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Boturology 2023: Aktuelle Aspekte der Botulinumtoxin A-Detrusorinjektion

Boturology 2023: Aktuelle Aspekte der Botulinumtoxin A-Detrusorinjektion

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Blasenfunktionsstörungen

mgo medizin

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5 MIN

Erschienen in: UroForum

Quelle und Bildquelle: © Aus UroForum, Heft 10/2023

Heinrich Schulte-Baukloh

Botulinumtoxin A Detrusorinjektionen sind seit zehn Jahren für die Behandlung der überaktiven Harnblase und seit zwölf Jahren für die bei neurogenen Blasenfunktionsstörungen zugelassen. Seit 2018 steht in Deutschland auch eine EBM-Ziffer zur Abrechnung im KV-Bereich zur Verfügung. Seitdem findet diese Therapie im ambulanten Sektor eine zunehmende Anwendung. Dieser Artikel gibt eine Übersicht über einige praxisrelevante aktuelle Publikationen.

Die Botulinumtoxin A Detrusorinjektion wurde mit dem Präparat Onabotulinumtoxin A (Botox®, Allergan, heute AbbVie) 2011 bei der neurogenen Blase, 2013 bei der idiopathischen überaktiven Harnblase (overactive bladder, OAB) von der FDA zugelassen. Über die ersten Jahre wurde jedoch die breite ambulante Anwendung durch eine fehlende EBM-Zulassung ausgebremst. Seit 2018 bestehen jedoch Zulassungsziffern für diese Therapie im ambulanten KV-Sektor (▶ Tab. 1). Voraussetzung ist der Antrag bei der ortszuständigen KV sowie der alljährliche Nachweis der erfolgten Teilnahme an von der jeweiligen Landesärztekammer anerkannten Fortbildung zur Therapie von Harnblasenfunktionsstörung im Umfang von insgesamt mindestens 8 CME-Punkten.

Abrechnungsziffern
Tab. 1: Aktuelle Abrechnungsziffern 2023, ohne Gewähr und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Die weitaus meisten Anwender führen seitdem den Eingriff immer oder weit überwiegend ambulant und in Lokalanästhesie durch [1]. Demgegenüber ist die potenziell bestehende Schmerzbelastung für unentschlossene Kollegen ein Argument, ihren Patienten diese Therapie nicht anzubieten.

Reduktion der Schmerzen unter Lokalanästhesie

Ein aktueller Review konnte zeigen, dass die Verwendung von alkalisierter Lidocainlösung (bspw. 5 ml 8,4 % Natriumbikarbonat zu 50 ml 2 % Lidocainlösung, Vorschlag des Autors), die Reduktion der Injektionsstellen (bspw. 15 statt der 20 im Beipackzettel vorgegebene, Vorschlag des Autors) sowie eine EMDA-Therapie die Schmerzbelastung zu reduzieren scheinen und damit die Therapieakzeptanz zu erhöhen [2]; der Schmerzsscore ließ sich alleinig durch die Alkalisierung der Lidocainlösung von 4,44 auf 2,37 (Skala 1–10) fast halbieren [3].

Real World Ergebnisse zeigen niedrige Harnverhaltshäufigkeit

Die GRACE Studie [4] zeigt die Ergebnisse der Onabotulinumtoxin A Detrusorinjektionen in der „Real World Practice“, die Ergebnisse dieser Studie bestätigt die guten funktionellen Ergebnisse der Zulassungsstudie [5]: Von 515 eingeschlossenen Patienten wurden 504 injiziert (Alter 63,3 ± 14,1, hpts. Frauen (n = 428; 84,9 %); 299 (59,3 %) Patienten komplettierten die Studie). Am belastendsten wurden von den Patienten hierbei übrigens die OAB- Symptome (in abnehmender Folge) Dranginkontinenz und Urgency, gefolgt von häufigem Wasserlassen, nächtlichem Wasserlassen (und Schmerzen) angegeben, was die Kardinalsymptome Drang und Dranginkontinenz nochmal bestätigt.

GRACE Studie
Abb. 1: Ergebnisse der Onabotulinumtoxin A Detrusorinjektion in der GRACE Studie. a: Reduktion der Dranginkontinenzepisoden. b: subjektive Verbesserung der Symptome, gemessen mit der treatment benefit scale (TBS); modif. nach [4].

Insgesamt wurden bei 504 Patienten 639 Behandlungen (Ø 1,3) durchgeführt; bzgl. der angewandten Technik wurde der Eingriff am häufigsten unter Instillation eines Lokalanästhetikums (37,4 %), anästhetischem Gel (32,1 %) oder unter Vollnarkose (27,1 %) durchgeführt. Vorzugshalber kam ein starres Zystoskop zum Einsatz (85 %). Im Durchschnitt wurden pro Behandlung 17,3 ± 5,2 Injektionen appliziert, diese am häufigsten mit Einschluss des Trigonums (64,5 %), seltener das Trigonum aussparend (34,7 %). Im Median wurden 100 U, aufgelöst in durchschnittlich 12,3 ± 6,2 ml NaCl appliziert.

Die Ergebnisse der Primärvarianten zeigt ▶ Abbildung 1. Nach 12 Wochen kam es bei 73,9 % der Patienten zu einer signifikanten, ≥ 50%igen Reduktion der Dranginkontinenzepisoden pro Tag. 41,8 % waren komplett trocken. Des Weiteren kam es zu einer signifikanten Reduktion (jeweils vor/ 12 Wochen nach Injektion) der Urgency (7,6 vs. 2,5), Nykturie (2,6 vs. 1,2) und Miktion tagsüber (11,2 vs. 7,7). Die Anzahl der Inkontinenzhilfsmittel insgesamt wurden hochsignifikant reduziert (Anzahl jeweils Monat vor vs. 12 bzw. 52 nach Injektion: 74,3 vs. 32,1 bzw. 27,2).

Beachtlich bzgl. der Nebenwirkungen war, dass die Rate einer katheterisierungspflichtigen Harnretention bei lediglich 1 % (5 von 504) lag, und nicht, wie in der Zulassungsstudie, bei 5,8 %. Dieses sollte die Entscheidungsfindung der Patienten im Aufklärungsgespräch positiv beeinflussen.

Reduktion der OAB-Medikamente
Vor Injektion gaben 52/504 (10,3 %) der Patienten an, weiterhin OAB-Medikationen einnehmen zu wollen. Dem zum Trotz verwendeten von diesen 52 Patienten nach einer Woche nur noch 29 (5,8 %), nach 12 Wochen nur noch 12 (2,4 %) und nach 20 Wochen nur noch 9 (1,8 %) der betroffenen OAB-Medikamente; die Behandlung mit anderen OAB-Medikationen nahm dann ab Woche 28 (ca. 6,4 Monate) wieder leicht zu (13 (2,6 %) Patienten).

Onabotulinumtoxin A Erfolg weitestgehend unabhängig von vorangegangener OAB-Medikation
Eine jüngst erschienene post-hoc Analyse dieser Studie [6] ging nochmal detaillierter der Frage nach, ob die Anzahl und Art der oralen OAB-Medikation vor einer Onabotulinumtoxin A Einfluss auf die Therapieergebnisse haben könnte. Verglichen wurden folgende Patienten-Subgruppen: Behandlung mit einem Anticholinergikum, mit mehreren Anticholinergika, mit einem β3-Adrenozeptoragonist oder mit einem Anticholinergikum und einem β3-Adrenozeptoragonist. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede in der Reduktion der Harninkontinenzepisoden pro Tag, der Drangepisoden (hier waren allerdings weniger Drangepisoden prä-injectionem in der β3-Adrenozeptoragonist Gruppe zu verzeichnen als unter Anticholinergika), der Miktionsfrequenz oder der Nykturie 12 Wochen nach der Onabotulinumtoxin A Detrusorinjektion.

Signifikante Wirkung bereits ab Tag 5 nach Injektion
Auffallend bei der Studie von Hamid et al. [4] war, dass sich bereits nach einer Woche signifikante Verbesserungen der OAB einstellten, was die im Allgemeinen den Patienten prognostizierten Verbesserungszeiträume von 7–14 Tagen konkretisiert. Dieser frühzeitige Eintritt der Symptomverbesserung konnte in einer weiteren Studie anhand der Reduktion der Miktionshäufigkeit tagesgenau nachgewiesen werden: Eine signifikante Reduktion der Pollakisurie stellte sich hier bereits ab Tag 5 ein (▶ Abb. 2) [7].

Abb. 2: Reduktion der Miktionshäufigkeit/ 24h, vor bzw. nach erfolgter Onabotulinumtoxin A Detrusorinjektion. Die senkrechte Linie markiert den Tag der Injektion, die dicke grüne Linie zeigt die Durchschnittswerte; modif. nach [7].

Onabotulinumtoxin A + desobstruktive OP bei ausgeprägter Urgency

Eine aktuelle, retrospektive Studie [8] verglich das 3-Monats-Outcome bei Patienten, bei denen eine desobstruktive (HOLEP) Operation durchgeführt wurde, und die präoperativ über erhebliche Speichersymptome klagten. Verglichen wurden in einer Propensity Score Matched Analyse 41 Männer mit HOLEP allein und 41 Männern mit HOLEP und gleichzeitiger Onabotulkinumtoxin A Detrusorinjektion (200 U!). Es fand sich in der Verumgruppe eine signifikant bessere Reduktion der Dranginkontinenz im Michigan Incontinence Symptom Index im Vergleich zur Kontrollgruppe, bei statistisch nicht signifikant unterschiedlicher Komplikationsrate. Eine allgemeine Empfehlung dieses Vorgehens ist jedoch auf Basis dieser Studie sicher verfrüht und kann allenfalls als Denkmodell für zukünftige Studien betrachtet werden.

PD Dr. med. Heinrich Schulte-Baukloh

Korrespondenzadresse:
PD Dr. med. Heinrich Schulte-Baukloh
Charité Universitätsmedizin und Urologie Turmstraße
Berlin-Mitte/ Moabit
hsb@urologie-turmstrasse.de

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