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Psychische Erkrankungen und Schwangerschaft

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Erschienen in: neuro aktuell

Das Wochenbett ist für Frauen eine sehr vulnerable Phase, insbesondere wenn sie bereits psychisch vorbelastet sind. Trotzdem gibt es große Unsicherheiten, in der Schwangerschaft und Stillzeit Medikamente wie Antidepressiva und -psychotika einzunehmen. Dr. Marlies Onken von der Charité Berlin und Prof. Dr. Kittel-Schneider vom Universitätsklinikum Würzburg klärten heute im Rahmen des DGPPN-Kongresses darüber auf, worauf bei der Medikation zu achten ist, welche psychotherapeutischen Interventionen bei psychischen Erkrankungen nach der Geburt von Nutzen sein können und wie man diesen präventiv begegnen kann.

Dr. Marlies Onken sprach in ihrem Vortrag über die möglichen Auswirkungen von Psychopharmaka auf die Entwicklung des ungeborenen Kindes und die Nutzen-Risiko-Abwägung der Therapie mit verschiedenen Antidepressiva und Antipsychotika während Schwangerschaft und Stillzeit. Sie betonte, dass es immer eher anzuraten sei, die pharmakologische Therapie auch in der Schwangerschaft fortzuführen, um Rückfälle zu vermeiden. Insbesondere in der Zeit nach der Geburt seien Rückfälle bei psychisch vorerkrankten Personen sehr häufig, besonders wenn es keine medikamentöse Prophylaxe gegeben habe.

Bei einer Neueinstellung in der Schwangerschaft oder bei Kinderwunsch gäbe es Medikamente, die durch die besonders gute Datenlage und geringe Nebenwirkungsbreite zu empfehlen seien. Dennoch sei eine Umstellung in der Schwangerschaft nicht zu empfehlen: Priorität sollte eine stabile Patientin sein. Insbesondere bei Patientinnen mit Psychosen ist die psychische Stabilität der Schwangeren für einen komplikationsarmen Schwangerschaftsverlauf von entscheidender Bedeutung. Die Rahmenbedingungen sollten also, wenn möglich, bereits bei Kinderwunsch angepasst werden. Als Antidepressiva empfahl sie während Schwangerschaft und Stillzeit Sertralin und Citalopram/Escitalopram. Weitere geeignete Antidepressiva wären unter anderem Mirtazapin, Amitriptylin und Duloxetin. Bei Antipsychotika sei Quetiapin das Mittel der Wahl.

Eine Umstellung oder das Absetzen der Medikamente ist unter anderem bei den Folgenden angezeigt: Valproat sei durch die erhöhten Risiken für Herz-, Extremitäten- und andere große Fehlbildungen, Neuralrohrdefekte und Intelligenzdefizite des Kindes für Frauen im gebärfähigen Alter kontraindiziert, es sei denn die Bedingungen des Schwangerschaftsverhütungsprogramms werden eingehalten. Auch bei der Therapie mit Topiramat sei das Risiko für Fehlbildungen erhöht und es bestehe auch der Verdacht auf ein erhöhtes Risiko für neurokognitive Entwicklungsstörungen sowie intrauterine Wachstumshemmungen. Bei Lithium sollte das Nutzen-Risiko-Verhältnis besonders gut abgewogen und das Motto „so niedrig wie möglich, so hoch wie nötig“ zu Herzen genommen werden sowie die psychiatrische und gynäkologische Betreuung besonders engmaschig erfolgen.

Prof. Dr. Kittel-Schneider informierte über das peripatale Management bei psychisch erkrankten Eltern. Sie betonte zunächst, dass die Beratung im besten Fall schon vor der Schwangerschaft bei akutem Kinderwunsch stattfinden soll, da Prävention immer besser sei als Behandlung. Wichtig ist dabei die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Frauenärzten, Hebammen, Schwangerschaftsberatungsstellen und Kinderärzten. Auch sei die Aufklärung aller beteiligten Gruppen und auch der Partner von großer Bedeutung, um Risikofaktoren und Warnsignale zu erkennen, aber auch um Geburtshelfer zu sensibilisieren und so ein mögliches Geburtstrauma zu verhindern. Dabei ist auch zu beachten, dass die Väter eine peripatale psychische Erkrankung entwickeln können, so leiden ca. 5% der Väter an einer postpartalen Depression (PPD).

Prof. Dr. Kittel-Schneider legte ihren Kolleginnen und Kollegen Screeningtools ans Herz, die unter anderem die Diagnose einer postpartalen Depression erleichtern können, wie z. B. die Edinburgh Postnatal Depression Scale. Diese sind auch für Ärzte anderer Fachrichtungen, wie etwa Gynäkologen, ein gut nutzbares Tool, um eine erste Diagnose stellen zu können und die betroffene Person dann an einen Psychologen weiterzuleiten.

Unabhängig von der Medikation haben psychisch vorerkrankte Frauen ein höheres Risiko für perinatale Komplikationen. Die Ursachen dafür sind jedoch nicht ganz klar. Möglicherweise spielen ein ungesünderer Lebensstil, höhere Stresslevel und die geringere Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen eine Rolle. Das gilt auch für Patientinnen mit ADHS-Diagnose. Deswegen rät Prof. Dr. Kittel-Schneider dazu bei entsprechenden Patientinnen nachzuhaken, ob Vorsorgeuntersuchungen gemacht wurden.

Auch sie rät, die Medikation in der Schwangerschaft weiterzuführen und auch die Zahlen sprechen dafür: Bei einer Bipolaren Störung oder bereits erlebten postnatalen Psychose liegt das Risiko nach der Entbindung einen Rückfall zu erleiden ohne prophylaktische Medikation bei 66 %, mit nur bei 23 %.

Durch die Geburt kann auch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ausgelöst werden: Ca 2–3 % aller Frauen zeigen nach einer Geburt das Vollbild einer PTBS, ca. 20 % einzelne Symptome, weswegen eine psychologische Nachbesprechung nach der Geburt anzuraten ist.

Psychotherapeutische Interventionen wie Entspannungsverfahren, Schlafregulation, Stressmanagement und Stärkung des Kompetenzgefühls der Frauen können insbesondere auch präventiv helfen, bei einer vorliegenden PPD hat sich insbesondere die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und Interpersonelle Psychotherapie (IPT) bewährt. Auch Internet- und Telefoninterventionen sowie App-basierte Verfahren können hier einen Beitrag leisten, da sie insbesondere im Wochenbett schnell und einfach zugänglich sind.

Weitere Informationen zur Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft und Stillzeit gibt es unter www.embryotox.de/arzneimittel

Michelle Mück

Quelle: Wissenschaftliches Symposium „Psychische Erkrankung und Schwangerschaft“ im Rahmen des DGGPN-Kongresses am 29.11.2023

Bildquelle: © MP Studio – stock.adobe.com

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