:00-16:30 Uhr findet in englischer Sprache statt, ebenso das Symposium von DOC und IIIC „Challenging Cases Managed by International Experts“.
„DOC goes green“ heißt es in diesem Jahr wieder. Kann man den Erfolg einer solchen Nachhaltigkeitsinitiative eigentlich konkret messen?
Der Erfolg von Nachhaltigkeitsinitiativen ist messbar, aber der Vorgang des Messens ist arbeits- und kostenintensiv. Dazu müsste man eine umfangreiche Nachhaltigkeitsberechnung vornehmen, d.h. es müssten viele Daten im ersten Schritt gesammelt werden (z.B. Reisedaten – von wo und mit was reisen die Referenten/Teilnehmer an, welcher CO2-Ausstoß wird durch die An-/Ablieferung bzw. den Auf-/Abbau der Industrieausstellung verursacht, welchen Energieverbrauch hat der Kongress, usw.). Mit diesen Daten könneb dann der CO2-Ausstoß für den Kongress und der Energieverbrauch ermittelt werden. Im Gegenzug werden Bäume gepflanzt oder auch regenerative Energien verwendet, so dass am Ende dann der Prozentsatz ermittelt werden kann, der mit dieser Aktion und dem Nachhaltigkeitskonzept des Kongresses ausgeglichen werden kann.
Wie schätzen Sie das aktuelle Jahr 2023 in Bezug auf ophthalmochirurgische Innovationen und Entwicklungen ein – was steht im Fokus? Gibt es neue Goldstandards – und gibt es auch Verfahren, die diesen Status verloren haben?
Auch das aktuelle Jahr bringt eine Fülle von Innovationen und Weiterentwicklungen. Im Vordergrund stehen im Bereich der Pharmakologie neue Medikamente in der Behandlung der trockenen und feuchten altersabhängigen Makuladegeneration, im Bereich der Kataraktchirurgie die Entwicklung neuer Intraokularlinsen mit hochspezifischem Profil sowie neue Instrumente und Operationsmaschinen, die Verbesserungen mit sich bringen. In der refraktiven Chirurgie findet eine Zeitenwende statt: Die refraktive Linsenchirurgie hat die refraktive Laserchirurgie überholt, immer häufiger und immer früher werden Fehlsichtigkeiten durch Linsenchirurgie beseitigt. Dies betrifft besonders hyperope Patienten, hier wird die Indikation zur Operation deutlich früher gestellt. Die Anzahl der Patienten, die ihre Presbyopie durch einen linsenchirurgischen Eingriff beseitigen lässt, nimmt kontinuierlich zu.
Was ist für die Zukunft „in der Pipeline“?
Weitere Medikamente für die Behandlung der trockenen Makuladegeneration werden kommen, eine weitere Verbesserung der linsenchirurgischen Verfahren zur Beseitigung der Presbyopie und daneben auch Fortschritte in der Gentherapie verschiedener Augenerkrankungen.
Und was sagen Sie zur derzeitigen gesundheitspolitischen Diskussion – Stichwort: Ambulantisierung in der Augenheilkunde?
Die Ambulantisierung in der Augenheilkunde begann in Deutschland 1988. Der Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern kam auf mich zu mit der Frage, warum wir in Deutschland, im Gegensatz zu den aktuellen Zuständen in den Vereinigten Staaten, kaum ambulante Augenoperationen durchführen. Meine Antwort war: weil diese so schlecht bezahlt werden. Daraufhin versprach er, uns bei der Durchsetzung einer fairen Bezahlung der Kataraktoperation in Deutschland zu unterstützen. So entstanden kostendeckende Bewertungen für die Phakoemulsifikation, sowohl für die Operationsgebühr wie für die Material- und Sachkosten.
Unsere europäischen Nachbarländer beneiden uns um die flächendeckende, augenchirurgische Versorgung und die hohe Ergebnisqualität, die wir in Deutschland in der Augenchirurgie haben. Die Ambulantisierung augenchirurgischer Leistungen in Deutschland und die aktuelle Patientenversorgung sind eine Erfolgsgeschichte. Offensichtlich scheinen sich jedoch Akteure im Gesundheitswesen, die einseitige politische Interessen vertreten, daran zu stören, dass die Ambulantisierung in der Augenheilkunde das Ergebnis eines Wettbewerbs war, des Wettbewerbs zwischen den Krankenhäusern und den vertragsärztlichen Einrichtungen.
Pioniere der ambulanten Augenchirurgie waren und sind bis heute vertragsärztliche Zentren. Warum die von ihnen bewirkten Fortschritte in der Patientenversorgung bei gleichzeitiger Kostenersparnis manchen unerträglich erscheinen, bleibt deren Geheimnis. Die Ambulantisierung in der Augenheilkunde kann Vorbild für viele andere Fächer sein. Was sich aus der Geschichte der ambulanten Augenchirurgie in Deutschland lernen lässt: Ambulantisierung setzt eine auskömmliche Finanzierung voraus. Das Ergebnis einer unzureichenden Bezahlung ist eine geringe Ambulantisierung in den jeweiligen Fachbereichen.
Interview: Susanne Wolters. Zuerst erschienen in der Print-Ausgabe CONCEPT Ophthalmologie 04/2023.
Foto: Ober Scharrer Gruppe.



