Urologie » Operative Urologie

»

ATOMS bei schwerer Belastungsharninkontinenz: Neue OP-Technik verspricht bessere Ergebnisse

Perinealer Situs eines Patienten mit Revision nach primär nicht erfolgreicher ATOMS-Implantation: links: enferntes altes ATOMS, die Pseudokapsel bedeckt den penobulbären Harnröhrenübergang; rechts: das neue ATOMS-Kissen unterstützt unmittelbar den Bulbus urethrae.

ATOMS bei schwerer Belastungsharninkontinenz: Neue OP-Technik verspricht bessere Ergebnisse

Fachartikel

Urologie

Operative Urologie

mgo medizin

mgo medizin

Autor

5 MIN

Erschienen in: UroForum

Quelle und Bildquelle: © Aus Uroforum, Heft 03/2023

Fabian Queissert

Das Adjustable Transobturator Male System (ATOMS) ist eine adjustierbare Schlinge für Männer mit einer Belastungsinkontinenz, die sich durch eine geringe Komplikationsrate (5,75 % Revisionen), akzeptable Kontinenzergebnisse (0–1 Pads/24h 69 %) und eine einfache Adjustierbarkeit auszeichnet [1]. Am Universitätsklinikum Münster wurde nun eine neue Implantationstechnik mit optimierter Lage des ATOMS-Kissens entwickelt, welche einen indirekten Support auch des urethralen Sphinkters ermöglicht und nicht nur in der Revision von ATOMS-Patienten Anwendung finden dürfte.

Die Harnbelastungsinkontinenz (HI) stellt auch bei der modernen laparoskopischen und robotisch assistierten radikalen Prostatektomie eine häufige Komplikation dar. Je nach Definition und Zeitpunkt der Erfassung verbleibt bei 2–20 % der Patienten eine solche auch länger bestehen [2]. Eine Radiatio erhöht das Risiko zusätzlich, insbesondere wenn vor der radikalen Prostatektomie oder kurz danach durchgeführt [3]. Während im ersten Jahr noch konservative Behandlungsformen dominieren (Schließmuskel-Koordinationstraining, Elektrostimulation- Biofeedback, Off-Label Duloxetin) kann bzw. sollte bei entsprechendem Leidensdruck eine operative Behandlung ab dem 1. postoperativen Jahr erwogen werden. Hierbei kommen fixe Schlingen (leichte bis mittelschwere HI: z. B. AdvanceXPTM, BSC), adjustierbare Schlingen (leichte bis mittelschwere HI: z. B. ATOMS, A.M.I.®; Reemex, Neomedic International; Argus, Promedon) sowie artifizielle Sphinktersysteme (jede Form der HI: z. B. AMS 800, BSC; Victo, Promedon) infrage. Fixe Schlingen zeichnen sich zwar durch Ihren geringen Materialeinsatz aus, setzen aber einen funktionstüchtigen Sphinkter mit langer Koaptationsfläche (> 1 cm) voraus, eine Situation die sich im klinischen Alltag eher selten ergibt. Auch wurde im Rahmen einer großen randomisierten Studie die fixe Schlinge AdvanceXPTM mit dem artifiziellen Sphinkter AMS 800 verglichen und war diesem nach 1 Jahr Nachbeobachtung hinsichtlich Kontinenzrate und Zufriedenheit unterlegen [4]. Gleichwohl muss die Indikation zur Implantation eines artifiziellen Sphinkters kritisch geprüft werden. Die adjustierbare Schlinge hat sich in der Zwischenzeit als Alternative fest etabliert, auch wenn in den aktuellen Leitlinien noch eine zu geringe Evidenz attestiert wird. Insbesondere das ATOMS zeichnet sich jedoch durch eine immer bessere Datenlage aus, ein aktuelles Review weist eine soziale Kontinenz (0–1 Vorlagen/Tag) in 67 % der Fälle und eine Verbesserung in 90 % der Fälle nach [1]. Erstmals wurde das System und die Implantationstechnik 2012 von Seweryn et al. beschrieben [5]. Es handelt sich genau genommen um eine perineal implantierbare Kombination aus auffüllbarem Silikonkissen und transobturatorischer Schlinge, wobei letztere das Kissen fest unter der Harnröhre platziert (▶ Abb. 1). Über einen Skrotalport kann das Kissen, angepasst an die postoperative Kontinenzsituiation, einfach und ohne Notwendigkeit einer Anästhesie ambulant adjustiert werden.

Modifizierte proximale Implantationstechnik – Fallserie

Seit 2016 erfolgt eine ATOMS-Implantation auch am Universitätsklinikum Münster. Bei passablen Ergebnissen auf dem Niveau der Literaturdaten gelang bei einigen Patienten trotz stärkerer Füllung des Kissens über 20 ml (max. 25 ml) nicht die Wiederherstellung der sozialen Kontinenz. Diagnostisch wurde in allen Fällen eine retrograde Urerthrographie in Kombination mit einem kontrastmittelgefüllten ATOMS verwendet. Es zeigte sich, dass den Patienten mit nur geringer Besserung der Kontinenz eine bestimmte Konstellation gemein war: Das Kissen lag eher unter dem penobulbären Harnröhrenübergang, der Bulbus urethrae fand so keinen ausreichenden Support durch das Kissen. Mit dieser Erkenntnis erfolgte eine Modifikation der OP-Technik mit dem Ziel einer Optimierung der Lage des ATOMS-Kissens. In 3 wesentlichen Schritten unterscheidet sich die modifizierte Technik von der ursprünglich propagierten Methode von Seweryn et al. [5]:

  1. Das Centrum tendineum wird auf dem M. bulbospongiosus durchtrennt, um eine gute Mobilität des Bulbus zu erreichen.
  1. Das Foramen obturatorium wird in seinem mediodorsalen Winkel punktiert, um eine proximalere Lage des Kissens zu ermöglichen (▶ Abb. 2).
 Perinealer Situs 1 = Ramus inferior
ossis pubis; 2 = mobilisierter Bulbus
urethrae; 3 = optimaler Punktionsort
für den Tunnelierer am mediodorsalen
Winkel des Foramen obturatorium.
Abb. 2: Perinealer Situs 1 = Ramus inferior ossis pubis; 2 = mobilisierter Bulbus urethrae; 3 = optimaler Punktionsort für den Tunnelierer am mediodorsalen Winkel des Foramen obturatorium.
  1. Die Befestigung der tunnelierten Mesharme erfolgt unter einem erhöhten Anpressdruck des Kissens, um einen direkteren Urethrasupport zu ermöglichen.

Bis 07/2022 wurden 3 männliche ATOMS-Patienten mit dieser OP-Methode am Universitätsklinikum Münster revidiert. ▶ Abbildung 3 veranschaulicht hierbei die Vorteile der modifizierten OP-Technik. Die Pseudokapsel des alten ATOMS-Silikonkissen kommt unter der penilen Harnröhre zu liegen, das neue Kissen liegt weiter proximal und unterstützt so direkt den Bulbus urethrae. Bei keinem der drei, mit der neuen Methode revidierten, Patienten kam es im Follow-up zu Komplikationen > Clavien Grad 1. Bei einem Patienten bestanden perineale neuropathische Schmerzen während der ersten 8 Wochen, diese wurde erfolgreich mit einem Calciumkanalblocker (Pregabalin) behandelt.

Perinealer Situs eines Patienten mit Revision nach primär nicht erfolgreicher
ATOMS-Implantation: links: enferntes altes ATOMS, die Pseudokapsel bedeckt
den penobulbären Harnröhrenübergang; rechts: das neue ATOMS-Kissen
unterstützt unmittelbar den Bulbus urethrae.
Abb. 3: Perinealer Situs eines Patienten mit Revision nach primär nicht erfolgreicher ATOMS-Implantation: links: enferntes altes ATOMS, die Pseudokapsel bedeckt den penobulbären Harnröhrenübergang; rechts: das neue ATOMS-Kissen unterstützt unmittelbar den Bulbus urethrae.

Der Vergleich der prä- und postoperativen Situationen der inkludierten Patienten objektiviert den Vorteil durch die neue OP-Methode: Alle 3 Patienten profitierten durchgreifend hinsichtlich der Kontinenz. Als Erklärung bietet sich ein genauerer Blick auf die retrograden Urethrographien an (▶ Abb. 4). Der zusätzliche bulbäre Support ermöglicht neben einer direkten Kompression der Urethra einen zusätzlichen Effekt. Der Druck auf das schwammartig beschaffene Corpus spongiosum führt zu einer Ausdehnung und Drucktransmission auch auf den unmittelbar benachbarten membranösen Urethraabschnitt und so auch zu einer indirekten Unterstützung des externen Sphinkters. Dieser Effekt wurde von Rheder et al. bereits für die fixe Schlinge diskutiert und dürfte beim ATOMS durch die Adjustier- Möglichkeit noch stärker zur Geltung kommen [6]. Die proximale Implantationstechnik wird am Universitätsklinikum Münster, basierend auf den Erkentnissen, nun auch regelhaft in der primären Situation angewendet. Eine prospektive Beobachtungsstudie wird zeitnah weitere Erkenntnisse liefern.

Vergleich retrograder Urethrographien sowie der Kontinenzsituation vor
und nach Revision mit Anwendung der proximalen ATOMS-Implantationstechnik.
Abb. 4 Vergleich retrograder Urethrographien sowie der Kontinenzsituation vor und nach Revision mit Anwendung der proximalen ATOMS-Implantationstechnik.

Korrespondenzadresse:
Dr. Fabian Queissert
Leiter Bereich Kontinenz und
Neurourologie
Universitätsklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Campus 1
48149 Münster
Fabian.Queissert@ukmuenster.de

Schlagworte zu diesem Beitrag

Weitere Beiträge zu diesem Thema

Mann hält sich die Leiste aufgrund von Schmerzen, Symbol für Männergesundheit

Warum Peniserkrankungen ein zentrales Element der Andrologie sind

Fachartikel

Die Andrologie ist ein interdisziplinäres Gebiet, bei dem Endokrinologen, Humangenetiker, Urologen, Dermatologen, Sexual- und Reproduktionsmediziner zusammenwirken. In diesem Artikel sollen Antworten auf die Frage gefunden werden, warum Peniserkrankungen in der Andrologie ein zentrales Element darstellen.

Urologie

Sonstiges

Beitrag lesen
Analytische Ähnlichkeit zwischen dem neuen, generischen Biosimilar und dem Referenzprodukt

Zentiva: Neues Denosumab-Biosimilar im Portfolio

Pharmaservice

Zentiva, ein führender europäischer Arzneimittelhersteller, hat mit Enwylma® das erste EU-weite Denosumab-Biosimilar eingeführt. Nach EMA-Zulassung markiert dies Zentivas strategischen Einstieg in den Biosimilar-Markt und unterstützt die Mission, Patienten europaweit besseren Zugang zu hochwertigen Biologika zu bieten.

Urologie

Sonstiges

Beitrag lesen
Das Bild zeigt den stellvertretenden KBV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Stephan Hofmeister.

KBV prangert Deprofessionalisierung der Versorgung durch „Pseudolösungen“ an

Berufspolitik

Bei der KBV-Vertreterversammlung in Berlin kritisierte Dr. Stephan Hofmeister, dass dringend nötige Strukturreformen auf sich warten lassen. Geplante Gesetzgebung bringe Praxen keine Entlastung, sondern erschwere deren Arbeit weiter. Die Forderung nach schnellen, wirksamen Reformen bleibt bestehen.

Urologie

Berufspolitik

Beitrag lesen