Vom Wahlvolk vor allem zu Beginn geliebt, von ärztlichen Berufspolitikern und Lobby-Verbänden gehasst – gestern hatte der nur noch geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach seinen letzten Arbeitstag. Der Schlusspunkt verzögerte sich, weil der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erst im zweiten Versuch am Nachmittag zum Bundeskanzler gewählt worden war. Am späten Nachmittag räumte Lauterbach dann das BMG. Wie wohl kaum ein zweiter Bundesminister schwankte er permanent zwischen Reformmut und Scheitern. Lauterbach – der Versuch einer Bilanz.
Eigentlich sollte der hagere Professor aus dem Bundestags-Wahlkreis Leverkusen/Köln nicht von Beginn an Bundesgesundheitsminister werden. Berühmt wurde das Hashtag #wirwollenkarl – ein einmaliger Vorgang bei der Ernennung eines Bundesministers (für Korrekturen bin ich dankbar!). Mit Vehemenz schrieb das Wahlvolk ihn in den Sozialen Medien ins Amt. Der typische rheinische Ton seiner Stimme, gepaart mit einer zuweilen nervigen Monotonie, machte ihn schon akustisch unverwechselbar. Lauterbach blieb authentisch, ein Typ, der gefiel und zugleich oft aneckte. Diplomatische Unschärfe ist nicht sein Ding, er bevorzugt Klartext. Ein Klassiker sind die von ihm gerne zitierten Studien zur Corona-Pandemie, aus denen er scheinbar an jedem Ort der Republik und zu (fast) jeder Tageszeit neue Fakten referieren konnte.
Hashtag-Popularität brachte ihn ins Amt
Am 8. Dezember 2021 stellte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ihn in der Parteizentrale der SPD als neuen Bundesgesundheitsminister vor: „Viele Menschen in Deutschland wünschen sich ihn als Gesundheitsminister. Er wird es.“ Zu dieser Zeit war Lauterbach populär, die Corona-geplagten Menschen vertrauten seiner Expertise. Seine Popularität litt allerdings mit der Zeit, weil ihn die vielen Bruchstellen in der Ampel-Koalition gerade beim kritischen sozialpolitischen Thema der Gesundheitspolitik überforderten.
Je erbitterter die ideologischen Kämpfe in der Ampel wurden, desto verbissener verfocht Lauterbach tiefgreifende Reformen im Gesundheitssystem. Am Ende wollte er fast keinen Stein mehr auf dem anderen lassen. Da die Ampel aber immer mehr am Geldmangel zerbrach und sich die zahlreichen berufspolitischen Verbände auf ihn einschossen, verlor er an Linie und Kraft. Der prekäre Pflegebereich ist ein gutes Beispiel. Notdürftige suchte er die schlimmsten Finanzlücken zu stopfen, aber weder das dringend benötigte Pflegefachassistenzeinführungsgesetz noch das Pflegekompetenzgesetz sind bisher in Kraft.
Handlungsspielräume für eine Pflegereform fehlten
Zur Neuordnung der Pflegeversicherung fiel ihm nur ein, die Leistungsbeiträge anzuheben, statt die Pflegeversicherung auf neue strukturelle Füße zu stellen. Seit 1. Januar 2025 sind alle Leistungsbeiträge der Pflegeversicherung um 4,5 % angestiegen; zu mehr reichte die Kraft nicht mehr. Die Finanzierung der Reformpläne fiel Lauterbach immer wieder auf die Füße, weil FDP-Finanzminister Christian Lindner kein Geld zuteilte. Mehr und mehr fehlten Lauterbach die Handlungsspielräume, um seine ehrgeizigen Pläne Wirklichkeit werden zu lassen.
Der Mangel an diplomatischem Geschick war vielleicht das Kernproblem Lauterbachs. Ob Kassenärztliche Bundesvereinigung oder Spitzenverband Fachärzte, ob Deutsche Krankenhausgesellschaft oder Bundesärztekammer – immer öfter versuchte Lauterbach mit der Brechstange, seine Reformideen durchzudrücken. Das Krankenhausreformgesetz war ein Parade-Beispiel, wie er sich im Dissenz mit den Verbänden und auch den Bundesländern zunehmend verhedderte. Mit viel Glück gelang es, die Reform im Bundesrat irgendwie durchzusetzen, nachdem der Bundestag kurz vor Ampel-Ende noch so gerade zugestimmt hatte. Was von der Krankenhausreform am Ende bleiben wird, ist allerdings offen.
Notfallreform und GVSG kamen nicht mehr zur Abstimmung
Auf der Haben-Seite Lauterbachs stehen das Medizinforschungsgesetz, das Versorgungsverbesserungsgesetz und das Gesetz gegen Arzneimittel-Engpässe. Stückwerk blieben hingegen die Notfallreform und das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG). Das Ampel-Aus zog hier den Stecker, bevor der Bundestag abschließend abstimmen konnte. Gleiches gilt für das Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit und das Gesundheit-Digital-Agentur-Gesetz.
Lauterbach scheiterte an seiner Kompromisslosigkeit
Was bleibt also von Lauterbach? In den vergangenen 25 Jahren hat es keinen Bundesgesundheitsminister gegeben, der so tief und umfassend in die Struktur des Gesundheitssystems eingreifen wollte bzw. eingegriffen hat. Unbestritten ist die Reformbedürftigkeit des Systems. Jahrzehntelang haben engstirnige Lobby-Verbände mit verbissener Wagenburg-Mentalität jede tiefgreifende Modernisierung und Reform des Gesundheitssystems verhindert. Die strukturelle Verkrustung des Systems ist beschämend und beängstigend. Viele Versicherte blicken auf die Höhe ihrer Kassenbeiträge und werden wütend, wenn sie die oft geringe Gegenleistung sowie den Mangel an Respekt erleben. Das alles wollte Lauterbach aufbrechen. Das wird man ihm nicht absprechen können. Gescheitert ist er jedoch an der Unfähigkeit, die Lobbyverbände in seine Reformpläne einzubinden. Er fand nicht die notwendigen Hebel, um Verbände und Kassen auf seine Seite zu ziehen. Lieber wollte er gar nichts, als Kompromisse zu akzeptieren. Das aber ist in der Politik und erst recht in der Gesundheitspolitik tödlich.
Am Ende blieb vieles im Ansatz stecken oder scheiterte ganz. „Karl Lauterbach – der Unvollendete“ – das passt schon als politische Bilanz des Bundesgesundheitsministers. Für die Zukunft bleibt noch viel zu tun.
Bildquelle:© BMG
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Franz-Günter Runkel
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