E-Paper

Neurologie und Psychiatrie » Neurointensiv- und Notfallmedizin » Schlaganfall

»

Thrombektomie revolutioniert Schlaganfallbehandlung weiter

Thrombektomie revolutioniert Schlaganfallbehandlung weiter

News

Neurologie und Psychiatrie

Neurointensiv- und Notfallmedizin

Schlaganfall

mgo medizin

mgo medizin

Autor

4 MIN

Erschienen in: neuro aktuell

Neue Studien bescheinigen Therapieerfolg auch bei bereits bestehendem Gewebeschaden

Berlin – Die moderne Medizin kann die häufigste Ursache für einen Schlaganfall – ein Blutgerinnsel im Gehirn – entweder medikamentös durch Thrombolyse oder mechanisch mittels Thrombektomie beheben. Eine Thrombektomie brauchen vor allem Patientinnen und Patienten mit Verschlüssen der großen gehirnversorgenden Schlagadern, denn diese lassen sich medikamentös oft nur unzureichend öffnen. Bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigten der Thrombektomie jedoch nur dann eine große Wirkungskraft, wenn sie bei schweren Schlaganfällen nach bestimmten Selektionskriterien durchgeführt wurde, sodass die Infarktbildung noch nicht zu stark ausgedehnt war. Zwei neue Studien belegen nun, dass Menschen mit schweren Hirninfarkten mit dieser modernen Therapie sogar innerhalb eines Zeitfensters von 24 Stunden noch erfolgreich behandelt werden können. Anlässlich des Aktionstags gegen den Schlaganfall am 10. Mai 2023 berichteten Fachleute der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) über die neuen Erkenntnisse.

Thrombektomie anfangs nur für bestimmte Gruppen

Die Behandlung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten mit einer medikamentösen, gerinnselauflösenden Therapie ist seit 25 Jahren ein gängiger Behandlungsstandard – doch gerade große Blutgerinnsel ließen sich so oft nicht gut genug auflösen, sodass Langzeitfolgen eines Schlaganfalls bei den Betroffenen oft nicht ausreichend verhindert werden konnten. „Seit einigen Jahren hat sich deshalb – gerade für Patientinnen und Patienten mit Verschlüssen der großen gehirnversorgenden Schlagadern – die mechanische Thrombektomie etabliert“, betonte Professor Dr. med. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der DSG. Diese Therapie hat dazu geführt, dass vielen Schlaganfallerkrankten auf geradezu wundersame Weise geholfen werden konnte. Schwerste Lähmungen und Sprachstörungen konnten teilweise vollständig beseitigt und dauerhafte Pflegebedürftigkeit verhindert werden.

„Bislang galt die Thrombektomie jedoch nur als erfolgreich, wenn sie bei schweren Schlaganfällen nach bestimmten Selektionskriterien durchgeführt wurde, sodass die Infarktbildung noch nicht zu stark ausgedehnt war. Doch zwei neue Studien – eine chinesische und eine internationale – bestätigen nun, dass auch Betroffene mit bereits ausgedehnten Gewebeschäden von dieser modernen Therapiemethode im Zeitfenster von bis zu 24 Stunden nach Symptombeginn erfolgreich behandelt werden können. „Aufgrund der überragenden Wirkung der Thrombektomie wurden beide Studien frühzeitig abgebrochen, was einmal mehr die starke Wirkung dieses Therapieverfahrens unterstreicht“, so Professor Dr. med. Darius Nabavi, Erster Vorsitzender der DSG und Chefarzt der Neurologie am Berliner Vivantes Klinikum Neukölln. „In der Summe ist es wohl die Erfahrung mit dieser Therapie und die Weiterentwicklung der Technik, die nun zu dieser Verbesserung geführt hat, denn frühere Studien hatten bei Schlaganfällen mit einer so stark fortgeschrittenen Infarktbildung noch keine wirksamen Ergebnisse erzielen können“, betonte Schäbitz.

Inzwischen mehr als 16.000 Thrombektomien in Deutschland pro Jahr

Die mechanische Thrombektomie gilt als eine der erfolgreichsten medizinischen Innovationen der letzten Jahrzehnte nicht nur wegen der therapeutischen Effektstärke, sondern auch in Bezug auf die gesellschaftlichen Faktoren wie Verhinderung von Langzeitpflegeabhängigkeit und Berufsunfähigkeit. Mittlerweile werden in Deutschland bereits jährlich 16.475 Thrombektomien durchgeführt. In der Tat ist die mechanische Thrombektomie ein komplexes Verfahren und stellt hohe Anforderungen an das Zusammenspiel der gesamten medizinischen Infrastruktur unter Beteiligung des Rettungsdienstes, der Anästhesie, der Neurologie und der Stroke Units sowie natürlich der interventionellen Neuroradiologie. Deutschland ist hier insgesamt gut aufgestellt, auch wenn die Corona-Pandemie, deren Folgen sowie der allgemeine Personalmangel die Versorgung teilweise herausfordern.

In den Ländern der westlichen Zivilisation ist die Wahrscheinlichkeit eine Thrombektomie zu erhalten mit 23 % ziemlich hoch – während sie in Ländern der Dritten Welt gerade mal bei 0,5 % liegt. Weltweit werden daher nur circa 240.000 Thrombektomien pro Jahr durchgeführt, obwohl nach Angaben der World Stroke Organisation ungefähr 1,7 Millionen Menschen einen Schlaganfall infolge eines Verschlusses der großen hirnversorgenden Arterien erleiden und somit eine Indikation für eine Thrombektomie aufweisen. Die DSG fordert deshalb anlässlich des Aktionstages gegen den Schlaganfall, dass die Strukturen mit spezialisierten Schlaganfalleinrichtungen auch in weniger entwickelten Ländern dringend ausgebaut werden müssen.

Etablierung der Therapieform trotzdem weiter ausbaufähig und nötig

Deutschland hat bundesweit Netzwerkstrukturen an Stroke Units entwickelt, die einen weitgehend flächendeckenden Zugang zur Thrombolyse und Thrombektomie sicherstellen. Dennoch besteht nach Ansicht von DSG-Expertinnen und Experten auch hierzulande noch Optimierungsbedarf: „In manchen Regionen müssen die Transportzeiten weiter optimiert werden. Zudem muss noch besser verinnerlicht werden, dass der Schlaganfall ein absoluter Notfall ist. Nur 10 % der Betroffenen kommt innerhalb von 60 Minuten in eine Klinik, das ist deutlich zu wenig. Je früher wir eine Therapie beginnen, desto geringer ist der Gewebeschaden und desto größer ist die Aussicht auf einen Behandlungserfolg“, betonte Schäbitz abschließend.

Literatur:

1. Huo X et al. Trial of Endovascular Therapy for Acute Ischemic Stroke with Large Infarct. N Engl J Med 2023; 388:1272-1283

2. Sarraj A et al. Trial of Endovascular Thrombectomy for Large Ischemic Strokes. N Engl J Med 2023; 388:1259-1271

Quelle: Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG)

Bilderquelle: © Kadmy, stock.adobe.com

Schlagworte zu diesem Beitrag

Weitere Beiträge zu diesem Thema

© DimaBerlin_stock.adobe.com

Wie bestimmte Wahrnehmungsveränderungen bei Borderline-Patientinnen das sexuelle Verhalten beeinflussen können

News

Frauen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erleben in sexuellen Situationen häufiger dissoziative Symptome – dazu gehören beispielsweise Derealisation und Depersonalisation, also eine veränderte Wahrnehmung des eigenen Körpers oder der Umwelt, sowie Konversionssymptome, also körperliche Beschwerden ohne organischen Grund.

Neurologie und Psychiatrie

Persönlichkeitsstörungen

Beitrag lesen
Illustration eines Arztgesprächs: Ein Arzt klärt eine Patientin über Epilepsie auf, die Patientin hält sich die Hände an den schmerzenden Kopf.

Experten fordern Umdenken in der Epilepsie-Behandlung

Pharmaservice

In der Behandlung von Epilepsien geht wertvolle Zeit verloren, in der Patientinnen und Patienten unter fortbestehenden Anfällen leiden und ihre Lebensqualität erheblich eingeschränkt ist. Im Rahmen eines Seminars von Angelini Pharma wurden die Ursachen und Folgen dieser „therapeutischen Trägheit“ diskutiert.

Neurologie und Psychiatrie

Epilepsie

Beitrag lesen
John - Adobe Stock

Europäischer Kopfschmerzkongress: Hormone und Kopfschmerz

Kongressberichte

Welche Auswirkungen haben Hormone auf Kopfschmerzen? Dieser Frage gingen zwei Expertinnen im Rahmen des Europäischen Kopfschmerz-Kongresses Anfang Dezember in Lissabon nach.

Neurologie und Psychiatrie

Kopfschmerzerkrankungen

Beitrag lesen