Auf 144 Seiten hat die wahrscheinliche neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Aktuell läuft die Mitgliederbefragung in der SPD. Nach den Unterschriften der Parteispitzen konzentrierte sich die Fachdiskussion auf die Inhalte zu den Themen Gesundheit und Pflege. In der Ambulanten Versorgung plant die Koalition eine grundlegende Neustrukturierung in Form eines Primärarztsystems – mit Ausnahmen. Was das für die Urologen bedeutet, steht hier.
Der Vertragstext adressiert das Primärarztsystem „bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte in der Hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivvertrag“. Gynäkologen und Ophthalmologen sollen die einzigen Ausnahmen von der Primärarzt-Regel sein. Zwar begrüßt der Berufsverband der Deutschen Urologie (BvDU) die Patientensteuerung durch Primärärzte, aber nur dann, wenn die Urologen auch am Ruder sitzen. Bis jetzt sieht die Koalition sie eher im Beiboot der nachgeordneten Facharztgruppen. Bei Fachärztetag des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands lauschten die BvDU-Spitzen Dr. Axel Belusa und Dr. Peter Kollenbach den Ausführungen des SpiFa-Vorsitzenden Dr. Dirk Heinrich: „Fachärztinnen und Fachärzte behandeln jährlich 112 Millionen Arztfälle ohne Überweisung. Müssten diese Patientinnen und Patienten zunächst eine Hausarztpraxis aufsuchen, bedeute dies 2.500 Fälle zusätzlich für jede Hausärztin und jeden Hausarzt“.
BvDU blickt ins gelobte Land der Selektivverträge
Derweil blickt die BvDU-Spitze nach Baden-Württemberg lernen, wo Haus- und Fachärzte die Versorgung von Patienten auf Grundlage von Selektivverträgen realisieren. „Ausnahmen für die Augenheilkunde und die Gynäkologie wurden bereits im Papier genannt, nun müssen weitere fachärztliche Gruppen folgen, die die Grundversorgung von Patientinnen und Patienten gewährleisten“, hofft BvDU-Präsident Dr. Axel Belusa. Als eine Art Wink mit dem Zaunpfahl darf man den Hinweis auf die Früherkennung und Vorsorge bei Männern verstehen. „Wenn Männern der direkte Weg zum Urologen genommen wird, wäre die Hürde, zur Vorsorge zu gehen, erneut höher mit der möglichen Folge zunehmender Erkrankungen.“ Es bleibt abzuwarten, ob der Sprung aus dem Beiboot ans Primärarzt-Ruder gelingt. Im Moment sieht es nicht so aus, weil andere Facharzt-Gruppen ähnliche Forderungen stellen werden. Ein Primärarzt-System macht aber nur dann Sinn, wenn es wenige Primärärzte und viele Sekundärärzte gibt.

Unbequeme Lösungen für die Termin-Frage
Das leidige Thema der langfristigen Facharzt-Termine will die Koalition mit Druck lösen. Primärärzte oder die Kassenärztliche Vereinigungen sollen die Dringlichkeit festlegen und auch einen Zeitkorridor, innerhalb dem ein Termin stattfinden muss. Die Koalition will die KVen sogar verpflichten, Termine innerhalb des Zeitfensters beim Facharzt zu garantieren. Wenn das in der ambulanten Versorgung nicht möglich sein sollte, wird die Koalition den Facharztzugang im Krankenhaus ambulant ermöglichen. Krankenhäuser sollen dann also stärker für die ambulante Versorgung durch Fachärzte geöffnet werden. Ob die fachärztlichen Personalressourcen dafür ausreichen, darf angezweifelt werden.
Praxis-Patienten-Kontakte werden neue Abrechnungskategorie im EBM
Die Honorarregelungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab will die Koalition verändern. Mit Jahrespauschalen und einer Flexibilisierung des Quartalsbezugs sollen die Arztkontakte weniger werden. Zudem sollen Praxis-Patienten-Kontakte die bisherige Abrechnung der Arzt-Patienten-Kontakte ergänzen. Für urologische Praxen wird es also darauf ankommen, zur Behandlung qualifizierte Physician Assistants bzw. nicht-ärztliche Praxis-Assistenten für die Abrechnung zusätzlicher EBM-Leistungen zur Verfügung zu haben. Wer das nicht kann oder nicht will, muss sich wohl auf reduzierte Markt-Anteile einrichten – zumindest in den nicht unterversorgten Regionen ohne Entbudgetierung. In unterversorgten Gebieten sollen fachärztliche Leistungen hingegen entbudgetiert werden. Unterversorgung soll außerdem generell zu Honorarzuschlägen und Überversorgung über 120% der Bedarfsplanung zu Honorarkürzungen führen können. Auf die Ausgestaltung dieser Absicht darf man gespannt sein.
Investorenbetriebene Medizinische Versorgungszentren sollen stärker in Bezug auf die Eigentümerstruktur und die korrekte Verwendung der Beitragsgelder kontrolliert werden. Im Bereitschaftsdienst sollen Ärzte von der Sozialversicherung befreit werden.
Änderungen der Krankenhausreform bei Land- und Fachkrankenhäusern
Die Krankenhausreform wird in modifizierter Form fortgesetzt. Gesetzliche Änderungen im Rahmen des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes sollen bis zum Sommer umgesetzt werden. Der Spielraum der Bundesländer bei der Grund- und Notfallversorgung auf dem Land soll erweitert werden. Aktuelle Schulden der Krankenhäuser in Höhe von etwa vier Milliarden Euro sowie der GKV-Anteil am Transformationsfonds sollen aus Mitteln des Sondervermögens finanziert werden – also „auf Pump“. Die Finanzierung der Sozialversicherungen bleibt ungelöst; das Problem wachsender Defizite wird in eine Fachkommission geschoben – ein klassisches Dokument der Politik-Verweigerung der Koalition.
Die Interessen der Universitätsmedizin und der Fachkrankenhäuser sollen hingegen im Gesetz gestärkt werden. So werden Fachkrankenhäuser nun anders definiert, um mehr von ihnen in der stationären Versorgung halten zu können als von Lauterbach vorgesehen. Das war schon länger eine Forderung der Länder. Die Krankenhausreform soll mit 61 Leistungsgruppen in Anlehnung an den NRW-Krankenhausplan starten. In zwei Phasen soll die Vorhaltefinanzierung ab 2028 eingeführt werden, vorher aber 2027 nochmals überprüft werden.
Bürokratielast soll schrumpfen
Zahlreiche Dokumentationspflichten und Kontrollen werden nach dem Koalitionsvertrag durch ein Bürokratieentlastungsgesetz reduziert. Statt Kontrollen wird die Koalition mehr auf Vertrauen und Eigenverantwortung setzen. In der ambulanten Medizin wird eine Bagatellgrenze von 300 Euro für Regressprüfungen eingeführt. Zur Verschlankung der Behandlungsprozesse soll die Digitalisierung beitragen. Im Mittelpunkt wird die Elektronische Patientenakte stehen, die nun schrittweise scharf gestellt werden wird, aber erst in der letzten Phase mit Sanktionen bei Verweigerung ausgestattet werden soll.
Mein Fazit
Was bleibt unter dem Strich? Ob sich die berufliche Situation der Urologen unter Schwarz-Rot verbessern wird, steht in den Sternen. Nach heutigem Stand werden die Urologen nicht zur Nobel-Klasse der Primärärzte gehören, sondern in der Ambulanz zur Gruppe der Sekundär-Versorger. Zudem drohen Termin-Zwänge sowie zusätzliche Praxis-Patienten-Kontakte, die zumindest für einen Teil der Fachgruppe zu reduzierten Budget-Anteilen führen kann. Natürlich kann sich alles positiver entwickeln, weil Politik kurzlebig ist, aber den urologischen Kassenpraxen könnte im negativen Szenario eine weitere wirtschaftliche Verschlechterung drohen.
Bildquelle:© ARD-Tagesschau)
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Franz-Günter Runkel
Chefreporter UroForum



