Sofort nach der Wende gab es in Berlin „Ost-West-Konflikte“, weil die medizinische Doppelstruktur der ehemaligen DDR-Hauptstadt und des stark gesponserten West-Berlins in eine gemeinsame Hauptstadt-Struktur umgewandelt werden musste. Zudem traten emotionale Konflikte an keiner Stelle so stark zu Tage wie in Berlin. So klammerte sich die Charité-Ostalgie an den Standort Mitte – und jetzt wird alles anders.

In diesem Monat tut sich Großes in der Berliner Charité. Die Klinik für Urologie der Universitätsmedizin wird zu einem modernen Zentrum umstrukturiert. Die operative Urologie verlässt den Standort Mitte und wird am Campus Benjamin Franklin in Steglitz zentralisiert. Dadurch soll sie moderner und effizienter werden. Parallel dazu wird die Nierentransplantation komplett ins interdisziplinäre urologisch-viszeralchirurgische Transplantationszentrum am Virchow-Klinikum verlagert. Der Standort Charité Campus-Mitte bleibt ein Zentrum für die onkologische Urologie sowie die Hochschulambulanz.
Prof. Thorsten Schlomm, Direktor der Klinik für Urologie der Charité –Universitätsmedizin Berlin ist einer der Initiatoren dieser Neuausrichtung. Schon in seiner Berufungsvereinbarung wurde 2018 vereinbart, dass die Charité innerhalb von fünf Jahren ein Ein-Standort-Konzept in der Urologie entwickeln würde. Aufgrund der Corona-Pandemie verzögerte sich die Umsetzung auf sechseinhalb Jahre. Jetzt wurde das Konzept verfeinert und wird bis Ende des Jahres umgesetzt, sodass die Urologie neu auf die Standorte Campus Charité Mitte, Campus Benjamin Franklin und Campus Virchow-Klinikum verteilt und dabei spezialisiert wird.
Charité-Nostalgie spielt für die Patienten keine Rolle
Aufgrund der geschichtlichen Entwicklung in der Hauptstadt hat der jetzige Umbruch mit dem Ende der operativen Urologie und der Nierentransplantation in Mitte starke Emotionen ausgelöst. Aus der Perspektive der Charité spielt diese Umstrukturierung allerdings für die vielen Patienten der Universitätsmedizin keine Rolle. Die vielleicht tiefgreifendste Veränderung betrifft das traditionsreiche Gebiet der Nierentransplantation, die ab jetzt nicht mehr am Standort Charité Mitte stattfinden wird. Sie wurde vollständig auf den Campus Virchow in das Charité-Transplantationsmedizin-Zentrum verlagert.

Die Nierentransplantation hat in Berlin eine lange Geschichte: In den 1960er Jahren führten Berliner Urologen hier die ersten erfolgreichen Nierentransplantationen in Deutschland durch. Klinikdirektor Schlomm begrüßt die heutige Umstrukturierung: „Heute ist es nicht mehr sinnvoll, diesen Bereich weiterhin an zwei Standorten zu betreiben.“ Die Aufteilung zwischen Charité Campus Mitte und dem Campus Virchow-Klinikum habe zu einer geringeren Effizienz im Betrieb geführt, da Ressourcen wie Transplantationsbüros, Wartelisten und Bereitschaftsdienste doppelt vorgehalten werden mussten. „Diese Strukturen werden nun durch die Zentralisierung optimiert, um eine nahtlose und fokussierte Versorgung an einem Standort zu gewährleisten.“
Nierentransplantation in Zukunft nur noch am Virchow-Klinikum
Deshalb wird die gesamte Nierentransplantation bis zum Ende des Jahres in ein interdisziplinäres urologisch-viszeralchirurgisches Transplantationszentrum am Virchow-Campus integriert. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 220 Nieren transplantiert, darunter etwa 80 Lebendspenden. Die Patienten liegen dann auf einer interdisziplinär chirurgisch-urologisch-nephrologischen Station. „Durch diese Bündelung unserer Ressourcen in einem interdisziplinären Team erwarten wir eine Vereinheitlichung und weitere Verbesserung der Versorgung mit dem Ziel der Sicherstellung höchster der Qualität und einer Steigerung der Fälle“, betont Prof. Schlomm.
Im Virchow-Klinikum wird die Urologie mit eigenen Betten ausgebaut. Es geht um die mit einer Nierentransplantation assoziierten Eingriffe, die zuvor in der Poliklinik am Standort Benjamin Franklin operiert werden mussten. Es geht um Transplantat-Nephrektomien, Zystennieren-Entfernungen, die Doppel-J-Versorgung und Harnleiter-Stenosen. „Am Virchow-Klinikum wird eine Oberärztin angesiedelt, die den Standort dann leiten wird. Die chirurgisch-urologisch-nephrologische Station W12 betreiben die Urologen dort gemeinsam mit den Chirurgen“, erklärt Prof. Schlomm.
Operative Urologie zwischen zwei Standorten zersplittert
Dieselbe Doppelstruktur existierte bisher auch in der operativen Urologie, die zwischen Campus Mitte und Campus Benjamin Franklin aufgeteilt war. Das Resultat waren Doppel- und Dreifachvorhaltungen für Personal und Technik. „Für die Urologie bedeutet die Zentralisierung einen bedeutenden Fortschritt,“ betont Prof. Schlomm. Voraussetzung der Zentralisierung am Campus Benjamin Franklin (CBF) war die Sanierung und Modernisierung der Operationssäle im Zentral-OP. Diese neuen OP-Bereiche sind flexibel und offen gestaltet, um innovative Operationsverfahren zu ermöglichen. Moderne medizinische Informationstechnologie unterstützt dabei die High-Tech-Umgebung.

Seit 2022 steht zudem ein hochmoderner Poliklinik-Trakt am CBF zur Verfügung. „Im Laufe dieses Jahres wird die operative Urologie am Campus Benjamin Franklin in Steglitz zentralisiert, um eine noch effizientere Versorgung zu gewährleisten“, berichtet Schlomm mit Stolz. „Die neue Hochschulambulanz am CBF verfügt über vier moderne Operationsräume mit Röntgen- und Endoskopie-Technik. Diese dezentralen Operationssäle sind ideal für ambulante oder stationäre niedrig-komplexe Eingriffe geeignet und ermöglichen der Urologie eine optimale Nutzung der vorhandenen Ressourcen“ so Schlomm weiter. Seit Mitte August gibt es außerdem ein urologisch-nephrologisches Zentrum Charité. Die Urologie nutzt sehr intensiv die Schnellschnitt-Diagnostik. Im CBF steht dafür ein Schnellschnitt-Labor für Urologen und Gefäßchirurgen zur Verfügung.
Gen-Diagnostik und Ambulanz bleiben in Mitte
Die Sektion Interdisziplinäre Uro-Onkologie unter der Leitung von Prof. Maria De Santis mit der genetischen Tumordiagnostik, der uroonkologischen Ambulanz sowie Onkologie-Betten bleibt am Standort Mitte. Der Standort profitiert auch von der engen Anbindung an das Charité Comprehensive Cancer Center. Besonders beim Prostatakarzinom ist die genetische Tumordiagnostik, die fester Bestandteil der Behandlungsprozedur ist, von zentraler Bedeutung. Prof. Schlomm betont, dass an der Klinik die NGS-Methode (Next Generation Sequencing) genutzt wird, um in einem Hochdurchsatzverfahren 600 verschiedene Gene des Tumors zu analysieren.
Die Infrastruktur am Standort Mitte bot zuletzt keine Zukunftsperspektiven mehr für die hochkomplexe urologische Chirurgie. Eingriffe wie die retroperitoneale Lymphadenektomie bei Keimzelltumor-Rezidiven stellen hohe Anforderungen an einen Standort. Die Kinderurologie bleibt hingegen komplett auf dem Campus Virchow. Thorsten Schlomm war in den vergangenen sechseinhalb Jahren viel unterwegs im Berliner Stadtgebiet – zwei Tage in Steglitz, zwei Tage in Mitte und einen Tag im Virchow-Klinikum. „Man ist nirgendwo richtig und das ändern wir jetzt grundlegend.“
Nach fast 34 Jahren Deutsche Einheit findet der Umbau der Hauptstadt-Medizin ein (vorläufiges) Ende.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Franz-Günter Runkel
Chefreporter UroForum
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