„Time is brain“ ist im Stroke-Team kein Slogan, sondern DAS Organisationsprinzip. Jede Kommunikationslücke im Team verlangsamt die notwendige Hirn-Reperfusion, erhöht die Variabilität und verschlechtert Patienten-Outcomes. Dieser Beitrag versucht eine Bündelung (mehr oder weniger) evidenzbasierter CRM-Prinzipien für die Akutneurologie, Radiologie, Interventionsneuroradiologie, der Anästhesie und Notaufnahme – kritisch eingeordnet, praxisnah übersetzt.
Zur Transparenz möchte der Autor darauf hinweisen, dass er Stroke-Teams in seiner Funktion als Berater und CRM-Trainers begleitet und den klinischen Alltag aus der Perspektive eines Zeugen und Beobachters erlebt. Der Beitrag versteht sich als Impulsgeber, der Anregungen vermittelt und den fachlichen Austausch fördern möchte – eine Belehrung soll bitte nicht gesehen werden.
Warum CRM im Stroke-Team?
Die akute Schlaganfallbehandlung ist eine herausfordernde Netzwerkarbeit mit vielen Schnittstellen und einer hohen kognitiven Last aller Beteiligten. Initiativen wie „Target: Stroke“ zeigen, dass standardisierte Abläufe, eine prähospitale Voranmeldung, „door-straight-to-CT“ und klar definierte Teamrollen die door-to-needle-Zeiten (DTN) substanziell reduzieren und Outcomes verbessern können [1–3]. Die Leitlinien der ESO und AHA/ASA verankern diese Prozesslogik: eine zügige Bildgebung, parallellaufende Prozesse und eine frühzeitige Aktivierung von IVT/EVT-Pfaden [4–6] sind für ein positives Outcome begünstigend. Gleichzeitig ist die Studienlage heterogen; nicht jedes Setting repliziert die gleichen Effektstärken (siehe „Kritische Einordnung“).
Kernbotschaft: CRM macht aus Einzelkönnen Teamleistung – mit Führungs-, Kommunikations- und Entscheidungsstandards, die unter Druck tragen [7, 8].
Die vier CRM-Grundpfeiler für den Code „Stroke“
Die Kombination von CRM – Methoden wie einer geteilten Situationsbewusstheit, einer klaren Rollen- und Führungszuordnung, einer gelungenen Closed-Loop-Kommunikation und der standardisierten Übergabe bilden die vier Grundpfeiler für eine sichere und rasche Versorgung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten. Nachfolgend werden die einzelnen Komponenten erläutert:
Geteilte Situationsbewusstheit: Ein 20-Sekunden-Lagebild bündelt Diagnoseannahme, Onset-Zeit, NIHSS, Ressourcen und Zielpfad (IVT/EVT).
Klare Führung & Rollen: Eine Einsatzleitung priorisiert und spricht Entscheidungen laut aus („Straight-to-CT; Ziel: Nadel < 30 min, Punktionszeit: < 60–90 min“).
Closed-Loop-Kommunikation: Aufträge werden adressiert, wiederholt und quittiert; kritische Werte als Call-outs; bei Sorge CUS-Statements („Ich bin besorgt/unsicher – Sicherheitsrisiko“) [7, 9].
Standardisierte Übergaben: SBAR-Strukturen (Situation-Background-Assessment-Recommendation) reduzieren Informationsverlust, z. B. bei Alarmierung, CT-Übergabe, OP-Transfer [10].
Ablauf von Alarm bis Reperfusion – ein möglicher kommunikativer Pfad zwischen den Disziplinen
Je mehr Schnittstellen in interdisziplinären und interprofessionellen Teams bestehen, desto höher ist das Risiko für Informationsverlust, Verzögerungen und Verantwortungsdiffusion; ein strukturierter, CRM-geleiteter Kommunikationspfad (z. B. Übergabe nach SINNHAFT, Closed Loop-Kommunikation, klare Eskalationskriterien) synchronisiert mentale Modelle zwischen den Disziplinen und Professionen, klärt Rollen und reduziert kognitive Last sowie Variabilität in den Interpretationen und Aussagen.
So können Entscheidungen frühzeitig und konsistent getroffen werden, Übergaben werden bestenfalls nahtlos gestaltet und somit kritische Zeitintervalle verkürzt—zentrale Hebel für weniger Fehler und ein besseres Patientenoutcome.
Nachfolgend wird ein Beispiel für einen klaren Kommunikationspfad beschrieben.
Prähospital: Der Rettungsdienst meldet einen Stroke-Verdacht früh an (Onset/LKN, FAST/CPSS, Antikoagulation, Glukose, Eintreffzeit). Eine frühe Voranmeldung senkt DTN und verbessert die Prozesszeiten [11]. Die Kliniken antworten spiegelbildlich: „Straight-to-CT; Team in Bereitschaft; Lyse am CT; Interventionelle Radiologie „on call“.
Notaufnahme & CT: Kein „Stopp“ in der Triage: door-straight-to-CT ist Best Practice [12]. Der Venöse Zugang, das Monitoring und die Blutabnahme werden parallel am CT vorgenommen; der IV-Bolus am CT gegeben; währenddessen prüft die Radiologie simultan den LVO-Status (CT-A/±Perfusion); die interventionelle Radiologie bereitet die EVT vor und die Anästhesie plant das Airwaymanagement und die Sedierung. Die Zeitziele werden laut mitgeführt und im Raum sichtbar gehalten (z. B. Whiteboard/Flipchart).
Entscheidung & Reperfusion: DTN-Zielwerte: < 60 min (≥ 75 % der IVT-Fälle), ambitioniert < 45 min (≥ 50 %) – Zielsetzung Target: Stroke Phase II [2, 13]. Für EVT empfehlen Leitlinien kurze door-to-puncture-Ziele; viele Zentren streben ≤ 90 min an; Optimierungen verkürzen door-to-puncture und verbessern Outcomes [5, 6, 14].
Die Kommunikationswerkzeuge im Detail
Kommunikationswerkzeuge sind bewusst gestaltete CRM-Methoden, -Formate oder -Hilfsmittel, die den Informationsaustausch standardisieren und erleichtern: zum Beispiel SBAR/SINNHAFT, Checklisten, CUS-/Closed-Loop-Formulierungen, Übergabe-Templates oder visuelle Dashboards.
Sie reduzieren bei den Teammitgliedern Ambiguität und kognitive Last, schaffen gemeinsame, interprofessionell und interdisziplinär übergreifende mentale Modelle und verlässliche Schnittstellen, sodass Entscheidungen schneller, sicherer und nachvollziehbarer getroffen werden. Nachfolgend sind einige Kommunikationswerkzeuge beispielhaft beschrieben.
SBAR-Mini (innerklinische Alarmierung): Pflegekraft: „Mann, 72 J., rechtsseitige Hemiparese, Onset 08:30, jetzt 09:10. B: VHF, NOAC zeitlich unklar. A: NIHSS 14, Glukose 156, CT frei. R: Straight-to-CT; Lyse am CT; Interventionelle Radiologie informieren.“
Closed-Loop-Kommunikation: „Bitte 18G rechts jetzt“ (Behandelnde Ärztin) – „18G rechts, verstanden“ (Pflegekraft) – „Zugang um 09:14 gelegt. (Pflegekraft)“ „Danke!“ (Behandelnde Ärztin)
Call-outs: Zeitmarken, NIHSS, BP-Ziele, Boluszeiten.
CUS-Pfad: „Ich bin besorgt, dass der Angio-Saal nicht frei ist; wir riskieren > 60 min.“ (Pflegekraft)
Die Wirksamkeit von Closed-Loop unter Stress ist gut belegt; in Simulationen steigt Aufgabencompletion, Fehler nehmen ab [7, 13].
Schnittstellen ED – Radiologie – Neurologie – Interventionelle Radiologie – Anästhesie
Schnittstellenarbeit bedeutet immer den Kampf gegen Verzögerungstreiber. Verzögerungstreiber in der Versorgung sind häufig: eine fehlende Voranmeldung, CT-Belegung, unklare EVT-Indikation, Warten auf Entscheidungsträger (v. a. in hierarchisch stark ausgeprägten Organisationen).
Abhilfe schaffen single-call-activation aller Kernrollen. Single-Call-Activation bezeichnet ein Alarmierungsverfahren, bei dem mit einem einzigen Anruf/Trigger alle für ein Szenario benötigten Rollen gleichzeitig und mit einheitlicher Botschaft aktiviert werden, statt mehrere Stellen nacheinander zu kontaktieren. Dadurch sinken Latenzen und Medienbrüche, Verantwortungen sind sofort klar, und Eskalationspfade (z. B. Auto-Reminder bei fehlender Bestätigung) sind integriert. (Beispiel: „Code Stroke“ löst in einem Schritt Neurologie, CT/Radiologie, Interventionelle Radiologie, Anästhesie, Pflege, Labor/Blutbank aus.). Einheitliche Alarmtexte („Code-Stroke CT in 5 min, mutmaßlich LVO, Neurologie führt“), definierte Eskalationsstufen und Service-Level-Ziele (z. B. < 10 min door-to-CT, < 30 min door-to-needle, < 60–90 min door-to-puncture). Outcome-Daten aus QI-Programmen stützen, dass Bündelmaßnahmen diese Ziele erreichbar machen [1–3, 14].
Telestroke & Netzwerkkommunikation
Die neue Idee des Telestroke überbrückt Distanzen, beschleunigt Entscheidungen und ermöglicht IVT vor Ort. Metaanalysen und aktuelle Studien zeigen verkürzte Zeiten bis zur Lyse und vergleichbare Sicherheit gegenüber Präsenzversorgung; Effektstärken variieren je nach Netzwerk, Technik und Training [15, 16]. Erfolgsfaktoren: Übergabe-Vorlagen für die Videoschaltung, klare Ownership (wer entscheidet/klärt auf/dokumentiert), doppelte Dokumentation (lokal und im Konsilzentrum), belastbare Fallback-Kanäle. Spezielle CRM-Trainings für Telemedizin können hier unterstützend wirken.
CRM – Training & Simulation – wie viel bringt es wirklich?
Mehrere Register- und Interventionsstudien sowie Metaanalysen belegen, dass Simulationstraining DTN im Mittel um 10–30 min senkt; Zentren berichten mitunter Median-DTN < 20 min [3, 17, 18]. Ein 2023 publiziertes QI-Projekt zeigte nach Protokollrevision plus Simulation eine mediane DTN von 13 Minuten – eine Ausnahme, die zeigt, was in hochstandardisierten Settings möglich ist [3]. Die Evidenz ist überwiegend nicht-randomisiert; Reifungseffekte, Parallelmaßnahmen und Selektionsbias bleiben Limitierungen [18].
Fazit: CRM-basiertes Team-Training wirkt v. a. dann, wenn es in regelmäßige in-situ-Drills, klare Lernziele, Debriefings und SOP-Pflege eingebettet ist [7–9, 19]. Auch ist die Qualität der Trainingsdurchführenden von wichtiger Bedeutung.
Alarm klar benennen („Code- Stroke, straight-to-CT“)
Führung hörbar machen
Rollen explizit zuweisen
Aufträge im Closed-Loop
Kritische Werte als Call-outs
Zeitwächter benennen
SBAR bei allen Übergaben
CUS bei Sorge/Unsicherheit
Mikro-Huddles vor CT/EVT
5-Minuten-Debriefing
Qualität messen, steuern, lernen
Aber : Ohne Metriken bleiben Verbesserungen zufällig. Ein Vorschlag für ein praktikables Minimal-Set:
- Zeiten: door-to-CT, door-to-needle, door-to-puncture, picture-to-puncture, symptom-to-reperfusion.
- Prozess: Anteil vollständiger SBAR/SINNHAFT-Übergaben, die Quote geschlossener Kommunikationsschleifen, Zeit bis BP-Kontrolle < 185/110 vor IVT [24], Rate zeitnaher Debriefings.
- Ergebnis: First-Pass-Efficiency, sICH- Rate, mRS bei Entlassung.
Für Closed-Loop-Messung sind standardisierte Grids verfügbar (z. B. CAST), die Qualität und Quantität verbaler Schleifen objektivieren [20]. Daten werden als Run-Charts visualisiert und in Huddles diskutiert; Feedback adressiert Teams, nicht Einzelne. Dies muss erlernt werden, z. B. in bewährten und strukturierten Feedback- und Moderationskursen wie der InReaL der Fa. InPASS GmbH.
Recht, Ethik, Patientenkommunikation
Der allgegenwärtige Zeitdruck im Gesundheitswesen verkürzt die Patientenaufklärung, hebt sie aber (hoffentlich) nicht auf! Knapp, ehrlich, empathisch informieren – und dokumentieren: Zeitstempel, Dosen, Entscheidungsgründe, Einwilligungen. Nach Zwischenfällen empfehlen Sicherheitskultur-Standards „Open Dis- closure“ und Debriefings mit dem Fokus: „Wie können wir den Zwischenfall zukünftig verhindern?“ und nicht „wer war’s?“.
Achtung: In Telestroke-Ketten sind Datenschutz, Protokollierung und klare Verantwortlichkeiten (medizinisch und rechtlich) vorab zu definieren!
Kritische Einordnung der Evidenzen
Die Literatur zu CRM und Stroke-Prozessen ist heterogen: häufig Vor-/Nach-Vergleiche mit Maßnahmenbündeln; randomisierte Evidenz ist selten. Kausalinterpretationen sind daher vorsichtig, wenn auch optimistisch zu treffen. Trotzdem sprechen (1) robuste Register-Signale (Target: Stroke), (2) konsistente Leitlinienforderungen und (3) replizierte Prozessgewinne in unterschiedlichen Systemen für eine echte Wirksamkeit standardisierter Teamkommunikation – mit der Einschränkung, dass Kontext (Teamgröße, 24/7-INR, IT-Infrastruktur) die Effektstärke moduliert [1–6, 14, 18, 21]. Aus den Erfahrungen des Autors ist zu sagen, dass in erster Linie neben dem Training die persönliche Haltung jedes Einzelnen und die der Führungskräfte (!) zählen, um gute und stabile Teamkommunikation gelingend zu gestalten.
Fazit
CRM übersetzt „time is brain“ in verlässliche und reproduzierbare Routinen: klare Führung, strukturierte Übergaben, Closed-Loop-Kommunikation, prähospitale Voranmeldung, straight-to-CT, parallele Prozesse und lernende Systeme. Die Datenlage ist nicht perfekt, die Richtung aber klar: Stroke-Teams, die CRM konsequent leben und regelmäßig trainieren, erreichen schneller Reperfusion – und verbessern Patientenoutcomes messbar. Zudem sind diese Teams meist gesünder und resilienter ggü. Störungen.

M.A., MAS
Leiter Training und Bildung beim Institut für Patientensicherheit und Teamtraining (InPASS GmbH)
Organisations- und Kommunikationspsychologe
Supervisor, Berufspädagoge und ehemaliger Notfallsanitäter
Interessenskonflikte: S. Langewand arbeitet für das Institut für Patientensicherheit und Teamtraining InPASS GmbH. Die InPASS GmbH veranstaltet u. a. CRM- und Simulationstrainings.
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1. Xian Y et al. Use of Strategies to Improve Door-to-Needle Times… Stroke 2017; 48: 219–27
2. AHA/ASA. Target: Stroke Phase II – Campaign Manual 2015.
3. Svobodová V et al. Simulation-based team training improves DTN… BMC Emerg Med 2023; 23: 3
4. ESO expedited recommendations on IV tenecteplase/alteplase. Eur Stroke J 2023; 8(1): 8–54
5. AHA/ASA Guideline Update for AIS (slide deck) 2019
6. ESO guideline directory (acute stroke updates). 2024/25.
7. Gross B et al. Crew resource management training in healthcare. Adv Simul 2019; 9: e025247
8. Buljac-Samardžić M et al. Umbrella review on CRM. Int J Health Policy Manag 2021; 17(8): e929–58
9. Salik I & Ashurst JV. Closed-Loop Communication in Simulation. StatPearls 2023
10. Müller M et al. Impact of SBAR on patient safety: systematic review. BMJ Open 2018; 8: e022202
11. Zhang S et al. Prehospital notification improves times. Exp Ther Med. 2018; 9(3): 426–34
12. Ashcraft S et al. Prehospital Stroke Management & Systems of Care. Stroke 2021; 52(5): e164–78
13. Xian Y et al. Achieving More Rapid DTN… Stroke 2022; 53(4): 1328–38
14. Yang S et al. Shortening door-to-puncture time… BMC Emerg Med. 2022; 22(136)
15. Amalia L et al. Telestroke program reduces DTN by ~77 min. J Clin Med 2025; 18: 2461–68
16. D’Anna L et al. The future of stroke care: telestroke. J Thromb Thrombolysis 2025; 58: 743–6
17. Svobodová V et al. (PubMed record). BMC Emerg Med. 2023.
18. Aljuwaiser S et al. Meta-analysis: simulation training shortens DTN. Adv Simul. 2024.
19. Berge E et al. ESO guidelines on IV thrombolysis. Eur Stroke J. 2021.
20. Schwindenhammer V et al. CAST-Grid for closed-loop measurement. Int J Med Inform. 2023.
21. Fonarow GC et al. Improving DTN in AIS. Str



