Um 16 Uhr schlug gestern im Bundestag die Stunde der Wahrheit für die mögliche Regierungskoalition aus CDU/CSU sowie SPD sowie die Mehrheitsbeschafferin Bündnis 90/Die Grünen. Für die Aktualisierung der Schuldenbremse und das 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz war eine Zwei-Drittel-Mehrheit, also wenigstens 489 Stimmen, notwendig. Am Ende klappte es!
Nach stundenlanger Debatte im Bundestag stimmten schließlich 513 Abgeordnete für die Änderungen des Grundgesetzes. 207 Abgeordnete hatten das Finanzpaket abgelehnt; jetzt richten sich die Augen auf den Bundesrat. Dort müssen am Freitag 46 von 69 Teilnehmern für die Grundgesetzänderungen stimmen. Der mögliche neue Kanzler Friedrich Merz zeigte sich nach der Abstimmung erleichtert.

Diese Abstimmungserfolge werden die Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD in den kommenden Tagen zumindest etwas erleichtern. Trotzdem haben die 256 Verhandler in 16 Arbeitsgruppen einen Berg an Arbeit vor sich. In der Arbeitsgruppe „Gesundheit und Pflege“ werden aufgrund der Milliarden-Defizite besonders schwierige Verhandlungen erwartet. Der nordrhein-westfälische Gesundheits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist Verhandlungsführer der Union. Bereits im April oder Mai wird die Kasse der Pflegeversicherung leer sein, und auch in der Krankenversicherung füllen die roten Zahlen erheblichen Raum. Hier muss der Gordische Knoten gelöst werden, denn das reine Stopfen von Löchern mit Geld wird keine Lösung sein.
Was wird aus der Krankenhausreform?
Das ist auch so ein Mega-Thema, bei dem sogar CDU und CSU erhebliche Differenzen haben, weil die bayerische Landesregierung gerne die wahre Verfassung ihrer Krankenhausstruktur verschleiern möchte. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach – in der SPD-Gruppe nicht der Leiter – will sicher seine Reform retten, was dann wohl alle gegen ihn aufbringen wird. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hält von all dem gar nichts und fordert Geld für die klammen Kliniken. Gerade hat der GKV-Spitzenverband nochmal darauf gepocht, dass der Transformationsfonds in keinem Fall mit Geld der GKV-Beitragszahler gefüllt werden darf.
Zwei Modelle für eine Notfallreform
Es brennt lichterloh in Deutschlands Notaufnahmen, die eine Art Überdruckventil für die überlastete ambulante Versorgung geworden sind. Zwei Gesetzesvorschläge sind da, einer aus der vorletzten Legislatur von CDU-Minister Jens Spahn, ein zweiter aus der Lauterbach-Ära. In beiden Modellen geht es um Integrierte Notfallzentren und integrierte Leitstellen zur Patientensteuerung. Was wird aus der Rettungsdienstreform?
Krieg und Frieden im Gesundheitssystem
Neben den regulären Problemen im Gesundheitssystem hat der Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine ein weiteres Problem auf den Tisch gebracht: die Sicherheit des Gesundheitssystems im Krisen- und Kriegsfall. Auch das wird keine einfache Operation, denn es mangelt in Deutschland an vielem, weil seit 20 Jahren nicht nur in dieser Frage wenig bis nichts passiert ist.
Die Agenda in der ambulanten Versorgung
Neben den großen Brocken gibt es eine Liste von Strukturthemen, die gleichfalls angepackt werden müssen. Um Geld zu sparen und eine bessere Versorgungsleistung zu erbringen, setzen sowohl SPD als auch CDU und CSU auf mehr Patientensteuerung. Es wird am Ende auf eine Art Primärarztmodell hinauslaufen, also eine Gatekeeper-Funktion der Hausärzte. Was aus den Urologen in diesem Modell wird, ist derzeit offen.
Ob die neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in der neuen Legislatur eine Chance haben wird, entscheidet sich wohl auch auf dem Deutschen Ärztetag im Mai. Mehrere Berufsverbände waren zuletzt dagegen; die Position des Berufsverbands der Deutschen Urologie ist zumindest öffentlich vage, nachdem sich der Vorstand in der Mitgliederversammlung und dem Hauptausschuss auf dem DGU-Kongress 2024 Klatschen der Mitglieder geholt hat. Noch schwerer ist eine Prognose zur Entbudgetierung der Fachärzte.
Die Zauberformel der Teampraxenregelung
Um die multiprofessionelle Zusammenarbeit in Arztpraxen zu fördern, bietet die Teampraxenregelung Chancen. Bezahlt wird dabei nicht nur der Arzt, sondern auch die Leistung des Teams. Die Allgemeinärzte erproben das gerade mit dem sogenannten HÄPPI-Modell. Ob die Urologen bei entbudgetierter hausärztlicher Finanzierung ohne ein Team-Modell auch so glücklich bleiben werden, erscheint mir zumindest sehr offen. Konservative BvDU-Funktionäre wollen vom Teampraxis-Modell bis jetzt nichts wissen, weil man gerne die Finger auf den Fleischtöpfen der Vergütung halten möchte. ABER: Ist das wirklich klug? Die Berliner Koalitionspartner jedenfalls werden über dieses Thema sprechen.
Die Frage der investorengetriebenen Medizinischen Versorgungszentren wird auch nicht zum ersten Mal gestellt. Ob das am Ende über Privatkapital getriggert wird, oder ob die Kommunen eine Chance zum Einstieg erhalten werden, ist offen. In jedem Fall aber werden neue Formen der Versorgung sektorenübergreifend sein müssen. Auch Ambulantisierung und die Zukunft der Hybrid-DRGs könnten diskutiert werden.
Politischer Handlungsbedarf – für eine gute Krebsversorgung
Die Deutsche Krebsgesellschaft hat sich ebenfalls Gedanken zur Zukunft gemacht und diese in sechs zentralen Forderungen an die Politik der neuen Regierung komprimiert:
- Die Krankenhausreform mit onkologischen Leistungsgruppen weiterentwickeln: Die Krankenhausreform hat für die Krebsversorgung ernstzunehmende Schwachstellen: Beispielsweise fehlen onkologische Leistungsgruppen weitgehend und die Qualitätsvorgaben sind unzureichend, so die DKG. Die Reform müsse daher mit eigenen Leistungsgruppen für die Onkologie weiterentwickelt werden, die an die evidenzbasierten onkologischen Qualitätsstandards der Zertifizierten Zentren gekoppelt sind. „So kann eine qualitativ hochwertige Krebsbehandlung in den Kliniken gewährleistet werden.“
- Arzneimittelverfügbarkeit erhöhen: Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, fordert die DKG in Europa höhere Investitionen in die Arzneimittelsouveränität und eine auskömmliche Preisgestaltung für Generika.
- Prävention und Krebsfrüherkennung in den Fokus setzen.
- Forschungsstandort Deutschland stärken: Der Zugang zu Forschungs- und Versorgungsdaten müsse vorangetrieben werden. Forschung und Versorgung müssen zudem eng verzahnt sein, um Wissen zu neuen Therapieformen zu generiert. Die DKG spricht sich auch dafür aus, das System der anwendungsbegleitenden Datenerhebung weiter auszubauen.
- Nationale Dekade gegen Krebs fortführen: Damit die in der Nationalen Dekade entstandenen Initiativen verstetigt werden können, fordert die DKG die Entwicklung eines Nachfolgeprogramms in der neuen Legislatur.
- Onkologie auf europäischer Ebene stärken: Die neue Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass auch weiterhin ausreichende Fördermittel für gemeinsame europäische Projekte in der Onkologie zur Verfügung stehen. „Aufgrund der auf europäischer Ebene bereits beginnenden Verhandlungen über die Neuauflage des zentralen Forschungsförderungsprogramms Horizon Europe sowie das Arbeitsprogramm der EU4Health-Initiative ist dies von besonderer Dringlichkeit“, unterstreicht die DKG.
Man sieht, dass es keinen Mangel an Themen für die Arbeitsgruppe gibt. Hoffentlich führt der große Zeitdruck zu mehr als Überschriften und Scheinlösungen.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Franz-Günter Runkel
Chefreporter UroForum



